Ausstellung "Welt ohne Außen" im Martin-Gropius-Bau: Kriechen und riechen
Rein in den Erlebnisparcours: „Welt ohne Außen“ im Gropius-Bau zeigt immersive Räume von den sechziger Jahren bis heute.
Rumms. Hart scheppert der Schädel gegen die Decke der tiefrot beleuchteten Box. Hängt die mit glänzender Folie beklebte Decke in der langen Raumskulptur also doch deutlich niedriger, als beim Besteigen der mit kuscheligem Teppich beklebten Fußbodenbeule gedacht! Lucio Fontanas Arbeit „Ambiente spaziale: ,Utopie‘ “ stammt zwar schon von 1964, doch die Illusion eines entgrenzten, in seinen Dimensionen nicht eindeutig zu erfassenden Raumes funktioniert immer noch.
Kaum ist nach Larry Bells subtil ins Thema einführender Glasplastik „6 x 8: An Improvisation“ (1994), die den Passanten mit ihren beschichteten Oberflächen mal wie ein Schemen, mal wie ein Spiegelbild reflektiert, nun als zweite Station die lange rote Kiste des Italieners passiert, steht fest: Immersion tut weh.
Und nicht nur das, sie lädt sogar zum Umdichten von Schlagern ein. Vierzig Jahre vor der 2016 gestarteten Immersions-Reihe der Berliner Festspiele, die mit der Ausstellung „Welt von Außen“ im ersten Stock des Martin-Gropius-Baus jetzt eine neue Raketenstufe zündet, hat Bata Illic „Ich hab’ noch Sand in den Schuhen von Hawaii“ gesungen. Jetzt muss es heißen „Ich hab’ noch Sand in den Schuhen vom Cosmodrome“ – und die glitzernden Steinchen einer imaginären Planetenoberfläche piken wie verrückt unter den Füßen.
Don't look at it, go into it
Wer sich einlässt, setzt sich aus. Genauso soll es bei dieser aus den Virtual-Reality- und Computerspiel-Ideen der Neunziger hervorgegangen Kunstform sein, die die Distanz zwischen betrachtendem Subjekt und betrachtetem Objekt, bewusst verwischt. Oder wie Berliner-Festspiele-Intendant Thomas Oberender, der die Schau gemeinsam mit dem Künstler Tino Sehgal kuratiert hat, es beim Pressetermin ausdrückt „Don’t look at it, go into it“.
Im Fall von Dominique Gonzalez-Foersters atmosphärischer Rauminstallation „Cosmodrome“ (2001) zeigt sich dabei in kurzweiligen neun Minuten, was für eine kosmische Erfahrung so ein Licht- und Klangerlebnis in einem stockfinsteren, mit knirschendem Quarzsand ausgestreuten Raum sein kann. Raumschiffarmaturen glühen, Horizonte und Planeten leuchten in der Ferne auf. Und man selber ist damit beschäftigt, den Abstand zu den unsichtbaren Mitbesuchern zu erahnen. Die irritierende Erfahrung, dass sich im Dunkeln womöglich jemand in der eigenen Umlaufbahn auf Kollisionskurs bewegt, elektrisiert das vegetative Nervensystem.
Ganz im Gegensatz zu Tino Sehgals eigenem Beitrag, der auf dem den ganzen Lichthof des Gropius-Baus umkreisenden Parcours den Übergang von den historischen zu den zeitgenössischen immersiven Arbeiten schafft. Er hat zwei Frauen und einen Mann als Eckensteher engagiert, die jeden Besucher, der hereinstolpert, antanzen und dabei den Satz „This is so contemporary“ schreien. Ist diese Art von halbübergriffiger Performance nicht inzwischen sogar im Straßentheater kalter Kaffee?
Duftorgeln und losfahrende Bänke
Dabei ist gegen die von Sehgal und Oberender favorisierte Idee, das in der westlichen Kultur der Moderne zum wahlweise dumpf konsumierten oder manieriert zelebrierten Ritual verkommene „Format“ der Ausstellung gegen den Strich bürsten zu wollen, nicht das Geringste zu sagen. Tatsächlich schaffen die Virtual-Reality-Filme, Toncollagen oder die beim Aufsitzen losfahrenden Bänke des Dänen Jeppe Hein und die Duftorgel des Österreichers Wolfgang Georgsdorf manch sensitiven Gimmick.
Besonders Georgsdorf, der seinen unter leisem Ploppen Geruchssalven verströmenden „Smeller 2.0“ bereits vor zwei Jahren beim „Osmodrama“-Festival in Berlin in Szene gesetzt hat, erfüllt die immersive Idee, dass die „Zuriecher“ Teil der Kunst werden müssen, hingebungsvoll, so wie die Gerüche deren Nasen und den Raum fluten. Und auch der von Oberender und Sehgal beschworene Aufführungs- und Begegnungscharakter ihrer Schau ist bei seiner 14,5 Minuten langen Duftsinfonie „Quarter Autocomplete“ (2018) gewahrt. Die Menschen sitzen nebeneinander auf Bänken und rätseln flüsternd, was sie gerade riechen.
Teilnehmer sein, nicht nur Betrachter
Genau wie die Besucher des „Tea Rooms“ von Dambi Kim und Isabel Lewis, in dem man an einer Tafel einer Teezeremonie beiwohnen kann, sind sie Teilnehmer, nicht nur Betrachter. Ein Effekt, den auch die täglich wechselnden, mal bühnenhaften, mal situativen Aufführungen und Workshops des Erlebnisparcours noch verstärken. Den strukturieren an den meisten Stationen übrigens gute alte, kein bisschen oszillierende Aufführungszeiten. Eine zeitliche Struktur, ein Anfang und ein Ende zu setzen, sei eine Form von Verbindlichkeit, die sie den auf individuelle Freiheit und Bindungslosigkeit getrimmten Ausstellungsbesuchern von heute doch gern mitgeben wollten, erläutert Tino Sehgal. „So was schafft Sicherheit.“ Und die braucht’s bei so viel inszenierter existenzieller Unsicherheit.
Martin-Gropius-Bau, bis 5. August, Mi–Mo 10–19 Uhr
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