Hannes Wader zum 70.: Die Sehnsucht nach Heimat
Hannes Wader wird 70 - die junge Generation huldigt dem Idol: Ein junger Filmemacher versucht, ihn zu porträtieren, junge Liedermacher, ihn an die Gegenwart anzupassen - beide kommen ihm nicht wirklich nah. Ode an einen Unerreichten.
Es ist nicht leicht, Hannes Wader ausgerechnet jetzt zu würdigen. Dass der selbsternannte „Volkssänger“ mit dem komplexen Verhältnis zur deutschen Heimat just dann 70 Jahre alt werden muss, wenn überall die schwarz-rot-goldenen Plastikfahnen wehen, das ist ja beinahe frivol.
Es ist auch nicht leicht, Hannes Waders Bedeutung in Worte zu fassen. Das Label Universal Music, zu dem Wader nun, nach rund 35 Jahren beim linken Pläne-Verlag, zurückgekehrt ist, versuchte ihn kurzzeitig als „den deutschen Johnny Cash“ zu vermarkten – zum Glück ist der unpassende Titel inzwischen von der Homepage verschwunden. Waders Geschichte hat mit derjenigen Cashs nichts zu tun. Die Würde, die Cash im Alter – so geht der Mythos – durch den Produzenten Rick Rubin zurückgegeben werden musste, hat Wader stets selbst gewahrt. Als junger Outlaw ebenso wie später als kommunistischer Agitator (der er nie wirklich war) und noch später als betont gereifter Liedersänger. Doch dazu später mehr.
Es ist zuletzt nicht leicht, Hannes Wader auf irgendeine Art ernsthaft nahezukommen. Das zeigt ein Blick auf die Artefakte, die jetzt zu Waders Würdigung auf den Markt gekommen sind. Da ist zum einen der Dokumentarfilm „Wader Wecker Vater Land“ des Regisseurs Rudi Gaul, der jüngst auf DVD erschienen ist und Hannes Wader auf gemeinsamer Tournee mit Konstantin Wecker im Jahr 2010 zeigt. Wer Wader schon einmal getroffen hat, erkennt viele Aussagen fast formulierungsgetreu wieder. Wader hat feste Wahrheiten über Wader: wie ihn die Jugend in einer Bielefelder Arbeiterfamilie so geprägt hat, dass er heute noch fremdelt unter Akademikern Wie der Zusammenbruch des Kommunismus ihn politisch heimatlos gemacht hat. Zuletzt: Wie er sich immer noch schwertut mit dem Begriff „Vaterland“ – er, der singt, dass „kein Schwein jemals deutscher“ sein könne als er. Es sind sorgsam ausgetüftelte Selbstauskünfte eines wenig redegewandten Lieddichters – wenig bemerkenswert.
Zum anderen ist da das Tribute-Album „Salut an Hannes Wader“, das Universal zum Geburtstag veröffentlicht. Hier beweisen junge Liedermacher wie Max Prosa und Philipp Poisel, wie man sich an Wader-Klassikern wie „Heute hier, morgen dort“ (Poisel) und dem „Lied vom kleinen Mädchen“ (Prosa) verhebt: indem man sie mit nöliger Stimme, manieriert und mit eitler Introspektion zum Besten gibt – in völliger Missachtung der Tatsache, dass das Pathos mancher Wader-Texte nur durch dessen schlichten und eben vollkommen uneitlen Vortrag erträglich wird.
Als „Anpassung gut gereiften Liedguts an die multioptionale Gegenwart mit ihren neuen Kommunikationsmitteln“ preist die Plattenfirma die Huldigung, auf der auch Punk- (Slime!) und Elektropopversionen zu hören sind. Und obwohl speziell die auf dem Sampler vertretenen Frauen, darunter Alin Coen, Dota Kehr und Anna Depenbusch, mit dem sperrigen Material oft leicht und sicher umzugehen wissen: Es bleibt die Frage, ob es einer „Anpassung“ überhaupt bedarf, ob das zu dem passt, was Wader für die ist, die seine Musik lieben und ihn durch sie zu lieben glauben.
Denn am Ende ist es doch das, was an diesem Jubiläum hervorzuheben ist: Anders als – kein Text über einen Liedermacher ohne den Vergleich mit anderen – der scharfe Franz Josef Degenhardt, der harmlose Reinhard Mey oder der überpräsente Konstantin Wecker ist es Wader, der zu Tränen rührt – Rudi Gauls Film zeigt das mit Schwenks ins Publikum bei Konzerten recht schön.
Das liegt auch an Waders eigentlichem Lebensthema, das fernab der gängigen Stereotypen vom jungen Zyniker („Tankerkönig“), mittelalten Protestsänger („Arbeiterlieder“) und gealterten Lehrerinnenliebling (Wader heute) liegt. Wie kein anderer Sänger deutscher Zunge hat es Wader in den letzten 40 Jahren vermocht, sich mit der Sehnsucht nach einer Heimat auseinanderzusetzen. Wader ist der Sänger des Nichtjetzt, der Kindheits- ebenso wie der gesellschaftlichen Zukunftsträume. Die Lieder, die Waders ureigenes Misstrauen gegenüber dem ersehnten Idyll dabei fast immer vor dem Drift ins Peinliche bewahrt, sind vielleicht das Beste, was all jenen passieren konnte, die in diesem Nichtvaterland ebenso der Skepsis zuneigen wie der Melancholie.
Anpassungen und Aktualisierungen vermögen das, was derart aus der Zeit gefallen ist, kaum hervorzuheben. Wader, der ewig Unangepasste, ist keiner für die Gegenwart, war es wohl nie. Das selbst von den "Toten Hosen", die Wader ebenfalls für eine Bonus-CD zu ihrem aktuellen Album coverten, nicht vollständig zerstörbare „... dass nichts bleibt, wie es war“ aus dem Gassenhauer „Heute hier, morgen dort“ ist vielleicht auch weniger als Bestandsaufnahme denn als Absage zu verstehen – an die Welt, wie sie sich gibt. Hannes Wader zu würdigen, ihm ernsthaft nahezukommen, funktioniert daher am besten, indem man seine Lieder von ihm selbst gesungen hört. Einem, der dichterisch, musikalisch und zugleich mit Herzenswärme begabt ist. Wer das nach dem EM-Viertelfinale noch vermag, möge ihm heute ein paar Tränen der Rührung widmen. Er hat sie verdient wie kaum einer.
Johannes Schneider
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