Kampnagel-Festival: Die Versteigerung der Hose
Catwalk der Nachhaltigkeit: Hamburgs Sommerfestival auf Kampnagel beschäftigt sich mit der Frage, wie eine nachhaltige Gesellschaft aussehen könnte.
Jedem, der mit Öko-Mode noch immer Jutesäcke assoziiere, würde er sofort sein Biobaumwollsakko leihen, verspricht Matthias von Hartz, der strahlende Festivalmacher, der gerade seine zweite Sommerfestivalsaison auf Kampnagel eröffnet hat. Dieses Jahr steht es unter dem Eindruck der ökonomischen Krise und zitiert auf grellpinken Plakaten mit „Wir können uns nicht aus der Krise shoppen“ die Pet Shop Boys.
Für drei Wochen hat Martina Stoian rund um die Fabrikhallen tonnenweise Rindenmulch verschüttet – ein Bodenverbesserer, selbstverständlich ohne künstliche Zusatzstoffe. Es sind zahlreiche internationale Gäste eingeladen, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie eine nachhaltigere Gesellschaft aussehen könnte. Die Präsentationsformen reichen von Installationen, Diskussionen, Vorträgen, Performances, Konzerten, Modeschauen und Kurzfilmen bis hin zu Tanz- und Theateraufführungen. Sommertheater als Sommerakademie mit Unterhaltungswert.
Den Auftakt macht Jochen Roller in einem alten Börsensaal der Hamburger Handelskammer mit seiner Tanzperformance „No Money, No Love“. Seine nüchterne Kosten-Nutzen-Rechnung, multipliziert mit dem eigenen Selbstausbeutungsfaktor ergibt schnell, dass Rollers künstlerische Arbeit ein Minusgeschäft ist, das er mit Gelegenheitsjobs in Callcentern, Parkhäusern oder Shoppingmalls finanzieren muss. Ironischerweise gelang ihm mit „No Money, No Love“ seine bestverkaufte Produktion, mit der er durch die halbe Welt tourte und nach deren Derniere er die Requisiten nun durch das Auktionshaus Christie''s versteigern lässt.
Der Erlös der Auktion kommt einem anderen Tänzer als Arbeitsstipendium zugute. 5650 Euro erzielt Roller mit einer verschwitzten Trainingshose, einem Hello-Kitty-Koffer und einer Minikassette samt Schlussapplaus – ein nicht reichhaltiges, aber nachhaltiges Geschäft, das die Grenzen von Tanz, Performance, Ökonomie und demonstrativer Solidarität vollends verwischt.
Auf Kampnagel bestreiten der Franzose Philippe Quesne mit „La Melancholie des Dragons“ und Emio Greco mit der Choreografie „Hell“ den Eröffnungsabend – zwei absolut unterschiedliche Produktionen. Sechs Heavy-Metal-Typen sind bei Quesne mit ihrem Citroen in einer Kunstschneelandschaft liegen geblieben. Die ersten Minuten verbringen sie im Wagen mit Chips, Musik und Dosenbier. Bis eine Passantin vorbeikommt, die sich zunächst zwar um einen Ersatz für den defekten Verteilerkopf zu kümmern scheint, aber alsbald dem rauen Charme der Jungs und ihren bescheidenen Vorstellungen eines eigenen Vergnügungsparks erliegt. Liebevoll entwerfen sie für die ältere Dame ihre Erlebnisanordnungen: mit Luft gefüllte, wogende Plastiksäcke, Nebelwände und Seifenblasenwolken. Ein schwarzer Labrador springt hin und wieder durch die simplen Installationen. Ein kluger Blick auf die einfachen und besonderen Dinge des Lebens.
So ruhig sich die Aufführung aus den Pariser Vivarium-Studios entfaltet, so wuchtig ist die Produktion von Emio Greco. Atemlose zwei Stunden lang zeigen die Amsterdamer ihre Assoziationen zu Dantes „Göttlicher Komödie“ und Beethovens Fünfter Symphonie. Das ist Tanz als virtuoser Extremsport, als schmerzhafte Körperlichkeit, als überdeutliches Sinnbild für die Anstrengungen des Lebens: ein Sich-Verzehren, Aufbegehren und Verausgaben. Die Aufführung (miss-)braucht ohrenbetäubende Musik und Stroboskoplicht, während der Zuschauer hin- und hergerissen ist zwischen Rührung, Ekel und Erschrecken.
Auch in der „Church of Stop Shopping“, die Reverend Billy einberuft, kann der Zuschauer keine Ruhe finden. Mit manischer Empathie predigt der New Yorker Bill Talen samt Gospelchor gegen Kommerzialisierung und Privatisierung. Das alle Shoppingsünden verzeihende Halleluja findet erst am Ende statt. Was wie eine blasphemische Show wirkt, ist ernst gemeinte Kapitalismuskritik, mit der Reverend Billy mittlerweile zum Bürgermeisterkandidaten der New Yorker Grünen avancierte.
Zwischen den Vorstellungen kann man durch Christoph Schlingensiefs Installation „Der Animatograph“ stolpern oder Folke Köbberling und Martin Kaltwasser bei der Demontage eines Autos beobachten. Auf der Abwrackproduktionsstraße der beiden Berliner Künstler sollen ausschließlich sinnvolle Dinge entstehen – mindestens ein Fahrrad.
Und auf dem Kampnagel-Catwalk wird natürlich trendige „Sustainable Fashion“ spazieren geführt. Denn „nichts hat die Weltretter so viele Anhänger gekostet, wie ihr schlechtes Aussehen. Damit ist nun endgültig Schluss“, konstatiert von Hartz, der nachhaltige, weltrettende Festivalmacher, im nachhaltigen Baumwolljackett.
Das Festival läuft noch bis 30. August. Infos: www.kampnagel.de
Katrin Ullmann
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