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Philippe Parrenos Kunstwerk "My Room is Another Fish Bowl" im Martin-Gropius-Bau.
© Wolfgang Kumm/dpa

Ausstellung von Philippe Parreno: Hefezellen an die Macht

Bei dem Pariser Künstler Philippe Parreno regiert das Zufallsprinzip: eine Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau.

Meisterliche Kräfte werden Philippe Parreno nachgesagt. Der französische Künstler habe das Format der Ausstellung verändert, ja revolutioniert, schwärmt der Intendant der Berliner Festspiele Thomas Oberender. Tatsächlich gewinnen die Exponate bei Parreno eine geheimnisvolle Autonomie, sie sind nicht mehr nur Objekte, sondern vermeintlich selbstbestimmte Subjekte. Der Ausstellungsbesucher fühlt sich wie auf einem schwankenden Schiff, hineinversetzt in verschiedene Stimmungsräume.

In der ersten großen Einzelausstellung des international gefeierten Stars in Deutschland, auf dem Weg durch die Säle des Martin-Gropius-Baus, wird man Teil einer größeren, wie von Geisterhand geführten Choreografie. Jalousien heben und senken sich nach einer undurchschaubaren Systematik, Lichter flackern, Sound jagt durch die Räume, mal kakofonisch laut, mal meint man Vogelstimmen zu hören. Willkommen in der Welt der Immersion, wo die Grenzen zwischen Sehen und Interagieren, Denkraum und Erlebnispark verfließen.

Nein, gibt Parreno dem Intendanten zu verstehen, was er da mache, sei immer noch eine Ausstellung, auch wenn Oberender den Begriff Immersion über alles liebe. Außerdem verstehe er sich weiterhin als bildender Künstler, der nur untersuche, was ein Objekt sei. Ganz stimmt das natürlich nicht, Parreno stapelt tief. Der Pariser ist Zeichner, Konzeptualist und Videokünstler, aber vor allem ein großer Arrangeur, dem bestimmt eine Hundertschaft aus Hochfrequenztechnikern, Soundexperten, Biologen, Musikern zuarbeitet. Am Eröffnungstag hocken fünf von ihnen etwas ratlos mit ihren digitalen Messgeräten am Boden über einer kleinen quadratischen Öffnung, wo sich unter einer unauffälligen Klappe im Parkett ein Wust an Kabelage verbirgt.

Der größte Spektakel spielt sich in den Lüftungsschächten ab

Parreno begreift den Martin-Gropius-Bau als Körper. In dessen Nervensystem, die elektronischen Leitungen, hat er sich hineingehackt. Die Entscheidung, wo welches Licht angeht, wann die Jalousien sich bewegen, welche Klangkulisse die Besucher beschallt, ob die beiden Flügel am Ende des linken wie rechten Parcours nun selbsttätig spielen oder nicht, hat er jedoch einem Automaton überlassen, genauer: einem Bioreaktor. Dieses neue Hirn des Gropius-Baus befindet sich in einem gläsernen Kubus, in dem es blubbert und die Messgeräte zucken, als wäre es Doktor Mabuses Labor. Ein gewisser Grusel geht davon aus. Ausgerechnet Hefe, die da im zentralen Kolben brodelt – ein Mikroorganismus zwischen Bakterie und Pflanze, genährt mit Glycerin und Glucose –, soll durch Vermehrung und Mutation die Gewalt darüber haben, was in dem Ausstellungshaus vor sich geht? Mittels fünf Sonden kann der Mensch immer noch manipulieren, indem mal mehr Hitze, mal mehr Sauerstoff zugegeben wird.

Zugleich besitzt das große Spektakel, das sich eigentlich hinter den Kulissen abspielt, in den elektrischen Leitungen und Lüftungsrohren, eine große Leichtigkeit und Poesie. Da schweben aufblasbare Fische durch einen Saal, die durch ein verstecktes Verwirbelungssystem in Bewegung gehalten werden. Verzaubert stupsen die Besucher diese übergroßen Guppys an und fotografieren sich gegenseitig. Über den Eingängen eines anderen Saals gehen „Marquees“ an und aus, diese für Kinos so typischen leuchtenden Baldachine mit austauschbaren Lettern, als wollten sie dem Besucher etwas morsen. Allerdings fehlt auf ihnen jede Schrift, es gibt keine Filmankündigung. Der Besucher tritt ein in die Ausstellung wie in das Leben, erst einmal ohne Skript.

Seerosen aus Schall

Dass an Parreno ein großer Romantiker verloren gegangen ist, zeigt sich auch am zentralen Stück der Ausstellung. Im Lichthof wurde der Boden angehoben und ein knapp 20 mal 7 Meter großes Becken eingelassen, auf dessen dunkler Wasseroberfläche sich nach dem Zufallsprinzip mithilfe von Verstärkern kreisförmige Wellen bilden. „Sonic Waterlillies“ nennt sie der Künstler und erinnert an den berühmten Seerosen-Maler Claude Monet.

Parrenos Ausstellung mag noch so hightech sein, des Künstlers Hand, seine individuelle Imagination, spielt dennoch eine wichtige Rolle. In Anlehnung an einen Text von Pier Paolo Pasolini aus dem Jahr 1975, in dem der Regisseur die italienische Regierung für Umweltverschmutzung zur Verantwortung zieht und Glühwürmchen vorkommen, hat Parreno diesen Nachtschwärmer immer wieder in Tusche gezeichnet. Einige Blätter dieser Serie hängen in der Ausstellung. Im Lichthof wirft ein Projektor die Bilder an eine Gitterwand, im Wechsel mit Ausschnitten aus John Conways Computerspiel „Game of Life“. Zischend verglühen die Falter.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 5.8.; Mi bis Mo 10 – 19 Uhr

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