"Tage des Aufstands" von Mascha Alechina: Kniebeugen im Käfig
Mascha Alechina von Pussy Riot hat ein Buch über ihre Haft geschrieben und zeigt eine Bühnenperformance in Berlin – eine Begegnung.
Kurz vor Weihnachten hat sie es tatsächlich noch einmal geschafft, ins Gefängnis zu kommen. Es war der 100. Jahrestag des russischen Geheimdienstes und Mascha Alechina, Frontfrau und Gründungsmitglied der Gruppe Pussy Riot, schwenkte vor dessen Sitz in Moskau eine Fahne mit der Aufschrift: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, ihr Henker!“
Alechina wurde verhaftet, ist inzwischen aber wieder frei und verkündet die ewig junge Botschaft von Pussy Riot: „Steh auf, tu etwas, Freiheit gibt es nur, wenn du jeden Tag für sie kämpfst.“ Jung, weiblich, aggressiv – das ist das Image von Pussy Riot, daran arbeitet das Krawall- Kollektiv aus Moskau akribisch und mit Leidenschaft. Doch wer sind eigentlich Pussy Riot heute? Und waren sie je etwas anderes als Projektionen des Westens? Junge, gut aussehende Frauen, die einem der mächtigsten Männer der Welt den Stinkefinger zeigen, Polit-Ikonen mit dem besonderen Duft des Punk, der Weiblichkeit, des bedingungslosen Engagements?
Einige Mitglieder sind mittlerweile verschwunden, das weltbekannte Mediengesicht, Nadeschda Tolokonnikowa, ist diesmal nicht dabei. Sie betreibt eigene Projekte und attackiert jetzt nicht mehr Putin, sondern Trump, etwa mit einem sehr lustigen Musikvideo, in dem sie alle weiblichen Rollen selber spielt.
„Wir sind ein politisches Künstlerkollektiv, wir machen politische Kunst,“ sagt Mascha Alechina beim Treffen in einem Schöneberger Loft. Pussy Riot bestehen inzwischen aus zehn, nur noch lose kooperierenden Mitgliedern, seit ein paar Jahren sind auch Männer dabei. „Das Wichtigste ist, eine interessante und kluge politische Message für das Russland der Gegenwart zu haben.“
Doch wie kriegt man die politische Botschaft auf die Bühne? In dem Stück „Pussy Riot Theatre Performes: Riot Days“ wird wild gezuckt, Körper vibrieren und hopsen herum, es gibt Filme, Musik, Lesungen. Sturmhauben, das Markenzeichen der Gruppe, also gehäkelte Masken wie in einem schlechten Bankräuberfilm, werden hastig an- und ausgezogen. Vor einer Videoleinwand laufen Bilder mit den Heldentaten der Pussy Riots.
„Ich hege gegenüber Putin keine Gefühle“, sagt Alechina
Vor allem natürlich ihr Weltbestseller, die 40-Sekunden-Aktion, das „Punk-Gebet“ in der Christi-Erlöser-Kirche im Februar 2012. Drei Frauen auf dem Altar einer orthodoxen Kirche, Punksounds durchfluteten Moskaus prächtigste Kathedrale. Das ist die offene Revolte von Pop und Punk gegen Putin und die Pietisten. Medien rund um den Globus berichteten über die Aktion und ihre Folgen.
Pussy Riot mögen es gern schrill. Ein Saxofon trötet wie eine Feuerwehrsirene. Sie spritzen Wasser ins Publikum. Offenbar wollen sie Alarm schlagen. Aber wovor wollen sie mit ihrer Performance warnen? Vor dem Kapitalismus? Dem Kreml? Sich selbst? Welche Botschaft haben Pussy Riot eigentlich zu bieten, außer dem alten Die-Jugend-begehrt-auf-gegen-die-böse-Diktatur-Melodram? Das fühlt sich manchmal an wie ein Krawall im Jugendzimmer. Putin wird mit Fäkalsprache überschüttet. Doch konkrete Kritik an Politik oder Gesellschaft enthält die 90-minütige dadaistisch- anarchistische Show nicht.
„Ich hege gegenüber Putin keine Gefühle“, sagt Alechina, blass, gelangweilt und schlecht gelaunt im Gespräch. „Der Alte soll einfach nur abtreten.“ Abseits der Bühne wirkt sie erstaunlich zerbrechlich, nervös, alle fünf Minuten klickert ihr Feuerzeug. Sie trägt ein schwarzes Barrett und sieht aus, als wolle sie in einem existentialistischen französischen Film aus den sechziger Jahren auftreten.
Sie und ihre Mitstreiterin Tolokonnikowa saßen fast zwei Jahre in einer russischen Strafkolonie ein, einem Gefängnis in der Gulag-Gegend rings um die Stadt Perm. Diese Erfahrung ist die Grundlage ihres sehr persönlichen Buches „Tage des Aufstands“, das viele kurze Szenen und Sentenzen versammelt. Es ist nun Teil eines Gesamtkunstwerks aus Film, Musik, Lesungen, Tanz, dargeboten mit dem Gestus der Subversion.
Alechinas Buch ist in Russland verboten.
„Das erste, was sie mit dir im Gefängnis anstellen, ist eine Durchsuchung“, erzählt die Autorin. „Man kommt in einen Käfig, dann muss man sich ausziehen und zehn Kniebeugen machen. Dann musst du dich vorne überbeugen und dich inspizieren lassen. Angeblich wollen sie verhindern, dass du etwas in deinem Körper versteckst.“ Doch langsam lerne man im Gefängnis, Widerstand zu leisten. Wie man Nein sagen kann, wenn man seine Rechte kennt.
Am Ende blieb Mascha Alechina aber nur der Hungerstreik, um ihre Rechte bei der Gefängnisleitung durchzusetzen. Was dann zu einer leicht irren, fast surrealistischen Poesie führt: „Der erste Hungerstreik ist wie die erste Liebe.“ Man weiß nie, wo es hinführt. Warum sie das Buch geschrieben hat? „Die Hauptidee ist, dass jeder Mensch eine Wahl hat. Und wenn der Widerstand im Gefängnis möglich ist, dann muss er auch außerhalb des Gefängnisses möglich sein.“
„Tage des Aufstands“ ist in Russland verboten, nur als Bückware in einigen alternativen Läden erhältlich. Geld verdienen Pussy Riot ausschließlich im Westen, mit Konzerten, Talkshows, Büchern. „Die Erlöse fließen dann in die Arbeit in Russland“, sagt Mascha Alechina. So sponsert der Westen die russische Dissidenz. „Jeder kann Pussy Riot sein. Jeder kann sich selbst ermächtigen.“ Das wirkt dann doch etwas schal. Pussy Riot sind längst eine Marke geworden. Sie werden im Westen als Idole gefeiert, in Russland dagegen hält sich das Interesse in Grenzen.
Der deutsche „Rolling Stone“ reagierte giftig auf die Bühnenschau und schrieb von „dilettantisch inszeniertem 80er Jahre Politik-Karaoke“. Danach habe man das dringende Bedürfnis, auf einer Party mit Gerhard Schröder und Wladimir Putin einen Wodka zu trinken“. Mascha Alechina kontert mit einem Zitat von Paul McCartney: „Es muss nicht alles einen Sinn ergeben, es reicht, dass es lustig ist.“
„Pussy Riot Theatere Performes: Riot Days“, 14.1., 20 Uhr, SO36
Werner Bloch
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