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Eine von Ai Weiweis Katzen - im Hintergrund die Namensliste der Kinder, die beim Erdbeben von Sichuan 2008 ums Leben kamen. Der Künstler hatte sie mit einem Team recherchiert - dem Regime passte das gar nicht.
© Christiane Peitz

Zu Besuch bei Ai Weiwei (3/3): Katzen oder Wie man Türen öffnet

Die nachgebaute Zelle, politische Kunst und das Mauer-Gedicht des Vaters: Zu Besuch bei Ai Weiwei in Peking – vor der Berliner Ausstellung, die am Mittwoch eröffnet. Dritter und letzter Teil der großen Tagesspiegel-Reportage.

Bei der Biennale in Venedig gab es sie in sechsfacher Ausfertigung en miniature, in der Berliner Ausstellung im Martin-Gropius-Bau wird sie als Eins-zu-Eins-Skulptur zu sehen sein: Ai Weiweis Zelle, in der er 2011 inhaftiert war. Er musste aufrecht auf einem Stuhl sitzen, die Hände auf den Oberschenkeln. Wenn er zur Toilette wollte, musste er sich melden, seine zwei Wärter begleiteten ihn. Nachts standen sie neben seinem Bett.
Den Bewachern, die ihrerseits überwacht wurden, war es verboten, das Wort an ihn zu richten, 81 Tage lang. Aber Menschen müssen einfach kommunizieren, zumal wenn sie eng zusammengepfercht sind. Also begannen die Männer, einfache Bauernsöhne und selber Gefangene der Situation, ohne Lippenbewegung mit dem Häftling zu sprechen. Bauchredner unter den Augen des Regimes.

„Die meisten der Soldaten haben mir ihre komplette Lebensgeschichte erzählt. Woher sie kommen, wer ihre Eltern sind, wie es zu Hause ist, warum sie zur Armee gingen. Einige haben danach Kontakt zu mir aufgenommen. Es war eine kostbare Erfahrung: Dass die Menschlichkeit unter unmenschlichsten Bedingungen gewinnen kann.“

In unserem Gespräch an diesem Morgen in Peking war von Blumen, Marmor und Jade die Rede gewesen. Auch von der Angst während seiner Haftzeit hatte der Künstler erzählt, der Angst, dass sein Sohn ohne ihn aufwächst („Ich hole ihn jetzt jeden Nachmittag vom Kindergarten ab und verbringe die Stunden bis zur Schlafenszeit mit ihm.“). Bleibt noch die Frage, warum er in Martin Barnabys großartigem Buch „Hanging Man: The Arrest of Ai Weiwei“ jedes Detail seiner Haftzeit ausbreitet, obwohl ihm das strengstens untersagt worden war. Und ob er sich eigentlich selbst als politischer Künstler versteht. Ai Weiwei schweigt kurz, das tut er vor jeder Antwort.

Ai Weiwei will Klartext reden

„Die Welt ist in Aufruhr, überall Aufstände, Umbruch, in der Ukraine, in Venezuela, in den arabischen Ländern. Überall gibt es das Verlangen nach Veränderung, und China wartet darauf. Wir können uns den Luxus nicht leisten, uns aus dem Kampf dieser Menschen herauszuhalten. Das Etikett politischer Künstler hat etwas gefährlich Beruhigendes: Man will massiert, aber nicht aufgeweckt werden. Vielleicht wird die Berliner Ausstellung meine letzte Verlautbarung sein, deshalb möchte ich mich so klar wie möglich ausdrücken. Es klingt verrückt, aber was mich während meiner Haftzeit fast glücklich gemacht hat, war der Moment, als sie beim Verhör anfingen, wörtlich aus meinem längst gesperrten Blog zu zitieren. Ich dachte, wenigstens einmal ist es mir gelungen, Klartext zu reden.“

Ai Weiwei trotzt der Geheimhaltung im Namen aller, die immer noch im Gefängnis sitzen und denen es weit schlechter geht als ihm, etwa dem Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo. Hat er deshalb im wilden Rockvideo „Dumbass“ (auf Youtube) die Hafttragödie als Farce inszeniert, mit ihm selbst als einem der Wärter oder in Frauenkleidern? Zeigt er deshalb Dokumentationen und Re-enactments der Schikanen gegen ihn, auf Ausstellungen in aller Welt? Ai Weiwei schweigt wieder, dann spricht er von seinem Vater. Ai Qing, der große Staatsdichter, fiel unter Mao in Ungnade und wurde 1958 an den Rand der Wüste Gobi verbannt, 17 Jahre lang. Vater und Sohn lebten in einem Erdloch, Ai Qing putzte die Latrinen im Ort.

Die Familie Ai Weiweis hat immer auf dem Kamm gelebt, sagt die Mutter.

Ai Weiwei am 25. März 2014 in seinem Pekinger Studio.
Ai Weiwei am 25. März 2014 in seinem Pekinger Studio.
© dpa

„Mein Vater hat schreckliche Dinge erleiden müssen, er musste hart arbeiten, durfte 20 Jahre nicht schreiben. Dennoch hat er versucht, das Leben als Geschenk zu betrachten. Er hat sich nie beklagt, auch nicht nach seiner Rehabilitation. Ich bin das genaue Gegenteil. Wenn ich leide, erzähle ich es jedem, beschreibe, wo der Schmerz herkommt, wie er sich anfühlt, und warum ich nicht möchte, dass unsere Kinder dasselbe erleben. Ich breche das Schweigen, weil es die Bedingung für Unmenschlichkeit ist und all jene ermutigt, die andere zum Schweigen bringen. Anders als zu Zeiten meines Vaters gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass Reden hilft.“

Die Kunst im Käfig und die Lautstärke der Dissidenten. Unwillkürlich denkt man an Wolf Biermann, als er in der DDR nicht singen durfte. Anfang der 70er Jahre saß er in seinem Wohnzimmer in der Chausseestraße, schrie dort mit wütender Stimme all die Biermann-Balladen heraus, die Schallplatten durften nur im Westen erscheinen. 1976 wurde er in die Bundesrepublik hinübergezwungen, in der Freiheit sang er viel leiser. Auch Ai Weiwei möchte nicht ins Exil, er hat in China zu tun, wo denn sonst.
Die Verse seines Vaters können viele Chinesen auswendig, auch die Parteibonzen. Sie denken dann wohl: Dieser große Dichter hat einen missratenen Sohn. Ai Weiwei erzählt, wie seine Mutter sich ihr ganzes Leben lang Sorgen gemacht hat, erst um ihren Mann, dann um den Sohn. Sie ist über 80, im Dokumentarfilm „The Fake Case“, der am 8. Mai ins Kino kommt, kann man sie erleben. Sie sagt, China sei eine riesige Welle, ihre Familie habe immer auf dem Kamm der Welle gelebt, dort, wo es am gefährlichsten ist. Eine beeindruckende Frau.

Ai Weiweis "befreite Zone"

Die Sonne scheint, die friedliche Atmosphäre in Ai Weiweis Studio erweckt den Eindruck, dass die Gefahr weit weg ist. Man muss nur die Überwachungskameras ignorieren. Und das vierstöckige Gebäude, das nach Ai Weiweis Haftentlassung auf dem Nachbargrundstück hochgezogen wurde. In diesem Viertel des Bezirks Chaoyang, in Chaochangdi, sind nur Häuser mit zwei Etagen erlaubt, erklärt der 56-Jährige, der auch als Architekt einen Namen hat. Nicht nur sein Studio hat er selber geplant, im schlichten Bauhausstil frei nach dem Haus, das der Philosoph Ludwig Wittgenstein für seine Schwester in Wien entwarf. Dutzende Gebäude in Peking und anderswo in China stammen von ihm. Ai Weiwei lacht: Offenbar wurde das Haus nebenan errichtet, um ihn besser beobachten zu können.

Trotzdem nenne ich mein Studio gern eine befreite Zone. Vielleicht ist es die einzige hier. Peking ist eine schreckliche Stadt, ohne community, ohne Nachbarschaft, ohne Geschichte. Wer hier aufgewachsen ist, findet nichts mehr aus seiner Kindheit, die Straßen, Plätze, jeder kleine Laden von damals, alles weg. Heute wohnt man im selben Haus, aber kennt sich nicht, fühlt sich fremd und beginnt sich zu hassen. Alle bitten dich, deine Schuhe auszuziehen, wenn du ihre Wohnung betrittst. Aber um den Schmutz und die Gewalt draußen vor der Tür kümmert sich keiner. Jetzt beim Volkskongress kamen Hunderttausende hierher, niemand kannte sie. Keiner sagt, oh, ein alter Freund ist dabei oder mein Nachbar hat Besuch von der Verwandtschaft. Es ist, wie wenn Aliens in die Stadt einfallen.“

In Chaochangdi proben die Pekinger die Gratwanderung zwischen Regimetreue und Weltläufigkeit.

Eine von Ai Weiweis Katzen - im Hintergrund die Namensliste der Kinder, die beim Erdbeben von Sichuan 2008 ums Leben kamen. Der Künstler hatte sie mit einem Team recherchiert - dem Regime passte das gar nicht.
Eine von Ai Weiweis Katzen - im Hintergrund die Namensliste der Kinder, die beim Erdbeben von Sichuan 2008 ums Leben kamen. Der Künstler hatte sie mit einem Team recherchiert - dem Regime passte das gar nicht.
© Christiane Peitz

Architektur gegen die Entfremdung: Ai Weiweis Häuser wollen Behausungen sein, geschützte Orte, Freiräume. In der Nähe des Studios finden sich etliche seiner Gebäude, Künstlerwohnungen und Galerien aus Backstein, dem traditionellen Baustoff der Region. Chaochangdi liegt unweit der Art Zone 798, einem hippen Kunstquartier auf dem Gelände einer ehemaligen Elektrofabrik. Hier proben die Pekinger die Gratwanderung zwischen Regimetreue und Weltläufigkeit; die coolen Fotomotive der Industriearchitektur, die Designerläden und Restaurants locken am Wochenende Scharen von Großstädtern an. Chaochangdi ist etwas anderes. Einst Weideland und Wohnort für Bauern, Studenten und Migranten, hat es sich in eine Art Kunstrefugium transformiert, mit anspruchsvollen Galerien neben schlichten Baracken. Dass so viele Taxis hier parken, liegt daran, dass die Taxifahrer aus der Provinz hier übernachten – Pendler der Armut. Bauen darf Ai Weiwei in China jetzt ebenso wenig wie seine Kunst ausstellen. So schwankt er zwischen trotzigem Optimismus und der Gewissheit, dass es am 25. Jahrestag des Tienanmen-Massakers am 4. Juni keine Unruhen geben wird.

„Über Tienanmen darf nicht gesprochen werden. Seit 25 Jahren wird jeder Protest im Keim erstickt. Auch die jungen Leute, die über das Internet etwas besser informiert sind, sind im Grunde längst gleichgeschaltet. In der Schule wird nur indoktriniert. Ich sehe das an den Studenten hier im Studio. Sie wollen lernen, aber die Fähigkeit dazu hat man ihnen abtrainiert. Es dauert zwei, drei Jahre, bis sie aufwachen. Dennoch höre ich nicht auf zu hoffen, dass China eines Tages ein normales Land wird, mit Meinungsfreiheit, Menschenrechten und einer unabhängigen Justiz. Das hat nichts mit Ideologie zu tun, es geht schlicht um eine funktionierende Gesellschaft, in der die Menschen sich umeinander sorgen und ihre Verantwortung als Bürger wahrnehmen dürfen.“

Eine Katze springt auf den Tisch. Wie viele Katzen im Studio leben, kann Ai Weiwei gar nicht sagen. 30? 40? Er freut sich, wenn sie Vasen zerbrechen oder Architekturpläne zerfetzen, mag ihre Lebendigkeit, braucht sie um sich herum. Und berichtet, warum Katzen und Hunde in seiner Kindheit getötet wurden. Es war die Zeit der Kulturrevolution.

„Alles, was private Gefühle wecken könnte, jedes Geschöpf, das man hätte behüten können, war verboten. Während der Sars-Krise war es wieder so: Die Leute haben Katzen aus dem Autofenster geworfen, weil sie dachten, die Tiere würden die Krankheit übertragen. Überall liefen obdachlose Katzen herum, und wenn alte Stadtviertel abgerissen werden, dürfen sie nicht mit umziehen. Es gibt Millionen verlassener Katzen in China. Die Angst in den Augen dieser Tiere, das ist die Angst unserer Zeit, die Angst dieses Landes. Wir müssen lernen, sie als Lebewesen zu schätzen. Nur wenn ich in die Augen einer Katze blicke, kann ich mich selber als Mensch sehen.“

Eine von Ai Weiweis Katzen kann Türen öffnen. Sie springt hoch und drückt die Klinke nieder. Ein Freigeist: Türen schließen kann sie nicht. Zu gerne würde man Ai Weiwei in Berlin wiedersehen, zur Eröffnung der Ausstellung am Dienstagabend. Aber ohne Reisepass bleibt ihm der Weg nach Deutschland versperrt.
Zum Abschied zitiert der Künstler Berlinverse seines Vaters. Frisch rehabilitiert, hatte Ai Qing 1979 als Mitglied einer Delegation der „Chinesischen Gesellschaft für Freundschaft mit dem Ausland“ West-Berlin besucht und ein Gedicht auf die Berliner Mauer verfasst. „Eine Mauer, wie ein Messer/Schneidet sie eine Stadt in zwei Stücke“, rezitiert der Sohn. „Wunde eines Volkes“, heißt es wenig später und dass die chinesische Mauer höher und länger ist. „Wer freute sich schon über solch eine Mauer“: Ai Qing bekam riesigen Ärger, als er nach Peking zurückkehrte.

Erschienen auf den Kultur-Seiten. Die beiden vorausgegangenen Teile dieser Reportage-Serie finden sie hier.

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