Deutsches Symphonie-Orchester Berlin: Kent Nagano macht aus Mahlers Zweiter ein Himmelsfanal
Kent Nagano dirigiert das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin. Der Amerikaner verleiht Mahlers Zweiter eine Intensität, die einem den Atem verschlägt.
Überwältigend ist sie immer, allein schon durch die Klangmassen, die sie vor allem zum Schluss auffährt. Und wenn der Chor wie aus dem Nichts sein „Auferstehn“ intoniert, kann es schon mal feuchte Augen geben. Gustav Mahlers 2. Sinfonie mit dem Titel „Auferstehung“ ist die Projektionsfläche für Todesangst und Sinnzweifel, doch auch für allzu paradiesisch jubelndes Pathos.
Bei Kent Nagano am Pult des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin behält die klare, staunende Aufmerksamkeit die Oberhand. Dennoch bleibt es nicht bei analytischer Kühle, wie sie dem großen Dirigenten allgemein attestiert und teils auch vorgehalten wird. Zu bestaunen ist an diesem Abend in der Philharmonie, wie Strukturklarheit sich in Emotion wandelt, wie genaueste Freilegung divergenter Klangschichten mitten ins sinfonische Drama führt. Nichts scheint zunächst zusammenzupassen: Äußerst wuchtig, knurrig exponieren die Streicherbässe das gezackte erste Thema, zögernd setzen die Holzbläser mit Trauergesängen ein. Das wirkt beinahe grotesk, scheint den Trauermarsch aus Mahlers 1. Sinfonie fortzuspinnen. Wenn der „schwere Kondukt“ trommelrasselnd am Grabe ankommt, singen die Violinen von Hoffnung und Himmelslust – doch jede Beruhigung wird jäh zerschmettert, stürzt in Abgründe, in denen es lange im Pianissimo brodelt, Endpunkt und Übergang zu Unvorstellbarem.
Orchestrale Glanzpunkte
Virtuos spielt Nagano mit Temposchwankungen, gewinnt aus Brüchen, Übergängen und Kontrasten atemverschlagende Intensität. Auch vor den Mittelsätzen, die Nagano oft nur als kleines Luftholen im Seelendrama auffasst, macht das nicht halt. Dem gemütvollen Andante-Menuett, der kuriosen „Fischpredigt“ als Scherzo wird mit grellen Überzeichnungen eine metaphysisch-ironische Schicht eingezogen, die direkt in die Verwerfungen des Finales führt. Das versammelt orchestrale Glanzpunkte: Das Fernorchester, das ebenso mit mahnenden Himmelsfanfaren das reine Nichts auf dem Podium entstehen lässt wie es brutal dort aufkommende Harmonien zerschlägt; das züngelnde Streichertremolo nach spannungsvoll aufgelichtetem Klanggewühl, aus dem sich die Flötengirlanden des „Totenvogels“ vor Eintritt der Ewigkeit erheben. Bis die Audi-Jugendchorakademie jenes „Auferstehn“ mit klarer Diktion zum hinreißenden Schlussjubel steigert.
Dem vorausgehenden „Urlicht“ bleibt Okka von der Damerau mit strömendem Mezzo ein wenig zarte Innigkeit schuldig, während Alexandra Steiner bewegende Soprantöne aus dem Chorgesang hervorwachsen lässt.