„Blutsbrüder“ in den Sophiensälen: Kritischer Blick auf Winnetou
„Blutsbrüder“: Jochen Roller will in den Sophiensälen Karl Mays „Winnetou“ feministisch und dekolonial neu interpretieren.
„Deutscher sein, heißt auch Indianer sein“, behauptete Heiner Müller einmal. Er meinte das wohl ernst. Dass die Deutschen sich in besonderem Maße mit den amerikanischen Ureinwohnern identifizieren, wird aber meist belächelt. Der Berliner Choreograf Jochen Roller geht dieser Faszination nun in seinem Stück „Blutsbrüder“, dem letzten Teil der Trilogie „Finding Germany Elsewhere“, nach. Er fuhr zum Karl-May-Fest nach Radebeul und befragte dort Hobby-Indianer.
Im Festsaal der Sophiensäle tauchen die Zuschauer per Videoinstallation in die Welt der Freizeit-Häuptlinge und -Squaws ein. Das sei kein Karneval, erklären die mit großen Ernst, sie seien zwar von außen Weiße, aber im Herzen seien sie Indianer. Sie sind überzeugt: Wenn sie in der Wild-West-Kulisse Stammestänze aufführen, dann retten sie die Kultur vor dem Aussterben. Später erklärt dann die Performerin Latai Funaki Taumoepeau, dass es sich hier um „aktive koloniale Gewalt“ handle. Die aus Tonga stammende Künstlerin soll hier wohl für die „Natives“ sprechen.
Räkeln auf roten Kunstfellen
Ein gewisser didaktischer Furor ist dem Abend nicht abzusprechen, bei dem es um Fragen der Repräsentation und um kulturelle Zuschreibungen geht. Vier Performerinnen bilden einen Lesezirkel und machen sich an eine kritische Lektüre von Karl Mays Roman „Winnetou I“. Eine feministische und dekoloniale Lesart des Epos wollen sie vorschlagen, rennen dabei aber nur offene Scheunentore ein. Jochen Roller bezeichnet sein Stück als „Ethnic Drag Cabaret“. Das Zelt mutet von innen wie ein Boudoir an, die Performerinnen tragen mehr Feder- und Strassschmuck als Revuegirls und räkeln sich auf roten Kunstfellen. Eine gute Schauspielerin könnte das Problematische an Karl Mays Text schon in ihrem Vortrag herausarbeiten. Auf solche Nuancen verstehen die Darstellerinnen sich nicht.
Hochzeit von Winnetou und Old Shatterhand
Die Dispute über die Deutungshoheit wirken aufgesetzt. Wenn Ari Hoffmann und Serfiraz Vural den Text im Original lesen wollen, mault Taumoepeau: „Nur weil Karl May ein deutscher Autor war, heißt das nicht, dass die Performance auf Deutsch stattfinden muss.“ Dass Frauen wie Nscho-tschi kaum eine Rolle spielen im Kosmos von Karl May, dass die Anziehung zwischen Old Shatterhand und Winnetou auch homoerotisch grundiert ist, ist nichts Neues. Trotzdem ist es lustig, wenn Kelly Pineault mit lasziver Stimme die schwülstigen Stellen vorliest. Ari Hoffmann schlägt vor, die Erzählung umzuschreiben: Old Shatterhand und Winnetou könnten doch heiraten am Ende. Das ist Taumoepeau aber nicht radikal genug. Sie hält kurzerhand einen kleinen Workshop ab: „Vier Schritte, um seinen inneren Hobby-Indianer loszuwerden“.
Alles in allem ist „Blutsbrüder“ ein enttäuschender Abend. Eigentlich will Roller – bei aller Lust an der Maskerade – nur Lektionen in Dekolonialisierung erteilen. Am Ende werden die Zuschauer mit der Aufforderung entlassen, nie wieder das Wort „Indianer“ zu benutzen.
weitere Vorstellungen bis Sa 21.10. täglich um 20 Uhr
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