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Ein Land in Trauer. Nach dem Massaker gedachten Menschen an vielen Orten der Vereinigten Staaten der Opfer.
© AFP

Nach dem Kino-Attentat: Schweigen zum Waffenrecht

Die Morde im Kino von Aurora werden kaum dazu führen, dass die Mehrheit der Amerikaner umdenkt. Auch Obama und Romney haben es bislang vermieden, sich zu möglichen Änderungen am Waffenrecht zu äußeren.

In den ersten Tagen nach der Tragödie liegt eine düstere Stimmung betroffener Hinnahme über dem Land. Amerika betrauert die zwölf Toten und 59 Verwundeten der Kinoschießerei in Aurora, einem Vorort am östlichen Stadtrand von Denver, Colorado. Im ganzen Land wehen die Flaggen auf Halbmast. Der Filmkonzern Warner Brothers hat die mehr als hundert Millionen Dollar teure Werbekampagne für „The Dark Knight Rises“, bei dessen Mitternachtspremiere in der Nacht zu Freitag die Schüsse gefallen waren, vorerst gestoppt. Präsident Barack Obama und sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney haben ihren Wahlkampf unterbrochen.

Zugleich aber sind die Erwartungen gering, dass das allgemeine Erschrecken über das erneute Blutbad einen dauerhaften Einfluss auf Amerikas Umgang mit Waffen haben wird. Für die meisten Ausländer ist er ein Rätsel, für die meisten Amerikaner eine Selbstverständlichkeit. Einzelne, durchaus prominente Stimmen fordern eine offene Debatte über das Waffenrecht, darunter New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg. „Jeden Tag werden Menschen mit Waffen getötet. Wir müssen das beenden.“ Es reiche nicht aus, die Hände zu ringen, zu erklären, wie tragisch so ein Vorfall sei, und zu Mitgefühl mit den Familien der Opfer aufzurufen. Bloomberg forderte Obama und Romney auf, konkret zu sagen, was sie am Waffenrecht ändern wollen, um solche Vorfälle zu verhindern.

Batman-Regisseur Christopher Nolan sprach in einer Erklärung von einer „sinnlosen Tragödie“.
Batman-Regisseur Christopher Nolan sprach in einer Erklärung von einer „sinnlosen Tragödie“.
© dpa

Die beiden haben darauf bisher nicht reagiert. Obama und Romney haben die Tat verurteilt, ihre Betroffenheit ausgedrückt, um menschliche Zuwendung und Gebete für die Angehörigen der Opfer aufgerufen. Zum Waffenrecht sagten sie kein Wort. Die Debatte um das „Second Amendment“ der Verfassung, das eigentlich von Bürgermilizen handelt, aber höchstrichterlich so ausgelegt wird, dass es jedem Bürger die Freiheit des Waffentragens garantiert, ist politisch vermintes Gelände. Eine offene Debatte darüber erscheint beiden viel zu riskant.

Die Bilder vom Tatort in Aurora:

Auch die „Brady Campaign to Prevent Gun Violence“ – benannt nach Ronald Reagans Pressesprecher James Brady, der bei dem Attentat auf Reagan 1981 angeschossen wurde, seither behindert ist und für die Verschärfung des Waffenrechts kämpft – forderte nationale Besinnung: „Wir haben ein nationales Problem, weil es so leicht ist, Waffen zu bekommen.“ Die meisten Experten bezweifeln, dass die Schießerei zu einer Reform des Waffenrechts führt. David Kopel, Jura-Dozent an der Universität Denver, sagt, das hätten die Gegner auch nach den Schüssen auf die Abgeordnete Gabrielle Giffords in Tucson im Januar 2011 und der Erschießung des schwarzen Teenagers Trayvon Martin in Florida im Februar 2012 versucht, aber nichts erreicht.

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Einmal war das anders gewesen: Nach dem Massaker an der Columbine High School 1999. Damals erschossen zwei Schüler zwölf Mitschüler und einen Lehrer und verwundeten 21 weitere Schüler. Die Schule liegt ebenfalls in Colorado, rund 30 Kilometer südwestlich von Aurora, am gegenüberliegenden Stadtrand von Denver. Danach wurden die Auflagen für den Waffenkauf verschärft. In zahlreichen Prozessen hat die Waffenlobby National Rifle Association (NRA) erreicht, dass viele dieser Bestimmungen in der Praxis ins Leere laufen oder nicht in jedem Fall angewendet dürfen. Die Überprüfung der Personendaten eines Waffenkäufers gilt vielerorts nur für lizensierte Waffenläden, nicht aber für herumreisende Händler auf „Gun Shows“. In Colorado muss man einen Waffenschein haben; nach der Rechtsprechung darf er aber niemandem verweigert werden, der nicht rechtskräftig verurteilt oder gerichtlich unter Vormundschaft gestellt wurde oder eine nachgewiesene Geisteskrankheit hat.

James Holmes, der Schütze im Kino in Aurora, hatte seine Waffen ganz legal erworben. Die NRA und ihre Anhänger nutzen den Vorfall sogar zum Aufruf, die Vorschriften zu lockern. „Hätte es in diesem Kinosaal gesetzestreue Bürger gegeben, die eine Waffe mit hineinnehmen dürfen, hätten sie den Täter früher stoppen können“, sagte Luke O’Dell von den Rocky Mountain Gun Owners. Es ist ein gängiges Argument der NRA. Sie behauptet auch, der Terrorangriff mit entführten Flugzeugen auf New York hätte nicht funktioniert, wenn US-Bürger geladene Waffen mit an Bord nehmen dürften; sie hätten die Entführer aufgehalten.

Der Täter James Holmes richtete das Blutbad bei der Premiere des neuen Batman- Films in Aurora an.
Der Täter James Holmes richtete das Blutbad bei der Premiere des neuen Batman- Films in Aurora an.
© Reuters

Für die politischen Gegner sind das Horrorvorstellungen. Dan Gross von der Brady Campaign fürchtet, es werde noch mehr Tote geben, wenn Bürger ohne Spezialausbildung an Bord eines Flugzeugs in 10 000 Meter Höhe oder in einem Kinosaal wie in Aurora, in dem die Sicht durch Rauchbomben behindert wird, mit eigenen Waffen um sich schießen, weil sie glauben, sie seien Zeugen eines Verbrechens, das sie stoppen können.

Nach ersten Eindrücken wird der finanzielle Erfolg des Films „The Dark Knight Rises“ nicht leiden, auch wenn die offizielle Werbekampagne gestoppt wurde. Der Titel ist in aller Munde, wenn auch aus traurigem Anlass. Anders als in Paris zeigen die Kinos in den USA ihn weiter. Warner Brothers hat in seinen PR-Aktionen auf „Damage Control“ umgeschaltet. Man werde in den nächsten Tagen „aus Respekt vor den Opfern“ keine Zahlen über den Ticketverkauf bekannt geben. Der praktische Nebeneffekt dieser Geste der Empathie: Falls die Kinobesuche sinken, bleibt das zunächst verborgen. Beim Vorgängerfilm „The Dark Knight“ waren die Verkäufe vom Freitag, zu dem der Massenansturm auf die Mitternachtspremieren gerechnet wird, zum Samstag um 29 Prozent gefallen. Es ist nur natürlich, dass das 2012 ähnlich ist. Der Konzern will aber Schlagzeilen vermeiden, dass ein solcher Rückgang durch die Schießerei ausgelöst wurde.

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