Helge Malchow im Interview: KiWi-Chef: „Verlage müssen Magnetpunkte sein“
Die Digitalisierung, die Planbarkeit von Bestsellern und die Krise des Buchmarkts: ein Gespräch mit Helge Malchow, dem Verleger von Kiepenheuer & Witsch.
Herr Malchow, es gehört zu den Gepflogenheiten der Buchbranche, ein wenig zu klagen – und trotzdem noch ganz gute Geschäfte zu machen. In diesem Jahr ist das anders. Man kann schon von einer Krise sprechen, oder?
Ach, ich wäre da trotzdem vorsichtig. Allerdings gibt es in der Tat in letzter Zeit statistisch nachweisbar weniger Käufer von Büchern, und dieser Einbruch kommt so plötzlich doch abrupt. Warum das in den letzten ein, zwei Jahren stattgefunden hat, ist aber noch nicht ganz klar.
Wie sieht es bei Ihrem Verlag Kiepenheuer & Witsch aus? Verkaufen Sie weniger?
Nein, für uns kann ich das nicht bestätigen. Die Zahl der verkauften Bücher ist auch in dieser Zeit bei KiWi gestiegen, auch die Umsätze. Das Ganze findet aber in einem leicht schrumpfenden Markt statt. Allerdings sind einige Bücher ein wenig teurer geworden, das hat die Umsatzrückgänge etwas kompensiert.
Worin sehen Sie denn die Gründe für den Rückgang der Buchverkäufe?
Im Einfluss der digitalen Medien, dem Siegeszug des Smartphones, gegen das alle anderen Medien verloren haben. Der schnelle Medienkonsum hat zugenommen. Dann die Konjunktur von Serien auf Netflix und Amazon etc.. Das Format hat ja etwas Romanhaftes, all das hat Auswirkungen auf das individuelle Zeitbudget.
Das dürfte in nachwachsenden Generationen noch eklatanter sein als bei denen ab 40 aufwärts.
Ja, vermutlich, obwohl ich auch da kein Katastrophendenker bin. Wenn die Altersgruppe zwischen 20 und 30 weniger liest, muss sich das nicht linear fortsetzen. Die meisten Menschen sind in dieser Zeit damit beschäftigt, ihre Berufswege zu finden, dann kommen Familiengründungen dazu. Das kann sich mit 40, 45 auch wieder ändern und zu einer Rückkehr zum Buch führen, egal ob auf Lesegeräten oder Papier. Und eins muss man auch sagen: Dieser Rückgang findet größtenteils im Feld der auswechselbaren Massen- und Unterhaltungsliteratur statt. Da ist das Smartphone heute die Alternative.
Bei der anspruchsvolleren Literatur oder den relevanten Sachbüchern muss man sich also keine Sorgen machen?
Der Einbruch ist da kleiner, wenn es denn überhaupt einen gibt. Hier rechtfertigen sich Bücher als Medium. Klar, auch hier konkurriert man mit Serien, Filmen oder guten Computerspielen. Aber das Medium Buch hat noch einmal andere Qualitäten, und wenn man die herausstreicht, können sie sich im neuen Konkurrenzumfeld behaupten. Um die Triftigkeit von Büchern geht es. Mich motiviert das, das ist eine schöne Herausforderung.
Wie bekommt man denn die abgewanderten Leser und Leserinnen zurück? Doch wohl nicht mit Beach-Clubs in Buchhandlungen und Lesungen in Fitness-Clubs, wie es neulich in einer Studie erwogen wurde?
Ich habe zumindest prinzipiell nichts gegen sogenannte Events, gegen große Literaturfestivals beispielsweise, es kommt ja auch darauf an, das Medium Buch, die Autoren und Autorinnen in der Öffentlichkeit präsent zu halten. Aber man sollte damit die Stärken des Buchs sichtbar machen, nicht es zurückdrängen. Wichtig ist, das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Bücher Qualitäten besitzen können, die andere Medien nicht haben. Es mag sein, dass Cafés in Buchhandlungen helfen. Der Fehler in den letzten Jahren war, dass der Buchhandel etwas zu sehr in Richtung Supermarkt ging: Verkaufsflächen wurden erweitert, das qualifizierte Personal reduziert. Dieser Trend ist aber vorbei. Man hat erkannt, dass es um Beratung und das Wecken von Begeisterung geht.
Mal ketzerisch gefragt: Braucht es im Digitalzeitalter überhaupt noch Bücher?
Aber sicher! Ob auf Papier oder digital, ist mir gar nicht so wichtig. Es muss klar sein, dass ein Buch in der Lage ist, mehr zu vermitteln als ein Zeitungstext, dass ein literarischer Roman wirklich besser ist als ein trivialer Unterhaltungsroman, eine fundierte soziologisch-wissenschaftliche Analyse auf durchschnittlich 300 Buchseiten mehr zu leisten vermag als ein Kommentar auf der Meinungsseite einer Tageszeitung. Bücher sind Vertiefungsmedien. Das Groteske ist doch: In einer Welt, in der alles immer komplizierter und unüberschaubarer wird, kann die Antwort nicht sein, immer schnellere, kürzere Medieninhalte zu produzieren, um diese Welt zu verstehen.
Wie hat sich denn Ihre Arbeit als Verleger in den letzten zehn, 15 Jahren verändert?
Ich spreche tatsächlich mehr über das Buch als Medium, seine Besonderheit jenseits einzelner Inhalte. Das ist vielleicht so wie früher, als das Kino aufkam: da mussten die Theaterleute auch erklären, worin das Besondere am Theater besteht.
Verzichten sie darauf, ein bestimmtes Buch zu drucken, wenn es sich nicht legitimiert?
Ja. Es gab eine Zeit, in der wir Bücher gemacht haben, gerade Sachbücher, deren Inhalte heute in Magazinen auf drei, vier Seiten bestens abgehandelt werden. Wir fragen immer häufiger: Ist das ein Buch?
Man den Eindruck, es werden immer noch viel zu viele überflüssige Bücher veröffentlicht, gerade in der anspruchsvollen Literatur, der Sach- und Debattenbücher.
Alle in der Branche wissen, dass zu viele Titel veröffentlicht werden. Die Zahl hat sich in den letzten Jahren drastisch reduziert, auch wenn das von außen vielleicht noch nicht auffällt. Aber dann gibt es diese kapitalistische Marktdynamik: Nach einem „schlechteren“ Jahr ist die Verführung groß, mehr Titel zu veröffentlichen, um eben diesen einen Topseller zu finden, der die Lücke schließt.
"Wir müssen das Urheberrecht verteidigen"
Wie ist das in Ihrem Verlag?
Tatsächlich hat sich die Zahl der Titel bei uns kaum verändert. Unser Glück ist, dass die Zahl der Bücher, die den Gesamtumsatz tragen, relativ hoch ist. Wir hängen also nicht so stark von einem Bestseller ab. Das liegt an einer jahrelangen, intensiven Zusammenarbeit mit den Autoren. Ein Feridun Zaimoglu ist im Buchhandel über die Jahre bekannt, das Risiko für den Buchhändler geringer. Bei einer neuen, unbekannten Autorin ist das anders.
Lassen sich Bestseller planen? Wie bei Ihnen Frank Schätzings neues Buch „Die Tyrannei des Schmetterlings“?
Der hohe Bekanntheitsgrad von Frank Schätzing ist nur ein Punkt. Es geht bei den Verkaufszahlen neben der Qualität seiner Bücher aber auch immer um die Themen, bei „Tyrannei des Schmetterlings“ um das Thema Künstliche Intelligenz, bei dem der Autor sich in seinem Buch als großartiger Kenner zeigt.
Bei Hanser, Suhrkamp, Dumont, Piper oder auch Rowohlt gibt es neue Chefs. Ein Generationswechsel? Oder hat der personelle Umbruch mit der Buchmarkt-Krise zu tun, mit einer gewissen Nervosität?
Das glaube ich nicht. Meistens arbeiten spätere Verleger ja schon länger in Verlagen, so jung sind sie nicht mehr. Unterschiede ergeben sich aus der Erfahrung der Digitalisierung. Die neue Generation kennt die neuen Kommunikationskanäle, die anderen Formen der Vermittlung von Literatur mehr von innen. Dann die größere Zahl von Frauen. Darin spiegelt sich in der Buch- und Verlagsbranche der gesellschaftliche Wandel. Trotzdem: Die neue Generation wird das Buch nicht völlig neu erfinden.
Im Fall der Laugwitz-Entlassung und Illies-Berufung bei Rowohlt heißt es jetzt immer mal wieder, ein Verleger, eine Verlegerin brauche Strahlkraft und sollte bekannt sein. Muss das wirklich so sein?
Das halte ich für totalen Quatsch. Verleger und Verlegerinnen brauchen keinen Glamourfaktor. Es gibt immer unterschiedliche Typen. Als Verleger musst du in drei Richtungen schauen: Zu den Autoren und Autorinnen, daraus entsteht das Programm. Dann kommen die Mitarbeiter, die den Büchern zur Welt verhelfen. Und dann kommt die Öffentlichkeit, klar. Auf welchem Gebiet man besondere Stärken und Talente hat, ist unterschiedlich. Das ist ähnlich wie bei Fußballtrainern.
Was macht Verlage aus, jenseits davon, Bücher zu verlegen und sie zu vermarkten?
Ich finde, Verlage müssen sich als öffentliche Institutionen mit Gestaltungsanspruch verstehen. Es gilt das europäische Modell von Verlagskultur zu verteidigen, das Modell von Suhrkamp, Rowohlt, KiWi, Feltrinelli, Gallimard, Verlage, die jeder kennt – auch im Vergleich zum angloamerikanischen Modell, wo der Einfluss der Agenturen auf die Verlagsprogramme traditionell größer ist. Ein Verlag ist mehr als die Summe von Büchern: Er soll ein erkennbarer Magnetpunkt für ein bestimmtes Denken und Schreiben sein. Gerade im digitalen Zeitalter ist das wichtig, in dem die Informationsströme immer beliebiger werden, die Zugänge demokratischer, offener. Da braucht es mehr als zuvor Sortier-, Filter- und Kristallisationspunkte, an denen sich der Leser orientieren kann. Das ist es, was gute Verlage ausmachen.
Was ist die größte Herausforderung für die Buchbranche in den nächsten Jahren? Weiterhin die Digitalisierung?
Ich glaube, das mit der Digitalisierung pendelt sich ein. Das E-Book hat seine Anteile am Markt, es hat das gedruckte Buch aber nicht verdrängt. Heute geht es vor allem um die Digitalisierung der Organisationsabläufe, wie in anderen Branchen auch. Nein, was wirklich wichtig ist, was es im Internetzeitalter unbedingt zu erhalten, zu verteidigen gilt, das ist das Urheberrecht. Daran hängt die Zukunft des Buches. Es geht darum, dass die Künstler, dass Autoren, Autorinnen und ihre Partner, die Verlage, von ihrer Arbeit leben können. Wenn sich die Logik durchsetzt, alles gratis geliefert zu bekommen, nur weil es technisch machbar ist, dann bekommen wir eine neue, verwahrloste Form von werbegetriebener Kultur, die ihren Namen nicht mehr verdient.
Welches Buch sollte man unbedingt lesen in diesem Herbst, welchen Autor oder welche Autorin? Bitte ein Tipp, aber niemand aus dem Kiepenheuer und Witsch Verlag.
Für mich ist der französische Autor Emmanuel Carrère eine der größten Entdeckungen in den letzten Jahren, „Das Reich Gottes“, „Limonow“ oder „Ein russischer Roman“. Ich finde ihn deshalb so beeindruckend, weil er ein neues Genre populär gemacht hat, eine neue Form von Literatur: den Mix aus Autobiografie, Fiktion und Essay. Man erkennt dadurch die Welt neu, das ist phänomenal.