Das DSO in der Philharmonie: Klang des Paradieses
Zeitlose Seelenlandschaft: Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter Robin Ticciati spielt Wagner und Messiaen.
Wie viel Zerknirschung ist notwendig, um sich für das zu öffnen, was gemeinhin als Glauben bezeichnet wird? Wie tief muss der Höllenschlund klaffen, damit die Seele sich endlich um ihr Heil schert? Wie klingt eigentlich das Paradies? Die Fragen, die Robin Ticciati und sein Deutsches Symphonie-Orchester Berlin mit ihrem Konzertprogramm in der Philharmonie aufwerfen, könnte man endlos fortspinnen. Das allein macht den Abend zu einem Gewinn. Wundersam und beglückend aber ist, wie sicher Ticciati die Bedürfnisse zu verbinden weiß, wie fein er den Wunsch nach Verzauberung und Trost mit jenem nach Erkenntnis verflicht.
Während Rattle und Barenboim sich für ihre Parsifal-Aufführungen zu Ostern rüsten, geht Ticciati ihnen mit dem leuchtenden Vorspiel zum ersten Akt voran: Sein Wagner muss sich nicht mit Pathos panzern, er darf atmen, darf singen. Die Streicher des DSO können ihre ganze Klasse zeigen, homogen und vielfarbig, sanft aufrauschend und unerschütterlich zugleich. Ticciati wirkt ganz und gar mit seinen Musikerinnen und Musikern verbunden und braucht keinen Exzess an Zerknirschung zu inszenieren, um den Trost in der großen Suchbewegung der Parsifal-Musik glaubhaft werden zu lassen. In dieser Kondition würde man sich mit ihm jederzeit in das gesamte Bühnenweihfestspiel um die leidenden Gralsritter begeben.
Ticciati motiviert das DSO zu viel individueller Attacke
Olivier Messiaens „Chronochromie“ unterbricht Wagners Schreiten durch Raum und Zeit mit Vogelstimmen, die der Komponist der Natur abgelauscht und sie in einen für Menschen spiel- und hörbaren Bereich übertragen hat. Ein kaum zu entwirrendes Hochamt der Vielstimmigkeit inmitten von Windstößen und Klangfelsen. Eine gänzlich andere Konstruktion von Ewigkeit, wie die in Wagners schmerzlichem, nach Erlösung strebendem Liebesmotiv. Ticciati motiviert das DSO zu viel individueller Attacke, seine Vögel sind partout keine domestizierten Stangenhocker.
Darauf hätte am besten ohne Pause das Requiem von Maurice Duruflé folgen sollen, das in großen, sanft auslaufenden Wellen rückwärts schaut: Seine Totenmesse für Solisten, Chor, Orchester und Orgel findet ihr ruhendes Zentrum in der Besinnung auf die Gregorianik, die Gesänge der Klöster. Den Höllensturz des „Dies irae“ braucht Duruflé in seinem 1947 uraufgeführten Werk nicht zu betonen, das kollektive Entsetzen über den Zweiten Weltkrieg saß tief. Der Rundfunkchor taucht jenseits aller Monotonie in eine bewusst zeitlose Seelenlandschaft ein, in der das Paradies sein Geheimnis behalten darf – auch wenn Ticciati ihm nahe kommt.
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