Wire und Freunde in der Volksbühne: Klar, geometrisch, leer
Mit "Drill" startet in der Berliner Volksbühne die Festivalreihe der britischen Post-Punk-Band Wire. Mit dabei sind Cummi Flu, Raz Ohara, Automat, Camera und Tarwater.
Wer ist schlimmer, nervöse Jugendliche auf Pokémon-Fang oder angetrunkene Mittelalte beim Konzert ihrer Jugendhelden? Als die Smartphone-Foto-Orgien abebben, fällt eine Antwort nicht schwer. Doch so unverständlich ist die Aufregung dann auch wieder nicht. Schließlich kuratieren die britischen Post-Punk-Ikonen Wire ein Mini-Festival in der Volksbühne und treten auch selbst auf.
Das Konzept der „Drill“-Reihe klingt vielversprechend: Wire touren durch verschiedene Städte Englands und Europas und laden ortsansässige Musiker ein, sie einen Abend lang zu begleiten. Im Falle Berlins sind das die Bands Automat, Camera und Tarwater, sowie eine Kollaboration der Produzenten Cummi Flu und Raz Ohara. Sie alle bearbeiten auf eigene Weise denselben Raum zwischen Electronica und Krautrock, und allesamt sind es Männer, die sich im Großen Saal und im Roten Salon die Ehre geben. Automat, ein von Einstürzende- Neubauten-Gitarrist Jochen Arbeit angeführtes Trio eröffnet den Abend mit Dub-Rock und verkifften Funk-Einsprengseln.
Darauf folgen Tarwater mit ihren verspielten Popsongs im Roten Salon, während im Großen Saal Cummi Flu und Raz Ohara mit ihrer Live-Elektronik-Performance das Publikum zu körperlicher Betätigung anzuregen versuchen. Was sich als unmöglich herausstellt: Das hartnäckig sitzende Publikum möchte kein Detail der phantasielosen Projektionen von Ballerina-Collagen und Walter Ruttmannscher Videokunst verpassen. Irgendwann trällert eine Dame (die erste des Abends) kurz in ein Megaphon. Das Ganze mutet leider seltsam an, gerade weil die psychedelische Clubmusik des Duos eigentlich hörenswert ist.
Niemals Soli, viel leerer Raum
Betont zurückhaltend betreten Wire die Bühne. Von ihrem 1977er-Debüt „Pink Flag“ bis zum eben erschienenen „Silver/Lead“ haben sich Wires Kompositionen schrittchenweise vom Art-Punk in Richtung eines schweren, einlullenden Rocksounds verabschiedet. Dabei sind sie ihrem künstlerischen Prinzip treu geblieben. Auch bei den neueren Stücken sind die Gitarrenläufe geometrisch und klar. Niemals Soli, dafür viel leerer Raum. Robert Grey, der mit geschlossenen Augen hinter seinem Schlagzeug wie ein meditierender Yogi sitzt, generiert einen beständigen Rhythmus, über den Colin Newman bedächtig seine Stimme legt.
Als für die Zugabe zehn weitere Gitarristen auf die Bühne kommen, um den legendären, nur aus einem Akkord bestehenden Titelsong von „Pink Flag“ zu spielen, schlägt die Stimmung endgültig um. Nun darf gar getanzt werden – nur fürs Foto, versteht sich.
Frederic Jage-Bowler