Auf der Jagd nach dem Mythos: Winnetou kehrt auf den TV-Bildschirm zurück
Apachen-Häuptling Winnetou und Old Shatterhand kämpfen nun für RTL. In München gab es die erste öffentliche Aufführung.
Karl May war nie in Amerika. Ganz schön mutig also, wenn RTL für sein Winnetou-Remake mit dem Untertitel „Der Mythos lebt“ Wotan Wilke Möhring gleich zu Beginn in Ellis Island sagen lässt: „Mein Name ist Karl May. Ich bin Ingenieur. Hier sind meine Papiere.“ Karl May verwandelt sich im Laufe der ersten der insgesamt drei neunzigminütigen Folgen, die das RTL-Weihnachtsprogramm bereichern sollen, in Old Shatterhand – weil die Apachen ihn für seine Boxkünste bewundern. Regisseur Philipp Stölzl, der wegen Pilotenstreik und Dresdner Operninszenierung bei der ersten öffentlichen Aufführung in München nicht dabei sein konnte, wählte für seine aufwendige Verfilmung von „Winnetou“ also einen radikal neuen naturalistischen Ansatz und setzt doch auf Tradition. Was gut ist, wenn sich zum Beispiel der Filmkomponist Heiko Maile akribisch in die DNA des Original-Soundtracks von Martin Böttcher einarbeitet und das Filmorchester Babelsberg so dirigiert, „dass es sich anhört, als würden wir ein Bruckheimer-Video machen“.
Großartige Landschaftsaufnahmen
Das war der Auftrag und den hat Maile fulminant umgesetzt. Die auch vom 90-jährigen Böttcher gutgeheißene Filmmusik gehört zum Besten an dieser Winnetou-Verfilmung. Auch die Kamera von Sten Mende ist mit großartigen kroatischen Landschaftsaufnahmen über jeden Zweifel erhaben. Das gilt ebenfalls für die schauspielerischen Leistungen von Möhring, aber auch von Leslie Malton als Frau des Eisenbahn-Bosses Bancroft (Rainer Bock) oder von Henny Reents als Hure Belle. Aber im Buch und in der Auswahl des Winnetou weist die RTL-Verfilmung eklatante Schwächen auf.
Nik Xhelilaj ist laut RTL in seiner albanischen Heimat ein gefeierter Star. Das mag sein, doch wird man den Eindruck nicht los, dass er eher bei einem Pierre-Brice-Lookalike-Contest gecastet wurde. Letztlich ein tumber Adonis mit schönem Körper aber ohne jede Würde oder Ausstrahlung. Ein manchmal lächerlicher Winnetou, der Old Shatterhand die Schokolade wegisst und ihm dafür – so viel Dschungel-Selbstironie darf’s bei RTL schon sein – eine lebendige Raupe zu essen gibt, entzieht einem so ambitionierten Projekt die Geschäftsgrundlage. Und weil auch der sympathische Wotan Wilke Möhring mit seiner weichen Art eher metrosexuell angehaucht daherkommt, könnte man auf die Idee kommen, die Macher des neuen Winnetou hätten die Essenz des Karl-May-Universums nicht verstanden, das ganze Generationen von Kindern einst lehrte, was gut und was böse ist. Jürgen Vogel ist als Ober-Sklaventreiber Rattler so richtig herzhaft gemein. In einer besonders beklemmenden Szene mäht er mit einer Schnellfeuerkanone angreifende Apachen nieder, während die ängstlich im Haus ausharrende Leslie Malton auf dem Grammofon den Radetzky- Marsch hört, um die Schreie der malträtierten Indianer nicht hören zu müssen.
Natürlich glaubt man bei RTL, mit Vergleichen, die Winnetou zwischen dem von sächsischen Truppen niederkartätschten Bergarbeiter-Vater Old Shatterhands und seinem eigenen Volk zieht („Er war auch ein Apache“), so etwas wie Sozialkritik angelegt zu haben und mit dem reichhaltigen Einsatz der untertitelten Lakota-Sprache auch dem Authentizitätsanspruch gerecht zu werden. Die Mexikanerin Iazua Larios, die Winnetous Schwester Nscho-Tschi spielt, macht das auch sehr gut. Doch wenn ihr Bruder und ihr Vater plötzlich in der Sprache des weißen Mannes reden, wirkt das ebenso unfreiwillig komisch wie die Rückgabe seines Skalps von Winnetou an Sam Hawkens (Milan Peschel). Man meint Möhring anzusehen, wie er beim Tanz ums Lagerfeuer darüber nachdenkt, wer er eigentlich hier ist: Karl May, Old Shatterhand, Mann, Memme – und wenn ja warum?
Eine Frage der Ausstrahlung
Dieser erste Eindruck ist bedauerlich. Niemand wünscht sich, dass RTL und die Produktionsfirma Rat Pack damit beim Publikum genauso durchfallen wie einst Michael Cimino mit seinem gigantischen Westernflop „Heaven’s Gate“, der ein ganzes Hollywood-Studio ruinierte. Sieben Jahre Vorbereitung stecken in „Winnetou“, das Filmteam bestand aus 220 Personen. 76 Schauspieler und 4000 Komparsen kamen zum Einsatz in 160 handgefertigten Indianerkostümen. Aber der ganze gigantische Aufwand schnurrt zusammen, wenn dem Titelhelden das entscheidende Kriterium fehlt, wie es Winnetou-Legende Gojko Mitic, der hier den Häuptling Intschu-Tschuna spielt, schulterzuckend formuliert: „Ausstrahlung hat man – oder auch nicht.“
Jörg Seewald
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