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Künstler Mathias Roloff arbeitet und lebt in Hohenschönhausen. Immer mehr Künstler tun es ihm gleich.
© Robert Klages

Berlin-Lichtenberg: Von Kunst umzingelt in Hohenschönhausen

Wo früher die Stasi herrschte, entsteht jetzt ein kreativer Hotspot. Besuch im Plattenbau-Atelier.

Aus dem Fenster des Ateliers von Mathias Roloff kann man über die Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen schauen. Eine Schulklasse wartet im Innenhof auf den Beginn ihrer Führung. Ein befreundeter Künstler aus Usedom habe ihn mal gefragt, wie er denn hier bei dem Lärm vernünftig arbeiten könne, erzählt Roloff. Aber er ist hier in Lichtenberg geboren und aufgewachsen, der Blick über die Stadt ist für ihn so normal wie für den Usedomer Künstler der Blick übers Meer. „Vielleicht könnte ich bei Meeresrauschen nicht arbeiten“, meint Rohloff und streichelt seinen Hund Timmy. Er ist einer von rund 270 Künstlern, die in der Genslerstraße 13 arbeiten, ein Plattenbau gegenüber der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Auch eine international bekannte Aktivistengruppe hat hier mehrere Räume gemietet – sie wollen jedoch nicht genannt werden, da sie Morddrohungen erhalten.

Früher wurden in dem Gebäude Spionagegeräte entwickelt: Es gehörte zum Operativ-Technischen Sektor der DDR-Staatssicherheit. Heute gehört es der Berliner Immonen-Group, die das Gebäude auch verwaltet und als ID-Studios an „eine kreative und heterogene Mieterschaft“ vermietet.

Zur Art Week im September werden die Ateliers geöffnet

Kunst in Hohenschönhausen, Kunst im Randbezirk, der als Plattenbauwüste verschrien ist? Das geht: Um und in dem ehemaligen Komplex der DDR-Staatssicherheit haben sich viele Künstler angesiedelt, nicht nur in der Genslerstraße 13. Mathias Roloff kennt zwar nicht alle, aber es füge sich langsam eine Gemeinschaft zusammen, sagt er. Noch wurde in dem Riegel, in dem er sein Atelier hat, kaum öffentlich ausgestellt. Doch das soll sich bald ändern: Für die Berliner Art Week im September sollen die Ateliers geöffnet werden.

Hier ist also erlaubt, was der Kunst andernorts verboten wurde, etwa in der Herzbergstraße, nur wenige Kilometer entfernt, haben sich neuerdings ebenfalls viele Künstler angesiedelt. Doch da es sich um ein geschütztes Gewerbegebiet handelt, dürfen sie nicht vor Ort ausstellen. Kunstsammler Axel Haubrok, der bereits seit Jahren in der Herzbergstraße eine Kunsthalle eröffnen möchte und Atelierräume für mehr als 50 Künstler betreut, wurde zuletzt eine Strafzahlung angedroht, sollte er zur Art Week ausstellen. Lichtenbergs Wirtschaftsstadträtin Birgit Monteiro (SPD) will das dort ansässige Gewerbe schützen – und sieht Platz für Kunst und Ateliers eher in Hohenschönhausen. Viele finden das nahezu beleidigend: Will sie die Kunst an das Ende der Stadt drängen?

Ein weiteres Atelierhaus soll entstehen - aber etwas fehlt

Doch wenn man mal genau hinsieht, ist die Kunst in Hohenschönhausen schon lange angekommen. Die ID-Studios in der Genslerstraße bilden bereits einen der größten Studio-Komplexe in Berlin. Bald soll hier ein weiteres Atelierhaus entstehen. Die Kunstwerkstätten Hohenschönhausen haben eine Bauvoranfrage an das Bezirksamt gestellt für die Lichtenauer Straße 51, ebenfalls nahe der Stasi-Gedenkstätte. Was Künstler Mathias Roloff vor Ort noch etwas fehlt, ist die Infrastruktur, also bessere Anbindung zur Stadtmitte. Und Cafés und Restaurants. Noch ist Hohenschönhausen ein Geheimtipp unter Künstlern, Fotografen und freien Architekten.

Die bedrückende Gedenkstätte Hohenschönhausen (o.) zieht viele Besucher an, genau gegenüber arbeiten Künstler im Plattenbau.
Die bedrückende Gedenkstätte Hohenschönhausen (o.) zieht viele Besucher an, genau gegenüber arbeiten Künstler im Plattenbau.
© C. Ditsch/Imago

Roloff ist glücklich über sein 40 Quadratmeter großes Atelier im sechsten Stock. Der 38-Jährige hat Malerei und Grafik an der Universität der Künste studiert und das Studium als Meisterschüler abgeschlossen. In seinem Atelier fertigt er Druckgrafiken, Radierungen und Siebdrucke. Abstrakte Stillleben stehen herum, seine Malweise liegt irgendwo zwischen Barock und Renaissance. „Postbarock“ nennt Rohloff, was er da macht: Vermeintlich zufällige Begegnungen zwischen Stillleben und Figurengemälden. Die Figuren sind allesamt nackt. Noch bis Mitte Juni hängen Bilder von ihm in der Galerie Knauber in Schöneberg. Kürzlich hat er seine Arbeiten beim Transformart Festival in Oberschöneweide gezeigt, auch hier trifft sich die freie Szene fernab der prestigeträchtigen Kunstmeilen innerhalb des S-Bahn-Rings.

Noch sind die Ateliermieten günstig

Von Mathias Roloffs ehemaligen Kommilitonen wollten nach dem Abschluss nur wenige nach Lichtenberg, obwohl das Atelier-Angebot schon früher gut war. „Aber jetzt kommen doch viele her.“ Daher macht er sich auch Sorgen, dass die Ateliermieten steigen könnten. Er hat nie darüber nachgedacht, mit seinem Atelier nach Kreuzberg, Neukölln oder Mitte zu ziehen. In Lichtenberg hat er sein „Kieznest“, sagt er – und seine Familie. Eltern, Frau, Kind, alle in Lichtenberg.

Und Roloff hat das Konzept für das 360-Grad-Kunsthaus am Prerower-Platz 10 gemacht, ebenfalls in Hohenschönhausen. Ein Ort für Anwohner, die Kunst machen und ausstellen möchten. Auch Geflüchtete sind willkommen, hier zu arbeiten – das Projekt wird vom Integrationsfonds für die nächsten zwei Jahre gefördert. Das Kunsthaus ist bewusst „niederschwellig“ angelegt: Jeder soll hier Kunst machen können und den Mut finden, sich auszuprobieren. Nicht nur die professionellen Künstler im Kiez.

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