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Großstadtromantik. Mit Bier, Pizza und Straßenmusik chillt man auf der Kreuzberger Admiralbrücke dem Sonnenuntergang entgegen.
© Kai-Uwe Heinrich

Berliner Brücken (3): Kronkorken im Gegenlicht: die Admiralbrücke in Kreuzberg

Die Kreuzberger Admiralbrücke ist bis heute der Inbegriff der Großstadtromantik. Der Streit zwischen Sonnenuntergangsanbetern und Anwohnern hat sich zum Glück entspannt, aber immer noch wird hier gerne Feierkultur der Nachwendezeit zelebriert.

Der Admiral, dem die Admiralbrücke ihren Namen verdankt, hieß Adalbert von Preußen. Die Brücke wurde 1882 gebaut, das Geländer und die Laternen sind noch original. Der Blick geht weit über den Landwehrkanal und zum Urbanhafen, der wie ein innerstädtischer See wirkt und wo manchmal Kanus oder Schlauchboote herumfahren. Bis 1921 führte eine Straßenbahn über die Brücke.

Als sie dann, mit Hilfe von Pollern, verkehrsberuhigt war und sich zum Schauplatz nächtlicher Partys entwickelte, kam im Bezirksamt die Idee auf, die Poller wieder zu entfernen und mehr Verkehr auf der Brücke zuzulassen. Das hat sich zum Glück nicht durchgesetzt. Der Einsatz von Mediatoren brachte nicht viel. Anwohner forderten, die Brücke aus allen internationalen Berlin-Reiseführern streichen zu lassen. Deutsche Bezirksverwaltungen können ausländischen Verlagen allerdings nichts vorschreiben. Das hat sicher auch sein Gutes.

Inzwischen hat die Brückensituation sich entspannt. Zwar versammeln sich bei gutem Wetter immer noch Menschen, meist junge, gegen Abend auf der Admiralbrücke, um den Sonnenuntergang, die Großstadtromantik und das Leben als solches zu feiern. Sie sprechen viele Sprachen, machen Musik, trinken. Das Müllproblem, so stellte sich nach längerem Nachdenken heraus, kann man durch das Aufstellen von Mülleimern zumindest mildern. Außerdem hilft es, wenn die Stadtreinigung öfter vorbeikommt. Nach 21 Uhr taucht an der Brücke die Polizei auf, denn auf der Admiralbrücke gilt etwas zutiefst Unberlinerisches, es gibt eine Sperrstunde: 22 Uhr.

Die Polizisten tun dann ebenfalls etwas eher Unberlinerisches, sie reden freundlich und geduldig auf das feiernde Publikum ein. Berliner Polizisten spielen die Rolle eines netten Onkels, der die Jugend zur Vernunft mahnt. Allein das schon ist eine Sehenswürdigkeit. Und dann geschieht meistens ein Berliner Sommerwunder, die Leute stehen auf, packen ihr Zeug und verziehen sich. In der Regel schaut die Polizei nicht genau auf die Uhr, 22 Uhr 10 geht noch, danach wird die behördliche Tonlage dringlicher. Alles in allem verläuft die Räumungsaktion aber harmonisch, im Regelfall.

Die Admiralbrücke, Schauplatz für die fröhliche Anarchie der Großstadt

Die Feiernden verteilen sich in den nahe gelegenen Kneipenvierteln, Kottbusser Tor, Graefekiez, Neukölln. Dort sitzen sie dann manchmal auf der Straße, eine Person spielt Gitarre, die anderen Personen zeigen Freizeitverhalten. Zu den Widersprüchen des Berliner Nachtlebens gehört die Tatsache, dass auf den Straßen und vor den Kneipen immer noch viel los ist und manches Geräusch verursacht wird, wenn sich über die Admiralbrücke längst abendlicher Frieden gebreitet hat.

Am Beispiel der Admiralbrücke kann man hervorragend über das neue Berlin diskutieren, das Berlin der Nach-Nachwendezeit. Die fröhliche Anarchie der Nachwendezeit war, wie die Berliner wissen, nach 10, 15 Jahren vorbei. Die Touristen aber kommen in Scharen und spielen ein Stück nach, das eigentlich längst abgesetzt ist, das wilde Berlin, Königin der Nacht, Welthauptstadt des Anything goes. Die Mieten haben angezogen, die illegalen Klubs verschwinden. Aber die Hostels sind billig.

Wer nahe am Touristenmagneten Admiralbrücke wohnt, der ist in der gleichen Lage wie jemand, der im 19. Jahrhundert sein Haus auf einem Kohleflöz gebaut hatte. Da liegen Millionenwerte einfach so herum, das spricht gegen allzu viel Rücksicht auf Anwohner. Die Pizzeria an der Brücke, der Eisladen, der Kiosk, das dürften alles Goldgruben sein. Inzwischen gibt es drei Cafés an der Brücke, und wenn es im nächsten Sommer fünf sind, würde das niemanden wundern. Es geht fast schon ein bisschen in Richtung Rialtobrücke, was die Menschendichte betrifft. Manche nennen diese Ecke auch, in Anlehnung an Mallorca, den Ballermann von Kreuzberg.

Wenn Berlin kein Abenteuerspielplatz mehr ist, wozu wäre Berlin dann gut?

Die Admiralbrücke bei Sonnenuntergang.
Die Kreuzberger Admiralbrücke: Besonders beliebt bei Sonnenuntergang, gerne mit Bier und Pizza in der Hand.
© Kai-Uwe Heinrich

Party“ ist eben eines der funktionierenden Berliner Geschäftsmodelle. Trotzdem sind viele Party-Standorte gefährdet, um das Gelände der Bar 25 für das Vergnügen zu retten, musste erst ein Schweizer Investor kommen. Er hat begriffen, dass improvisiert wirkende Holzhütten, Industrieruinen, überhaupt das Unfertige, Unaufgeräumte und leicht Heruntergekommene das moderne Gegenstück zum Kohleflöz sind. Wenn die Leute abends aus ihren klimatisierten Büros mit den Glasfassaden herauskommen oder wenn sie im Urlaub sind, dann wollen sie etwas anderes, keine Häuser mit Glasfassaden. Der Abend soll nach Freiheit aussehen. Viele Leute wollen, wie die Admiralbrücke beweist, auf einer Brücke hocken, mit einer Bierflasche in der Hand, sie wollen streunende Hunde, Pizza aus der Hand und Straßenmusik.

Wenn Berlin kein Abenteuerspielplatz mehr ist, wozu wäre Berlin dann gut? Wenn die Stadt erst mal aufgeräumt ist, besenrein, fertig, mit glatten, hellen Neubauten, saniert und windschnittig, dann hat Berlin nichts zu bieten, was es in New York oder in Barcelona nicht auch gäbe, und zwar mit besserem Wetter und interessanterer Architektur.

Eine Stadt ohne Nischen und Orte wie die Admiralbrücke ist eine tote Stadt

Wahrscheinlich trifft sich auf der Admiralbrücke die europäische Elite von morgen. Der politische Nutzen – positives Berlinbild! positives Deutschlandbild! – ist kaum abzuschätzen. Es funktioniert so gut, weil es in diesem Viertel noch die alte Kreuzberger Mischung gibt, Menschen mit und ohne Job, mit und ohne Kinder, Alte und Junge, Wohlhabende und Arme, Angepasste und Rebellen.

Wenn die Admiralbrücke in Prenzlauer Berg läge statt in Kreuzberg, würde es mit der Großstadtromantik wahrscheinlich nicht mehr so gut funktionieren. Und weil sich Kreuzberg in Richtung Prenzlauer Berg entwickelt, langsam, aber unaufhaltsam, wird all das in absehbarer Zeit verschwunden sein. In 20 Jahren werden die Anwohner vermutlich wieder ihre Ruhe haben. Aber sie werden das Dreifache an Miete zahlen.

Vor ein paar Wochen, bei einer Diskussionsveranstaltung in den Räumen des Tagesspiegels, sagte ein erfolgreicher Anwalt, man dürfe in Berlin nicht dem „Reiz des Schmuddligen erliegen“. Das Schmuddlige ist das, was Leute ohne Geld verursachen, und es sind immer die Leute ohne Geld gewesen, die das Leben und die Unordnung und überhaupt das Städtische in die Stadt gebracht haben, sei es als ständiger Bewohner oder als Gast.

Der Reiche hat’s gern ruhig. Wenn aber der Wohlhabende an einem Sommerabend auf der Admiralbrücke sitzt, auf einem Poller, wenn er die internationalen Paare betrachtet, von denen jedes zweite an Julie Delpy und Ethan Hawke im Film „Before Sunrise“ erinnert, wenn die letzten Sonnenstrahlen sich in den Kronkorken spiegeln, die sich im Brückenbelag festgesogen haben, dann begreift sogar dieser Wohlhabende, dass eine Stadt ohne solche Nischen eine tote Stadt ist. Wenn das Schmuddlige, das Junge und das Arme konsequent aus Berlin vertrieben werden, dann hat am Ende der Kapitalismus geschafft, was ein Weltkrieg, zwei Diktaturen und die Mauer nicht geschafft haben. Berlin ist dann einfach irgendeine Stadt, nur größer.

Harald Martenstein

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