zum Hauptinhalt
Zugezogen Maskulin: Moritz Wilken (hinten) und Hendrik Bolz sind Jahrgang 1988 - und nicht auf den Mund gefallen.
© Marc Cantarellas Calvo

Rap-Duo Zugezogen Maskulin: Keinen Bock auf Aggro

Das Rap-Duo Zugezogen Maskulin vereint auf dem Album „Alles brennt“ Politik und Ironie. Die Musiker offenbaren sich, trotz vielversprechender Ansätze, als Gefangene ihrer Generation. Ein Jungmännertreffen.

Im Krisensommer 2008 wollte der Joker im Batman-Film „The Dark Knight“ die ganze Welt anzünden. Für die Generation der Ende der Achtziger Geborenen klang das – nach einer Jugend zwischen 9/11 und Finanzkollaps – wie ein schlechter Scherz, eine leere Drohung oder eine ganz okaye Idee.

„Alles brennt“ heißt ein neues Album des Rap-Duos Zugezogen Maskulin (ZM). Es ist ein starkes Album, gemacht von Testo und Grim104, zwei Mitglieder dieser Generation Maybe, die eigentlich Generation Weltuntergänge heißen müsste. Moritz Wilken aka Grim104 kommt aus Zetel im Friesland, Hendrik Bolz aka Testo aus Stralsund. Sie sind beide 1988 geboren. Sie lernen sich 2008 bei einem Praktikum für die Website rap.de in Berlin kennen und gründen Zugezogen Maskulin. Der Name war Provokation und ein alberner Witz, aber irgendwie auch ein Statement.

Der Name inspiriert von Taktloss und Kool Savas

„Bevor ich nach Berlin gezogen bin, hatte ich richtig Angst“, sagt Grim104 im Gespräch. Er lebt im Wedding. Auf ihrem ersten Gratis-Album 2010 gingen die beiden mit ihrer Anti-Anti-Zugezogenen-Haltung noch sehr weit – schon mit dem Titel „Kauft nicht bei Zugezogenen“ verglichen sie sich mit Juden in Nazi-Deutschland, was heute bei beiden ein beschämtes Lachen erzeugt. Auf „Alles brennt“ spielt das schon keine Rolle mehr. Die Lage hat sich entspannt. Und in West-Berlin war schon damals der Hass auf Zugezogene nicht so groß wie in Friedrichshain oder Prenzlauer Berg. Und überhaupt haben sich ZM ihren Namen ja wegen „Westberlin Maskulin“ (WBM) gegeben – das Duo aus Taktloss und Kool Savas, das zwischen 1997 und 2000 die damalige deutsche Rap-Kultur mit einem Eimer Unflat übergoss.

Nach WBM kam Battle-Rap nicht ohne verbale Menschenrechtsverletzung aus, dafür nahm man auch mal Billo-Beats in Kauf. Gefeiert wurde die Härte aus Berlin auf allen deutschen Schulhöfen, illegal aus dem Internet geladen, auch in Friesland, wie Grim104 weiß: „Auf dem Schulhof haben alle immer gesagt, dass Savas ihrer Nationalität angehören würden. Ein Kumpel, so ein richtig deutscher Typ, hat erzählt, dass er über fünf Ecken mit Bushido verwandt ist. Da haben wir uns drüber lustig gemacht und er hat einem dafür auf die Schnauze gehauen.“

Auch Böhse Onkelz wurden gehört

Für Grim104 war das seine Form der Jugendrevolte. Eine Linie von WBM zu ZM kann man aber nur mit dem Umweg K.I.Z. ziehen: „Der Song „Tanz“ und das Video dazu waren für mich eine Offenbarung, Rap -und Punk-Ästhetik zusammen“, erzählt Grim104. Das erste Mixtape von K.I.Z. hieß „Böhse Enkelz“. Es ironisierte etwas, mit dem Testo unironisch aufgewachsen ist. „Bei mir im Umfeld wurden eigentlich vor allem die Böhsen Onkelz gehört. Später dann Aggro, aber nicht ironisch, es ging bei uns ja echt nur ums Prügeln und Kiffen.“ Glatze wollte Testo nie werden: „Ich fand die immer unheimlich, weil sie aggressiv waren. Da hatte ich keinen Bock drauf.“

Das Thema bleibt. „Die ganze NS-Zeit ist ein starkes Bild: das ist das ultimative Böse. Darauf beruft man sich gerne beim Schreiben“, versucht Testo den (stets ironischen oder umdeutenden) Umgang mit Nazizeug zu erklären. Und so skandiert Grim104 auf dem Titeltrack des neuen Albums: „Wir sind eine Grauzonen-Band, weil wir uns nicht distanzieren von unseren autonomen Fans“. Das Gespenst der linken, politischen Musik geht seit einiger Zeit wieder um – wobei politisch eigentlich immer nur revolutionär meint, also Musik, die etwas zerschlagen oder eben verbrennen möchte oder wenigstens in Sehnsucht darüber zergeht, dass das ja eh nie passieren wird. Grim104 selbst hat das auf „2. Mai“ , seiner viel beachteten Solo-EP aus dem letzten Jahr beklagt: „Egal, wie viel Flaschen wir auch schmeißen/es ändert nichts“.

Zugezogen Maskulin hat sich von Battle-Rap verabschiedet

Dabei muss ja vor der Praxis die Analyse der Verhältnisse stehen. Und genau da setzt das neue Album von ZM an: Sie beobachten. Vom Battle-Rap haben sie sich verabschiedet, und überhaupt sind sie „reifer“ geworden. Sie verschwenden wenig Zeit auf Image-Rollenspiele, ergänzen sich aber stimmlich: Testo sonor, Grim104 hochgezerrt. Grim hört man noch den Savas-Einfluss an, der ähnlich wie Eminem eine an sich nicht sonderlich aufregende Stimme durch Technik ausgleichen muss. Ansonsten sind sie von der DIY-Ästhetik ihrer Namenspaten weit entfernt, die gepickten Trap-Beats hätten auch auf das Haftbefehl-Album gepasst. Bis auf die gesungenen Hooks.

„Plattenbau O.S.T.“, eine Solo-Nummer von Testo, beschreibt seine Jugend – oder eine Jugend – in den Platten einer ostdeutschen Stadt mit traurig-tödlichen Zeilen: „Komm mit uns, verschwende deine Zeit/ Spielplatz zwischen Riesenblocks/wir stellen uns auf im Kreis/Saufen um die Wette und dann tanzen wir zu Aggro Ansagen/im Blaulicht der Krankenwagen“. Das ist nicht so weit entfernt von Clemens Meyer und Sätzen wie „Das war wie Karussellfahren nach einer Flasche Stroh 80“. Drogen ziehen sich durch das gesamte Werk von ZM, aber nie als Party-Exzess oder positive Flucht, sondern immer als Beneblung, Verzweiflung oder Dekadenz wie im Track „Ayahuasca“, wo psychotrope Selbsterfahrung als Privileg von rich kids parodiert wird.

Der Weg von Flüchtlingen ins "Herz der Hipster"

Herzstück des Albums ist „Oranienplatz“, ein Song, der den Weg von Flüchtlingen ins „Herz der Hipster“ beschreibt: „Wenn nicht gerade ein Turnier ist/bist du nicht zu Gast bei Freunden/du hast viele Träume/wir haben viele Zäune“ – das ist solide Dekonstruktion von Heuchelei, aber ZM gehen im Chorus noch weiter: „Wir haben viel zu viel/um euch was abzugeben“. Aus dem Widerspruch kommt man nicht raus. Höchstens mit Empathie. Aber alles verstehen heißt nicht alles vergeben. „Gerade aus unserer positiven Einstellung zum Menschen heraus entstehen Wut und Angst“, sagt Testo und meint das sogar ernst mit der Menschenliebe, auch wenn er es gleich mit einem Witz ironisieren muss.

Gefangene ihrer Generation sind ZM eben doch. Deswegen ist „Alles brennt“ nicht nur wegen der aufgezeigten Widersprüche eine frustrierende Erfahrung. Das sind die Gefahren eines Deutschland-Albums. Manchmal stoßen ZM einfach an ihre Grenzen, wie in der Nummer „Monte Cruz“, wo sie in einen spanischen Krisenflüchtling (von Grim auch noch mit Lispel-Klischee-Akzent gerappt) „Rache für Guernica“ als Motivation projizieren. Und natürlich ist es auch ein Jungmänneralbum, nur eben von solchen jungen Männern, die gemerkt haben, dass da noch mehr ist jenseits der Grenzen Deutschlands, Europas, und vor allem der eigenen Identität. Jetzt müssen sie diese Erkenntnis nur noch umsetzen. Zeit genug haben sie ja – es sei denn, die Welt brennt bald wirklich.

„Alles brennt“ ist bei Buback Tonträger erschienen. Konzert: 24.4., 21 Uhr, Lido, Cuvrystr. 7, Kreuzberg

Fabian Wolff

Zur Startseite