Neues Album von Alligatoah: Katzen nehmen uns die Tierärzte weg
Die Vorteile einer ironischen Weltsicht. Der Berliner Spaßrapper Alligatoah bringt mit „Musik ist keine Lösung“ sein viertes Album heraus.
Vorweihnachtszeit ist Charity-Zeit, natürlich auch in der Popbranche. Letztes Jahr bescherte Bob Geldof der Welt ein Update seines Benefizklassikers „Do They Know It’s Christmas“. Es ging um Ebola und gab Kritik. Ebenfalls umstritten war die von Campino betreute deutsche Version, bei der von Cro bis Udo Lindenberg viele Stars mitwirkten.
Dieses Jahr ist wieder eine beeindruckende Riege von Sängern dabei, um den Charity-Hit der Saison zu unterstützen. Er heißt „Denk an die Kinder“ und hat einen angemessen schnulzigen Refrain, in dem es heißt: „Los, denk an die Kinder, denken tut nicht weh/Denk an die Kinder, spende ein Oh-je/Denk an die Kinder, endlich auf CD“. Am Ende des Stücks stimmen unter anderem Jan Delay, Xavier Naidoo und Herbert Grönemeyer mit ein, sogar Helge Schneider quengelt ein bisschen mit.
Das Video hat auf Youtube nach zwei Wochen schon mehr Klicks als der deutsche „Do They Kow It’s Christmas“-Clip nach einem Jahr. Am Wochenende knackte „Denk an die Kinder“ die Millionenmarke. Offenbar hat sich hier jemand geschickter angestellt als Geldof und Campino. Er heißt Alligatoah, schaffte es vor zwei Jahren mit seinem Album „Triebwerke“ auf Platz eins der deutschen Charts und hat sich bei der aktuellen Singelauskopplung seines gerade erschienenen vierten Albums „Musik ist keine Lösung“ einen kleinen Spaß mit den Promi-Kollegen gemacht. Sie alle werden in dem Stück von ihm imitiert und auch im Video übernimmt er – ausgestattet mit Perücken, Sonnenbrillen und Hüten – ihre Rollen. Das ist ganz witzig und die meisten Stimmen erkennt man sofort.
Lukas Strobel lacht, als er an die Parodie denkt. „Ich habe schon mal Rapper imitiert und es brannte mir auf der Zunge, das auch mal mit Sängern auszuprobieren. Ich habe einfach alle deutschsprachigen Sänger genommen, die ich irgendwie hinkriege“, sagt er. Allerdings trifft auf keinen der von ihm dargestellten Musiker zu, über den er in den Strophen rappt. Hier entwirft er nämlich die Figur eines abgehalfterten Stars, von dem niemand mehr etwas wissen will, bis er die rettende Idee mit dem Charity-Song hat.
Auf seinen ersten Alben ging es um religiösen Fanatismus
Dass sich der eine oder andere Kollege eventuell falsch platziert fühlen könnten, habe er riskiert, sagt Alligatoah: „Es hat einfach so gut gepasst, ich musste das machen.“ Rollenspiele sind das Kerngeschäft des 26-Jährigen, der nebenbei noch bei der Krawall-Raptruppe Trailerpark mitmischt und sich selbst als Schauspielrapper bezeichnet. So waren Alligatoahs erste Alben „Attntaat“ (2006) und „In Gottes Namen“ (2008) größtenteils aus der Sicht von religiösen Fanatikern und Terroristen geschrieben. Viele Zeilen klingen gruselig aktuell. „Wir setzen ein Zeichen für die, die uns beleidigten/Mit hundert Leichen von Unbeteiligten“, heißt es etwa in „Mein Gott hat den Längsten“. Damals trug Alligatoah noch eine schwarze Sturmhaube. Inzwischen zeigt er sein Gesicht und sagt, dass er bei der Wahl seines Künstlernamens, damals mit 16, wohl einen ähnlichen Wortklang wie Al Qaida erzeugen wollte – „pubertäre Ideen.“
Entstanden sind sie in seinem Kinderzimmer in Neuenwalde, einem Dorf bei Bremerhaven. Es war die große Zeit des Labels Aggro Berlin, für dessen Künstler Lukas Strobel sich begeisterte – obwohl er eigentlich ganz andere Musik bevorzugte. Seine ersten CDs waren von den Guano Apes, Rammstein und System Of A Down. „Rapmusik war in meinem Freundeskreis verschrien und im Dorf noch überhaupt nicht angekommen“, sagt Alligatoah, dessen Eltern – eine Tänzerin und ein Schauspieler – kein Radio hörten, sondern meditative und sakrale Musik. Strobel entwickelte seine Liebe zum deutschen Hip- Hop in aller Stille. Auch von ersten eigenen Rap-Versuchen erzählte er Freunden und Familie nichts – stellte aber schon die ersten Songs ins Netz. „Alles, was ich probiert habe, habe ich direkt rausgehauen, so ist es im Prinzip geblieben. Jedes Lied, das ich mache, ist Musikunterricht für mich“, sagt Alligatoah, der als Teenager Gitarrenspielen lernte und dem Liedermacher wie Hannes Wader und Franz Josef Degenhardt viel bedeuten.
Die Akustikgitarre ist sein zentrales Instrument geblieben. Auf ihr entwirft Alligatoah, der nach dem Abitur nach Berlin kam und eine Mediengestalter-Ausbildung abschloss, ausgehend von einer Textzeile oder Refrainidee seine Songstrukturen. Es folgt ein Puzzleprozess, bei dem er von der Beatproduktion über die Instrumentalparts bis zur Gesangsaufnahme alles selber macht. Ein individueller Klang sei ihm wichtiger als ein professioneller, sagt er. Entsprechend bunt geht es zu auf „Musik ist keine Lösung“, das sich als eine Art Rap-Pop-Schlager-Rock-Mix präsentiert. Auch Naturgeräusche hat Alligatoah eingebaut – aufgenommen auf dem Land in Brandenburg. Hier hat der Neuköllner inzwischen ein kleines Studio.
In der Rolle des Fremdenhassers den Fremdenhasser entlarven
Nach „Triebwerke“, auf dem es um Zwischenmenschliches ging, befasst sich Alligatoah diesmal mit Umweltverschmutzung, Schönheitswahn und Menschenverachtung. Dargebracht wie immer mit viel Ironie, was mitunter an Jan Böhmermann erinnert. „Durch Ironie kann ich in der Rolle des Fremdenhassers den Fremdenhasser entlarven. Das finde ich viel wirkungsvoller, als wenn ich sage, der Fremdenhasser ist ein Idiot“, sagt Alligatoah. Und so rappt er in „Teamgeist“ über „Herrchenmenschen“, die finden: „Hundehalter, wir müssen uns widersetzen jetzt/Katzenhalter nehmen uns die Tierarztplätze weg/Die können ja Katzen streicheln, solange sie’s in ihrem Land machen“.
Mit dem Titelsong kritisiert sich Alligatoah selbst
In eine ähnliche Richtung zielt „Hab ich recht“, fast könnte man meinen, dass man es hier mit einem sozialkritischen Werk zu tun hat. Doch ganz am Ende kommt der Titelsong, der alles wieder abräumt: „Du machst ein Lied gegen die gemeine Welt/ Und in China hat gerade jemand Reis bestellt“ heißt es darin. Alligatoah sagt, dass er sich mit dem Lied selber ins Gesicht schlagen wolle, weil er auch nicht besser sei als all die Leute, die er auf dem Album abwatscht. Ob er das jetzt ernst meint? Eine gut gespielte Rolle ist es allemal.
„Musik ist keine Lösung“ erscheint bei Trailerpark/Groove Attack. Konzert: Max-Schmeling-Halle, 2. April
Nadine Lange
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