Musikfolter: Der Ton macht den Schmerz
Im US-Gefangenenlager Guantanamo sollen muslimische Terrorverdächtige mit schmerzhaft lauter Musik gequält worden sein. Folter mit Eminem, Meat Loaf und den Bee Gees - geht es noch effektiver? Malte Lehming hat seine eigenen Charts erstellt und fragt: Wie lange hätten Sie dieser Top Ten widerstanden?
Nur damit das klar ist, glasklar, von Anfang an: Jede Form der Folter ist zu verurteilen, die Würde des Menschen ist nicht nur eine Konjunktivform seines Seins, sondern unantastbar, auch Musik kann ein Mittel der Folter sein, jede Relativierung dieser Aussagen ist abzulehnen. Das musste gesagt werden, weil man sich in diesem Land zwar unmissverständlich ausdrücken kann, aber trotzdem gerne missverstanden wird. Und mit nichts ist der Kritiker bei heiklen Themen schneller zur Hand als mit dem Zynismus-Vorwurf.
Nun zur Sache. Im aktuellen "Spiegel", unter der Rubrik "Kultur", steht ein langer Beitrag über Musikfolter in Guantanamo. In dem US-Gefangenenlager seien jahrelang muslimische Terrorverdächtige von Verhörspezialisten mit anhaltend langer, schmerzhaft lauter Musik gequält worden. Die Methode werde auch "no-touch-torture" genannt, weil sie keine sichtbaren Spuren hinterlasse. Explizit erwähnt wird Musik des Rappers Eminem, Heavy Metal, von Meat Loaf und den Bee Gees. Die von den Peinigern benutzten Songs würden in drei Kategorien eingeteilt - Triumphsongs ("We are the Champions" von Queen, "Born in the USA" von Bruce Springsteen), Quälsongs (Heavy Metal, "March of the Pigs" von Nine Inch Nails) und Männermusik aus den Charts, also Country, Rock, HipHop. Musiker und Bürgerrechtsgruppen protestieren nun und fordern Aufklärung.
Weitgehend ungeklärt bleibt in der ansonsten rund recherchierten und packend geschriebenen Geschichte die Frage, nach welchen Kriterien die Lieder ausgesucht werden. Woher weiß ein Verhörspezialist, welches Lied wie wirkt? Die Praxis des Musikfolterns muss aus Menschenrechtsperspektive eindeutig verdammt werden, aber der ästhetische Gesichtspunkt lässt Raum für eine gewagte Spekulation: Hätte Osama bin Laden womöglich schon gefasst werden können, wenn den mutmaßlichen Terroristen die "richtige" Musik vorgespielt worden wäre? Es gibt keine richtige Musik mit der falschen Praxis, lautet der an Adorno geschulte empörte Einwand. Aber Verurteilen und Verstehen sind zweierlei. Prüfen Sie sich selbst: Wie lange hätten Sie dieser Top Ten widerstanden?
Platz 10: "Peace Train" von Cat Stevens, der sich heute Yusuf Islam nennt. Yusuf steht ideologisch ja nicht sehr weit von jenen, die in Guantanamo sitzen. Auch er hat gegen Salman Rushdies Buch "Die satanischen Verse" gewettert, nicht ganz klar ist, ob er sogar den Mordaufruf gegen den Schriftsteller unterstützt hat. Auch Yusuf weigert sich, Frauen die Hand zu geben, und auch er hält Homosexualität für eine Sünde. Und dann diese Musik! Die treibt den härtesten Heiligen Krieger in die Verzweiflung.
Platz 9: "Atlantis" von Donovan. In der Wirkung steht die Folk-Ballade auf gleicher Stufe wie die Songs von Yusuf. Peace, Love and Boredom: eine gruselige Mischung. Dann schon lieber: Make love like War.
Platz 8: "Ballade pour Adeline" von Richard Clayderman. Das Original heißt in jeder Hinsicht James Last und würde nicht minder tauglich sein.
Platz 7: "Ich tanze mit dir in den Himmel hinein" von André Rieu. Immer unterwegs mit seinem "Johann-Strauß-Orchester" kennzeichnet das Musik-Filou vor allem seine enge Freundschaft zu Karl Moik vom "Musikantenstadl". Wer's hört, wird nie mehr selig.
Platz 6: "Flute de Pan et Orgue" (Panflöte und Orgel) von Gheorghe Zamfir. Kerzen an, Räucherstäbchen an, Massageöl aufgetragen, Musik an - und schon will man Amok laufen, einfach so.
Platz 5: "Danke". Das wohl beliebteste Kirchentagslied ist so etwas wie Panflöte und Orgel plus Text. Jede Strophe ein Ton höher. Bedrohlich eindringlich: "Danke für meine Arbeitsstelle".
Platz 4: "Wir sind die lustigen Holzhackerbuam". Hammerharte Melodie. Eminem auf Dialektdeutsch. Text müsste vielleicht ins Arabische übersetzt werden, besonders die Zeile: "Tief im Wald da wohnt der Förster und sein schönes Kind. Und sie küsst so gern, das ist doch kei' Sünd."
Platz 3: "Wind of Change" von den Scorpions. Im September 1989 geschrieben, also zwei Monate vor dem Fall der Berliner Mauer. Dennoch bis heute die heimliche Nationalhymne der unheimlichen Deutschen. Rühriges hannoveraner Englisch, ein schnulziges "Danke" zum Ende des Kalten Krieges.
Platz 2: "Ein bisschen Frieden" von Nicole. Das Siegerlied des Eurovision Song Contest 1982 gibt's mittlerweile in sieben weiteren Sprachen - auf Dänisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Niederländisch, Russisch und Spanisch. In seiner Schlichtheit provozierte es bereits die Friedensbewegung. Einen Dschihadi würde es entwaffnen. Übrigens: Vor wenigen Wochen ist die Schlagerfrau wieder auf Tour gegangen. Ihre Tournee begann sie in der Auferstehungskirche in Kassel.
Platz 1: "Je t'aime … moi non plus", gesungen von Serge Gainsbourg und Jane Birkin. Islamische Märtyrer hoffen darauf, von Gott im Paradies mit 72 Jungfrauen belohnt zu werden. Dieses Lied, in dem Birkin erst haucht und dann stöhnt, gibt einen unwiderstehlichen Vorgeschmack darauf. Es ist Ton gewordene Jenseits-Hoffnung. Schon der Vatikan wurde schwach, als "Je t'aime" herauskam, was zur Verhaftung des Verantwortlichen der Plattenfirma führte. Selbst die BBC weigerte sich, das Lied zu spielen. Kaum vorstellbar, dass ein islamischer Fundi es länger als eine Stunde aushält, ohne bereitwillig all sein Wissen über Osama bin Laden preiszugeben.
Im Vergleich zu "Je t'aime" ist Eminem nur Krach. Sonst nichts. Warum glaubten die US-Ermittler trotzdem, die mutmaßlichen Terroristen eher mit dem Rapper als mit Birkins "Maintenant, viens!" (Jetzt, komm!) zum Plaudern zu bringen? Noch liegt viel Nebel über dem Skandal. Daher sollten die protestierenden Musiker und Bürgerrechtsgruppen nachdrücklich unterstützt werden. Die Sache gehört aufgeklärt.
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