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Kunst, Harmonie, Frieden. Wandmalerei in Peking. In dem Viertel hat der Künstler Ai Weiwei sein Atelier. Er ist seit einer Woche spurlos verschwunden. Polizisten haben ihn am Flughafen der chinesischen Hauptstadt verschleppt. Foto: AFP
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Aufklärung: Liu Xiaobo, Ai Weiwei und die Schuhe Kants

Zwischen Konfuzius und Mao: Westliche Aufklärung ist in China schon lange bekannt.

Ai Weiwei, der bekannteste Künstler Chinas verhaftet. Der erste chinesische Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo für viele Jahre im Gefängnis. Der erste chinesische Literaturnobelpreisträger Gao Xingjian seit langem im Exil in Frankreich. Viele weniger bekannte Künstler, Rechtsanwälte und Menschenrechtler in China verhaftet und verschwunden. Was geht vor in China? Und wie kann eine Ausstellung aus Deutschland soviel Aufmerksamkeit erzeugen? Eine Ausstellung, die nicht politisch sein will.

Man darf eine Ausstellung zum Thema Aufklärung, die im ideellen Zentrum Chinas, am Tiananmen, am Platz des Himmlischen Friedens in Peking gezeigt wird, nicht absagen, jedenfalls die deutsche Seite darf es nicht. Es ist schließlich eine Ausstellung für Bürger, nicht für Funktionäre. Und das Interesse scheint größer als erwartet.

Auch wenn die Präsentation im neu eröffneten und gigantische 200.000 Quadratmeter großen, neu renovierten National Museum of China, dessen Aufgabe es ist 500.000 Jahre Geschichte Chinas zu zeigen, eher an den Rand gedrängt ist. Nur ein Prozent der Fläche steht für das Unternehmen Aufklärung zur Verfügung. Es erinnert daran, wie man im ab 1709 errichteten, zwanzig Kilometer vor den Toren Pekings gelegenen kaiserlichen Sommerpalast (Yuanmingyuan) jenen barocken Garten duldete, der um 1750 nach Plänen des Mailänders Giuseppe Castiglione errichtet worden war. Nur einer der 150 Gärten der Anlage, ein Abbild des Imperiums, war Europa gewidmet – als sei es ein ferner Teil des Reiches. 1860 wurde dieses Sommerrefugium von Franzosen und Briten fürchterlich zerstört, auch der Garten Europa.

2003 fusionierten am Tiananmen das Museum der Chinesischen Revolution und das Nationale Museum der Chinesischen Geschichte zum National Museum of China. Die vorhandenen Gebäude wurden innen und außen mit großem Aufwand umgebaut. Mit einer Revolution will man in China an diesem Platz nichts mehr zu tun haben. Man zieht, als Kommunikationsstrategie, den Begriff quasi aus dem Verkehr.

Gegenüber dem Museum liegt die Große Halle des Volkes, wo das Scheinparlament Chinas zusammentritt, wann und wenn die Regierung es will. Man kann die Fusion der beiden Museen als eine späte Reaktion auf die Belagerung des Tiananmen durch junge Leute aus ganz China im Jahre 1989 sehen. Vielleicht 2000 Studenten waren es zu Beginn, die gegen Korruption und für Freiheit demonstrierten. Doch die Revolte drohte das ganze Land zu erfassen. Gorbatschow, im Mai auf Staatsbesuch, musste die Große Halle des Volkes durch eine Hintertür betreten, weil der Tiananmen besetzt war. Liu Xiaobo spielte damals eine wichtige Rolle, als er für viele der jungen Leute auf dem großen Platz mit der Regierung um Mitternacht einen glimpflichen Abzug aushandelte. Mehrere Jahre Gefängnis folgten für ihn. Der auch heute noch als Reformer apostrophierte Deng Xiaoping war es, der, als Vorsitzender des Zentralen Verteidigungsrates der mächtigste Mann im Staat, der Armee befahl, den Aufstand niederzuschlagen. Fast 3000 Tote zählte das chinesische Rote Kreuz. Wohl nur ein Denkmal in Europa erinnert an jene Ereignisse – in Wroclaw.

Und dann Konfuzius. Sein bronzenes Denkmal hatte man rechtzeitig zur Eröffnung der deutschen Ausstellung vor dem Museum aufgestellt, wohl über Nacht und ohne Zeremonie. Und Mao liegt noch immer, wiewohl einer der grausamsten Herrscher der Geschichte, in seinem Mausoleum. Man hat es ausgerichtet auf die Hauptachse der Verbotenen Stadt. In dieser Legitimationsachse steht auch die Halle der höchsten Harmonie, das höchste und wichtigste Gebäude. Dort stand der Thron des Kaisers, hier wurde er inthronisiert.

Wenn also heute die politische Führung die „Harmonie“ des Volkes beschwört – gegen die dann Ai Weiwei und die vielen hundert in den letzten Wochen Verhafteten verstoßen haben sollen – so bezieht sie sich auch auf diese kaiserlich-konfuzianische Tradition. Man muss wissen, dass die Kommunistische Partei, als sie mit ihrer Armee 1949 in Peking einzog, ihre Leitung und ihre Regierung in einem Teil der Verbotenen Stadt einrichtete. Zhongnanhai heißt der Kreml Pekings. Die Kaiser regierten einst von dort. Zu den Dynastien Chinas wollte man auch in republikanischer Zeit eine Legitimationskette hergestellt wissen. Heute betritt man dieses Zentrum der Macht durch das Tor des Neuen China (Xinhuamen). Die für China typische Geisterwand trägt eine vergößerte Kalligraphie Maos: „Dem Volke dienen“.

„Hut ab vor Kant“ heißt, so berichtet der von China zum Feind erklärte und aus der Delegation des deutschen Außenministers ausgeladene Sinologe Tilman Spengler, ein Gedicht von Liu Xiaobo. Erneut kam Liu diesmal für elf Jahre ins Gefängnis, weil er die Charta 08 initiierte. „Wir sollten damit aufhören, Worte zu kriminalisieren“, heißt es darin. Am 25. Dezember, an Weihnachten 2009, wurde in Peking das seit langer Zeit härteste Urteil gegen die Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit verkündet. Herta Müller, deutsche Literaturnobelpreisträgerin, sprach vor wenigen Wochen bei einer Veranstaltung im Martin-Gropius-Bau für Liu Xiaobo: „(Das Regime) weiß, dass seine humane Substanz noch immer nicht zerstört ist. Die Macht sieht sich gedemütigt. Sie steht armselig da, auch wenn sie das nicht zugibt. Sie behandelt Xiaobo so schäbig, wie sie vor sich selbst dasteht. Daher ist das Strafmaß so maßlos.“

Die Charta 08 repräsentiert Aufklärung in China. Sie steht gegen die „Mao-Tsetung-Ideen". Die Ausstellung „Aufklärung" und die „Charta 08" stehen somit in einer unbeabsichtigten medialen Verbindung. Schätzungen zufolge haben zehntausend Künstler und Intellektuelle Chinas die Charta unterschrieben. Niemand kann das leugnen. Es steht im Netz, weltweit einsehbar und unlöschbar. Es gibt sie also in China, diese, wenn auch noch schwache, Zivilgesellschaft.

Es ist also wichtig, dass offen, laut und wiederholt ausgesprochen wird, was derzeit in China an Ungeheuerlichem geschieht. Hunderte Menschen sind in diesen Wochen und Tagen verhaftet worden. Sie sind verschollen, für ihre Angehörigen nicht auffindbar. Sie werden in geheimen Lagern versteckt. Was immer der Wortlauf der chinesischen Gesetze ist – ein Habeas Corpus gibt es nicht. Richter sind in China keine Richter, sondern Vorleser. Sie verlesen Urteile die eine Regierungsabteilung aufgeschrieben hat. Gewaltenteilung, ein Grundgedanke der Aufkärung, gibt es nicht. Das Politbüromitglied Wu Bangguo teilte noch auf dem letzten Volkskongress im März mit, eine Übernahme der westlichen Gewaltenteilung komme nicht in Frage. Es herrscht die Willkür einer einzigen Partei in China.

Und doch gibt es sie, die aufgeklärten und gebildeten Menschen in China, die ihren Kant oder ihren Habermas gelesen haben. Die sich mehrere Parteien wünschen. Jene engagierte Gruppe von Bürgern hofft auch, gerade aus dem „Land der Tugend" – so der chinesische Name für Deutschland, auf wortgewaltige und nachhaltige Unterstützung für ihr Anliegen. Sollte die deutsche Seite, wo doch Kants Königsberger Schuhe den weiten Weg zum Platz des Himmlischen Friedens gefunden haben, Liu nicht eine Ausgabe des Kantschen Werkes ins Gefängnis überbringen?

Das Thema der Ausstellung sei doch Sprengstoff, heißt es. Man würde die intellektuelle Geschichte Chinas unterschätzen, wollte man annehmen, das Wissen um Kant komme nun erstmals nach China. Schon 1924 hielt der Rektor der Universität Peking, Cai Yuanpei, in Königsberg einen Vortrag, um Kants 200. Geburtstag zu würdigen. Der große Philosoph wurde bereits im 19. Jahrhundert in China rezipiert, neben Fichte, Hegel, Marx, Nietzsche, und bald auch übersetzt. Die chinesische Ausgabe eines Werkes des in Berlin wirkenden Neukantianers Friedrich Paulsen: „System der Ethik“ (Berlin 1889) war ein bedeutendes Lehrbuch in China. Mao wird das Werk 1918 als junger Bibliothekar am Lehrerseminar in Changsha studieren.

Chinesische Neukantianer wollten in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine Ähnlichkeit zwischen Kantschem Idealismus und dem theoretischen Gerüst des Neokonfuzianismus der Song-Zeit (im Norden 960-1279) feststellen. Zhu Hsi (1130-1200) war ein großer Gelehrter seiner Zeit. Er gründete hunderte Schulen und kodifizierte in der Song-Zeit die „Vier Bücher“, darunter die „Analekte des Konfuzius“. Bis 1908, bis zu dessen Abschaffung, waren diese Bücher Teil des kaiserlichen Prüfungssystems.

Man sagt heute, jener Neokonfuzianismus des Zhu Hsi, der dann auch bald nach Korea, Vietnam und Japan exportiert worden war, sei eine Ritualisierung der Subordination. Jene europäischen Aufklärer des 17. und 18. Jahrhunderts, die Konfuzius als einen der ihren sehen wollten, waren nicht gut informiert. Und kein Wunder, dass die jungen Revolutionäre – gleich welcher politischen Richtung – in der jungen chinesischen Republik nach 1911 nicht viel mit Konfuzius zu tun haben wollten. Heute hingegen ist der Konfuzianismus in seiner songzeitlichen Prägung Teil der soft-power-Strategie des Regimes. Ob das die jungen Einwohner Chinas überzeugen kann?

Welchen Weg geht China? Kaum eine Frage ist für die Zukunft der Welt wichtiger. Aktuell konkurrieren auf dem Platz des Himmlischen Friedens die Ideen von Kant, Konfuzius und Mao Tsetung. Konfuzius bewacht den Eingang zur Ausstellung „Aufklärung“. Kant hingegen fordert Freiheit für Ai Weiwei und Liu Xiaobo.

Gereon Sievernich studierte u. a. Sinologie, Philosophie und Kulturgeschichte.

Er leitet den Berliner Martin-Gropius-Bau und organisiert seit vielen Jahren

internationale Ausstellungen.

Gereon Sievernich

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