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Discoqueen und Tyrann. Dirk von Lowtzow drängt es auf den Buchmarkt.
© Jutta Pohlmann/KiWi

"Aus dem Dachsbau" von Dirk von Lowtzow: Keine Meisterwerke mehr

Unbedingter Kunstwille: In seinem Buch „Aus dem Dachsbau“ erzählt Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow biografische Anekdoten.

Als Dirk von Lowtzow vor einem Jahr landauf, landab unterwegs war, um Werbung für das neueste Album „Die Unendlichkeit“ seiner Band Tocotronic zu machen, sprach er in Interviews davon, was für ein großer Einfluss Peter Kurzecks Hörbuch „Ein Sommer, der bleibt“ gewesen sei. Kurzeck erzählt darin über mehrere Stunden ohne Manuskript und druckreif aus seiner Kindheit im hessischen Staufenberg, und obwohl von Lowtzow viel jüngeren Jahrgangs ist, sah er darin Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend im südbadischen Offenburg gespiegelt, die wiederum in die Songs von „Die Unendlichkeit“ Eingang fanden. Das Album will von Lowtzow als „Autobiografie in zwölf Kapiteln“ verstanden wissen.

Diese Autobiografie hat Dirk von Lowtzow nun fortgeschrieben. Allerdings nicht ausufernd-obsessiv wie Kurzeck (und genau so wenig soziologisch-analytisch wie der von ihm seinerzeit ebenfalls gern genannte Didier Eribon mit seiner „Rückkehr nach Reims“), was man von ihm auch nicht erwartet hätte. Sondern in Form eines Alphabets, in Form literarischer Miniaturen. Die von-Lowtzow-Enzyklopädie reicht von A wie Abba über D wie Diskurs und T wie Teenage bis zu Z wie Zeit. Von Lowtzow erzählt zum Beispiel, wie er früher gern Science- Fiction- und Horrorgeschichten las und als kleiner Junge glaubte, seine Welt werde von Aliens beherrscht. Oder dass er sich als 14-jähriger in der Einliegerwohung seines Elternhauses in „Popstarvisionen“ hineinträumte oder in einem bunten Outfit durch die Straßen Offenburgs stolzierte, mit Strass-bestickter Jeansjacke, einem Schottenrock seiner Mutter, schweren Wanderschuhen, gelben Burlington-Socken und pinker Sonnenbrille.

"Das ganze letzte Album habe ich mir nachts auf dem Balkon in Selbstgesprächen erarbeitet"

Schon mit der Form seines Büchleins zeigt von Lowtzow an, dass er nicht beabsichtigt hat, chronologisch zu erzählen. Kreuz und quer, auch innerhalb der einzelnen Miniaturen abrupt Ort und Zeit wechselnd, geht es im „Dachsbau“ durch sein Leben. Mal erholt er sich von den Strapazen einer Tour in Luzern, mal sitzt er in einem Zug nach Prag, dann wieder erlebt man ihn in Hamburg umherstreifend oder in Berlin Selbstgespräche führend: „Ganze Nächte habe ich auf dem Balkon verbracht, geraucht und geredet. Das ganze letzte Album habe ich mir nachts auf dem Balkon in Selbstgesprächen erarbeitet. Und das Album davor und das Album davor. Erredet. Nachtarbeit, da ist eigentlich ein Zuschlag fällig.“

Tocotronic-Fans – und das ist sicher die Zielgruppe, die von Lowtzows Verlag im Visier hat – dürften hier manches Unbekanntes von ihrem Idol erfahren. Zum Beispiel auch, dass von Lowtzow großer Coca-Cola-Fan ist. Oder er einen Putzfimmel hat. „Kalkpanik“ nennt er das, so wie er überhaupt unter der ein oder anderen leichten Neurose leidet.

Nur ist das jetzt nicht so weltbewegend und auch literarisch etwas wenig. Die Notwendigkeit dieser autobiografischen Splitter erschließt sich nicht – und von Lowtzow, wohl in dem Wissen um diese fehlende zwingende Note, versucht sie zu überhöhen, Kunst daraus zu machen. Häufig driftet er deshalb ins Surreale, Groteske. Sein Kopf löst sich von den Schultern und fliegt „vor mir her wie ein Geist“, er imaginiert sich als Ethnologe oder träumt von Gesprächen mit einem blinden Geschwisterpaar auf einem russischen Schiff. Er spricht mit den Meisen oder einem Fasan vor den Fenstern seiner Behausungen, und überhaupt scheint sein Dachsbau ein einziges Bestiarium zu sein.

"Aus dem Dachsbau" wirkt wie ein einziges Bestiarium

Kaum ein Tier, das von Lowtzow nicht erwähnt, beginnend mit einem Huhn namens Ilse: Hier ein Fuchs, dort ein Hündchen, hier der Dachs („Seit meine Haare grau geworden sind, fühle ich mich wie ein Dachs“), dort ein Bär, hier ein Walross, dort „moderne“, „durchaus diskursive“ Eichhörnchen. Diese finden sich unter D wie Diskurs. Mit ihnen und dem ersten Satz „Du bist in ein Labyrinth geraten“ versucht sich der Tocotronic-Sänger von der ihm und seiner Band gern attestierten Diskurslastigkeit, dem Label, eine „Diskursrockband“ zu sein, zu distanzieren, sich zumindest auf eine abstrakte Weise darüber lustig zu machen: „Das Labyrinth scheint sich durch ihr Gequassel auszudehnen. Begriffsgewitter und Vokabelregen dienen dem Wachstum, die harten Theorienüsse der Stabilisierung des Schlamassels.“

Das ist ganz hübsch – und doch bestätigt von Dirk von Lowtzow mit seinem Buch nur, dass er mehr als „nur“ ein Popstar sein will, dass ihn die Kunst umtreibt, die Texte zur Kunst, die intertextuellen Sprachspielereien. In besseren Fällen funktionieren die Einträge wie Popsongs. Was immer eine Zeile wie „Ich bin Discoqueen und Tyrann zugleich - mein Leben ist dem Untergang geweiht“ meint: Sie klingt gut. In nicht wenigen schlechteren Fällen regiert jedoch viel Schwiemel und Schwurbel die Sätze, ist darin viel Flausch und Braus: vom Mond, der wie eine Apfelsine ausschaut, bis hin zur Hysterie, die den Zwang tötet. Das „Antidot für Anekdoten“, wie es in einem Tocotronic-Song heißt, verflüchtigt sich hier allzu schnell – was gäbe man bei der Lektüre nicht alles für eine gute Tocotronic-Anekdote!

„Schreib alles auf. Dann wirst du lernen, die Zeit zu überlisten“ heißt es hinten auf dem Cover. Das ist ein Zitat aus einem der gelungeneren Einträge dieses Bandes, ein Räsonieren über die Zeit. Zumindest buchschreibend wird von Lowtzow die Zeit, die auch an ihm als Popstar nagt, nicht überlisten. „Aus dem Dachsbau“ erinnert mehr an einen Cameo-Auftritt im Literaturbetrieb als dass es der Grundstein für eine Karriere als Buchautor wäre.

Dirk von Lowtzow: Aus dem Dachsbau. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019. 180 Seiten, 20 €.

Gerrit Bartels

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