Blockbuster "The Dark Knight Rises": Was zwischen Realität und Leinwand liegt
Gewalt und Fantasie: Bei der Filmpremiere in Denver, Colorado, gab es letzten Freitag ein Massaker. Jetzt kommt Christopher Nolans Abschluss seiner Batman-Trilogie "The Dark Knight Rises" auch bei uns in die Kinos.
Nein, er trägt keine Gasmaske wie der Amokläufer in Aurora, Colorado. Es ist eher ein metallischer Maulkorb, eine am Gesicht festgezurrte Atemprothese. Der Bösewicht in „The Dark Knight Rises“ braucht sie, um Narkotika zu inhalieren. Ohne Betäubung leidet er entsetzliche Qualen, seit ihm in der Kindheit Gewalt angetan wurde.
Der Täter im Vorort von Denver war verkleidet, wie viele seiner Opfer und viele der Überlebenden, junge Fans, die im Batman-Kostüm gekommen waren, um sich den siebten Batman-Film anzuschauen, gleich am Premierentag, in der Nacht zum Freitag. Den Abschluss der Christopher-Nolan-Trilogie konnten sie noch nicht kennen, konnten nicht wissen, dass es der düsterste, apokalyptischste der Nolan-Filme wäre, bei dessen Vorführung mitten in die Gewaltfiktion die reale Gewalt hereinbrechen würde. Dass der Stadt Gotham erneut die totale Vernichtung drohen würde, in einem Racheakt an der Menschheit, der schlimmen Kindheit wegen. Und dass dieser Vergeltungsschlag auf eher altmodische Weise vollzogen würde, nicht mit Spezialeffekten in 3 D, sondern mit echten Stunts, schwerem Gerät, Untergrundarmee, Tonnen von Sprengstoff und einer Atombombe, die nicht zu entschärfen ist, wenn der Countdown erst mal läuft. James Holmes, der 24-jährige Mörder von Aurora, hatte drei Waffen dabei, darunter eine halbautomatische Smith & Wesson.
Das Besondere an den Batman-Comics und vor allem der Nolan-Filme ist ja die Schwierigkeit, Gut und Böse schon rein äußerlich zu unterscheiden. Allein die Masken haben etwas Komplementäres: Die des Bösewichts lässt die Augen frei, die von Batman den Mund. Und Batman in voller schwarzer Montur könnte auch ein Ballermann aus einem Videospiel sein, einer dieser Egoshooter, auf die sich schon die früheren Amokläufer von Colorado beriefen, jene jugendlichen Mörder in der Columbine High School von Littleton, unweit von Denver vor 13 Jahren.
Hat nicht auch Batman schwere Schuld auf sich geladen, am Ende von Nolans zweitem Batman-Film? Setzt er die Schattenarmee nicht selber in Gang, weil er in seiner Tag-Gestalt als Milliardär Bruce Wayne seine Waisenhäuser vernachlässigt hat, aus denen das Maskenmonster nun seine Schergen rekrutiert? Üben nicht beide Selbstjustiz, der Rächer und der Retter? In „The Dark Knight“ hatte Nolan, mit dem noch vor der Premiere 2008 gestorbenen Heath Ledger, die philosophische Frage in ein diabolisches Maskenspiel aufgelöst. James Holmes nannte sich angeblich „der Joker“, färbte sich die Haare rot, war schwerbewaffnet. So spielte er auf beide an, auf Ledgers virtuosen Psychopathen und Tom Hardys Kraftpaket Bane. Wenn auch nur vage: Jokers Markenzeichen war nicht das bunte, meist giftgrüne Haar, sondern sein infernalisches Grinsen.
Der Attentäter vor Gericht:
Bane ist das genaue Gegenteil von Joker. Eine Kampfmaschine mit bulliger Statur, Muskeln aus Stahl, ledriger Haut, Glatze und Militärkluft. Heath Ledger irrlichterte als wahnwitziger Nihilist über die Leinwand, jenseits der Moral und der Geschlechteridentität. Bane ist ein hartleibiger Fundamentalist, ein Macho, ein Finsterling aus der Unterwelt. Der eine trug die Fratze des Bösen, Tom Hardy verkörpert die „Bane-ality of the evil“ („Variety“), die Banalität des Bösen.
Der Streifen hat 007-Format.
Wobei Bane kein hirnloser Draufgänger ist und schon gar kein Einzeltäter. Die ausgeklügelte martialische Logistik, mit der er und seine Söldner erst einen Atomphysiker aus einer CIA-Maschine entführen, um Gotham bald darauf in eine Bürgerkriegshölle zu verwandeln, dieser Terrorplan hat es in sich. Während der Ouvertüre wähnt man sich übrigens in einem Bond-Streifen, denn die spektakuläre Aktion, bei der ein Transportflugzeug eine Turboprop in der Luft kapert, das Cockpit köpft und den Rumpf senkrecht in den Boden rammt, hat 007-Format. Und dass Bane den Gotham- Ritter mit eherner Körperkraft bezwingen will, hat gleich eine doppelte Logik. Erstens ist die Bane-Figur in den 80er-/90er-Jahre-Comics diejenige, die Batman zur Strecke bringt. Zweitens stellt sich auch bei Batman die Frage nach der Körperkraft dringlich wie nie, ist er doch in die Jahre gekommen. Helden verschleißen schneller als andere Leute.
Das Verhalten des Attentäters vor Gericht gibt Rätsel auf:
Im Kino hat man inzwischen viele angeschlagene Supermänner gesehen. Aber ein am Krückstock humpelnder Fledermaus-Ritter, der sich stöhnend in Beinschienen hineinquält, bevor er sich mit Batmobil, Batpod oder – neuestes Superding – mit dem fliegenden Bat aufmacht, die Stadt zu retten? Der von seinem getreuen Butler Alfred (Michael Caine) bedrängt wird, er möge sich bitte zurückziehen und eine Familie gründen? Und dem der Arzt die kaputten Knie eines Opas bescheinigt? Mehrfach gehen Bane und Batman mit den Fäusten aufeinander los, zwei Gladiatoren im Endzeitkrieg, zwei Schmerzensmänner im Clinch. In den ersten Teilen der Nolan-Trilogie war es die Angst, die besiegt werden sollte. Nun kommt der Schmerz hinzu. Er ist es, der Banes Hass gebiert und Batman schier übermenschliche Kräfte verleiht – er muss die Pein nur ertragen lernen.
Kein Wunder, dass für Nolan wie für Christian Bale nach dieser Produktion endgültig Schluss ist mit der Fledermaus-Rolle. Wer will schon so hinfällig werden, trotz des Wiedersehens mit alten Getreuen wie Alfred, Officer Gordon (Gary Oldman) und Lucius Fox (Morgan Freeman)? Im Film sind acht Jahre vergangen, seit Batman das letzte Mal ran musste. Bale spielt den Dandy im museal wiederaufgebauten Herrenhaus melancholischer, verquälter denn je. Und kaum dass Batman aus tiefer Depression gerissen wird, landet er in einem noch tieferen Brunnenschacht, in Al-Qaida-Land.
Was dem Zuschauer erneut längliche Flashbacks und wiederholte psychoanalytische Erklärungsmuster beschert: Wieder greift der britisch-amerikanische Regisseur, seit „Memento“ ein Meister der Rückblenden, in die Mythenkiste, webt Kindheitstraumata und Schuldkomplexe hinein. Das Bleischwere, ja Plumpe dieser 163 Minuten langen, zunächst hoffnungslos verhackstückten Story wird dadurch nur noch verstärkt, von Hans Zimmers Wummer-Soundtrack zu schweigen. Wenn Batman und Bane sich mit maskenverzerrten Stimmen anknurren, als begegne Darth Vader sich selbst, entsteht höchstens unfreiwillige Komik. Auch die Dialoge scheinen von Billiggagschreibern verfasst, die Pointen lahmen. Kostprobe: „Meine Mutter hat mir verboten, zu fremden Männern ins Auto zu steigen“, sagt Catwoman zu Batman im Tumbler. Antwort: „Das ist kein Auto.“
Bricht das Zeitalter der Action-Heldinnen an?
Wobei Catwoman alias Meisterdiebin Selina Kyle alias Anne Hathaway wenigstens etwas Tempo und Spaß ins Geschehen bringt, wenn sie im Femme-fatale-Look die Männer in Schach hält. Auf die Frage, ob ihre High- Heel-Stiefel ihr nicht zu schaffen machen, schlitzt sie dem Fragenden mit ihrem Schuhwerk das Bein auf: „Keine Ahnung, und Ihnen?“. Batman rettet die Stadt? Erst mal muss Catwoman Batman retten: Bricht jetzt das Zeitalter der Action-Heldinnen an?
Video: Attentäter von Aurora vor Gericht
Auch Nolans Entscheidung für analog gedrehte Action und gegen Computerspektakel à la „Inception“ bescheren dem Publikum trotz hochauflösender Imax-Kameras vor allem die Anmutung eines Kriegsfilms der Achtziger oder gar eines Sandalenfilms. Mann gegen Mann: Vielleicht legte die 250-Millionen-Dollar-Produktion nach der Nachricht vom Massaker auch deshalb „nur“ den drittbesten US-Filmstart aller Zeiten hin. 160 Millionen Dollar spielte er am Wochenende ein. Kaum ein Bild, das sich einprägt, abgesehen von Banes großer Kampfansage an Gothams Bewohner im Footballstadion. Erst singt ein kleiner Junge vor Zigtausenden die Nationalhymne, dann sprengt Bane den Footballern den Rasen unter den Füßen weg – unter der Kruste der Zivilisation gähnt ein apokalyptischer Abgrund.
Womit wir bei der Politik wären: Nolans Batman-Filme artikulieren die Traumata und das Unbehagen der westlichen Welt am eigenen Gewaltpotential. 9/11, die Terrorangst, der Krieg gegen den Terror, das waren die Themen. Jetzt kommt die Finanz- und Bankenkrise hinzu – weshalb Gotham New York ähnlicher sieht als bisher. Bane stürmt die Wall Street, reitet den Milliardär Bruce Wayne in die Pleite und hetzt die einfachen Leute gegen die Reichen auf. Occupy Wall Street, mit den Mitteln des Popcorn-Kinos.
Ein interessanter Reflex – wenn er nicht so negativ konnotiert wäre. Nolan, der das Drehbuch wieder mit seinem Bruder Jonathan schrieb, kriminalisiert die Occupy-Bewegung, wenn er den Aufruhr der 99 Prozent in jakobinische Tribunale gegen die Reichen münden lässt und der Mob gutbürgerliche Wohnungseigentümer unter ihren Kommoden hervorzerrt. Die Moral dieser Verteufelung von sozialem Gerechtigkeitssinn: Wenn es den Börsianern und Milliardären an den Kragen geht, bricht die Barbarei aus. Auch da war der letzte Batman-Film klüger: Joker verbrannte einen Dollar-Berg, ein Fanal auf die Gier aller Menschen. Und die Graswurzel-Charity-Frau (Marion Cotillard), deren Charme auch Batman erliegt, erweist sich am Ende als die schlimmste Terroristin. Die Rehabilitation von Gesetz und Ordnung dürfte der Tea Party gefallen – wobei konservative Verschwörungstheoretiker schimpfen, mit der Assonanz von Bane und Mitt Romneys früherer Firma Baine werde Batman zum Wahlkampfhelfer Obamas.
Die Leinwand ist eine dünne Membran, durchlässig für das kollektive Unbewusste, für Kinderträume, Gewaltfantasien, niedere Instinkte. Nicht erst seit „Reservoir Dogs“ „Natural Born Killers“, und „Pulp Fiction“ gehen wir ins Kino, um tausend Tode zu sterben – und zu überleben. Wenn das Kino aber zum Schauplatz eines realen Massakers wird, lässt es uns mit unseren Ängsten allein. Und die Bilder erschrecken vor sich selbst: Warner Brothers, die auch die Batman-Filme produzierten, wollen den Start von „Gangster Squad“ verschieben: Darin schießen Killer durch die Leinwand aufs Publikum. In den USA wird wieder über Gewaltbilder und Waffengesetze diskutiert – und nichts ändert sich. Unter den Toten von Aurora war auch ein sechsjähriges Mädchen.
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