zum Hauptinhalt
Der "Ehrentempel", in München von Paul Ludwig Troost 1935 erbaut.
© Wolf & Tritschler/picture alliance

Hitlers Architekten: Karo und Klassizismus

Auf Paul Ludwig Troost folgte Albert Speer: neue Einsichten zu „Hitlers Architekten“ und ihrem Monumentalstil.

Wieder und wieder sind die baulichen Hinterlassenschaften des Nazi-Reichs buchstäblich Stein des Anstoßes. Wie mit ihnen umgehen? In Berlin ist etliches wohl renoviert in Benutzung, in München desgleichen; nur Nürnberg tut sich mit dem gigantomanischen Reichsparteitagsgelände schwer. Über die politische Funktion der Bauten als Ausdruck und zugleich Legitimation des Regimes hinaus tritt die architekturgeschichtliche Beurteilung eher in den Hintergrund.

Wer diese Bauten entwarf, ist meist nur Fachleuten bekannt; mit der einen Ausnahme von Albert Speer, dessen Name geradezu als Synonym für NS-Architektur steht. Doch die heute noch erhaltenen Bauten dieser Zeit stammen zumeist von der Hand anderer Architekten. Unter dem Regime kursierte als Spottwort ein Spiel mit Namen, die neuen, propagandistisch herausgestellten Bauten seien „klotzig, speerlich, troostlos“ – eine Anspielung auf Clemens Klotz, vor allem aber auf Albert Speer und seinen früh verstorbenen Vorgänger als Hitlers Lieblingsbaumeister, Paul Ludwig Troost.

Diesen beiden sind die ersten Bände einer Reihe unter dem Titel „Hitlers Architekten“ gewidmet. Der jüngst vorgelegte Band zu Speer schließt an den bereits 2012 erschienenen Erstling zu Troost an. Jetzt endlich lässt sich Speers Tätigkeit als Architekt – vor seiner Ernennung zum Rüstungsminister 1942 – genau verfolgen, wie sie nahtlos an diejenige von Troost anschließt. Und mehr noch: wie der NS-Baustil früh, und zwar bereits vor der Machtergreifung Hitlers, von Troost formuliert wurde und Speer ihn fortsetzte und graduell veränderte. Über allem steht ohnehin die Entscheidungsgewalt Hitlers, der sich bekanntlich als verhinderter Architekt sah und alsbald eigene Skizzen aus den zwanziger Jahren hervorholte, die Speer und Co. zu Bauplänen zu entwickeln hatten. Mehr noch als selbst die beiden anderen bauwütigen Diktatoren, Stalin und Mussolini, behielt sich Hitler stets das letzte Wort vor.

Troost hat Ozeandampfer eingerichtet, als Hitler ihn entdeckte

Die Untersuchung von Timo Nüßlein ist die erste umfassende Darstellung zu Leben und Werk von Troost (1878 – 1934) überhaupt. Auf den wie er selbst in München lebenden Troost wurde Hitler durch dessen in Illustrierten abgebildete Einrichtungen von Ozeandampfern aufmerksam. 1930 kam es zum persönlichen Kontakt. Noch war Hitler nicht an der Macht, und für die NSDAP sollten lediglich die Räume der Parteizentrale eingerichtet werden. Doch hat Hitler Troost frühzeitig von seinen hypertrophen Bauvorhaben erzählt, und da beide die Bewunderung der Münchner Architektur unter Ludwig I., insbesondere der Bauten Leo von Klenzes, teilten, dürfte die Entscheidung für eine klassizistische Ästhetik als NS-Staatsbaustil bereits in diesen Gesprächen gefallen sein.

Das war durchaus nicht zwangsläufig; Parteigänger einer „völkischen“ Auffassung wie Paul Schultze-Naumburg mit ihrem Rückbezug auf bäuerliche Bauformen waren 1933 höchst überrascht, dass nicht sie zum Zuge kamen. Hitler allerdings hatte Bauten stets dann bewundert, wenn sie nur monumental waren, etwa die der Wiener Ringstraße. Troost allerdings orientierte sich an einem Neoklassizismus, wie er in der Zwischenkriegszeit in unterschiedlicher Ausprägung in ganz Europa verbreitet war. Troost zeigte gegenüber der bei Zeitgenossen üblichen Vereinfachung klassizistischer Formen eine besondere „geometrische Vorliebe“. Seine Bauten folgen einem rationalen Rasterschema – „vorgegeben durch das Karomuster des Zeichenpapiers“, wie Nüsslein süffisant anmerkt.

Troost starb überraschend im Januar 1934. So blieb seine Tätigkeit als NS-Baumeister weitgehend auf München beschränkt. Seine Bauten im Umfeld des Königsplatzes mit ihrer strengen Rasterung und den gleichförmigen Fassaden sowie das „Haus der Deutschen Kunst“ mit seiner an Schinkels Altem Museum orientierten Säulenfront hat er nie gesehen; sie wurden erst 1937 fertiggestellt.

Speer wusste die Gunst des Augenblicks zu nutzen

1933 geriet der noch kaum bekannte Speer als Berliner Bauleiter Troosts beim Umbau der (alten) Reichskanzlei in Hitlers Gesichtskreis. Er wusste die Gunst des Augenblicks wahrlich zu nutzen. Allerdings hatte er, dessen Stellung sich der Gunst Hitlers verdankte, den stilistischen Vorgaben Troosts zu folgen; der blieb durch die eifrig sein Erbe verwaltende Witwe Gerdy eine Einflussgröße.

Albert Speer (1905 – 1981) hat seine Rolle im NS-Regime später zielstrebig darzustellen gewusst. Auch als Architekt hat er seine Bedeutung noch 1978 in einer Buchpublikation zu belegen gesucht. Doch erst Sebastian Tesch hat jetzt die erste systematische Darstellung des architektonischen Werks erarbeitet. Dabei ist angesichts der ausufernden Postenfülle Speers nicht immer ganz leicht zu bestimmen, was tatsächlich von seiner Hand stammt. An vielen Projekten arbeiteten, allein ihrer schieren Größe wegen, personalstarke Büros mit. Auf der 1937 eigens für ihn geschaffenen Position des „Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt“ und vollends als Rüstungsminister ab 1942 kann Speer kaum mehr als die Entscheidungsbefugnis in der Hand behalten – und hütet naturgemäß seinen privilegierten Zugang zum „Führer“. Tesch bezeichnet die enge Zusammenarbeit mit Hitler als „Grundlage seiner einzigartigen Position“, doch schränkt sie ihn „in seiner schöpferischen Freiheit gleichzeitig ein. Daher zeigen die zwischen 1933 und 1945 entstandenen Planungen deutlicher Hitlers als Speers Vorstellungen.“

Die Neue Reichskanzlei in Berlin entlang der Voßstraße von Albert Speer, fertiggestellt 1939.
Die Neue Reichskanzlei in Berlin entlang der Voßstraße von Albert Speer, fertiggestellt 1939.
© Imago/Arkivi

Zunächst macht Speer als Inszenator von Parteiveranstaltungen und Massenaufmärschen auf sich aufmerksam. Der „Lichtdom“ wird zu seinem Markenzeichen. Auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände entstehen die ersten Großbauten des noch jungen Regimes; die riesige, bis heute stehende Kongresshalle allerdings durch Ludwig Ruff, der kurzzeitig als Hitlers Favorit galt, bevor auch er frühzeitig stirbt.

In Berlin kann Speer seinen wichtigsten Auftrag verwirklichen, den riesenhaften Neubau der Reichskanzlei von 1939. „Da die Rechtsverhältnisse Enteignungen nicht zulassen, müssen die Gebäude angekauft werden“, wirft Tesch ein interessantes Licht auf den zur NS-Zeit formal weiter bestehenden Rechtsstaat. Viele Vorhaben kommen über das Planungsstadium nicht hinaus; bekannt ist, dass sich Hitler an riesigen Modellen wie der „Reichshauptstadt Germania“ bis zuletzt und noch im Führerbunker delektierte.

Weit mehr als Troost ist Speer ein Eklektiker. Speer nimmt sich aus der Baugeschichte, was groß ist und Eindruck macht. „Für die pseudosakralen Veranstaltungen auf dem Reichsparteitag zitiert er antike Altarvorbilder, die Neue Reichskanzlei knüpft an barocke Dreiflügelanlagen an“, schreibt Tesch; zudem greift er auf die römische Antike zurück. Speer reist 1938 eigens nach Italien, um Bauten der Renaissance – und damit die Rezeption der Antike – zu studieren.

Hitler griff bis ins Detail in Speers Pläne ein

Die Forschungen Teschs relativieren die Rolle Speers; sie zeigen vielmehr die bis ins Detail gehenden Eingriffe Hitlers. Gleichwohl ist Speer Ende der dreißiger Jahre die „Nummer eins der deutschen Architekten und unangefochtenes Vorbild, wobei er sich nach wie vor an Troost orientiert und an die Wünsche Hitlers anpassen muss. Aber er gibt die Linie vor, der die anderen Architekten willig folgen.“

Unstrittig bleibt, dass die Tätigkeit Speers als Architekt nur auf dem Hintergrund seiner Stellung innerhalb der NS-Herrschaftselite zu verstehen ist. Mit der Organisation der Kriegswirtschaft ab 1942 wird Architektur für ihn ohnehin zur Nebensache. Die von Speer seit 1966, nach der Entlassung aus 20 Jahren Kriegsverbrecher-Haft betriebene Selbststilisierung als unpolitischer Technokrat ist längst widerlegt. „Je tiefer die Krise des Reiches wurde, umso schärfer setzte dieser sich für Radikalisierungsmaßnahmen ein“, urteilt denn auch Tesch. Nun aber kommt die Relativierung seiner architektonischen Leistungen hinzu.

Speer war der Machtmensch – und das willfährige Werkzeug Hitler’scher Megalomanie. Troost hingegen war der eigenständigere, der durchaus schöpferische Baumeister. Über Troost und seine konservative Auffassung wird der um 1930 international gängige Neoklassizismus zum Ausgangspunkt für das Bauen im „Dritten Reich“. In München werden die Zwillinge „Führerbau“ und „Verwaltungsbau“ unweit des Königsplatzes weiterhin genutzt, und man kann nicht sagen, dass sie im Ensemble der Münchner Staatsarchitektur seit König Ludwig I. als Fremdkörper besonders auffielen.

Timo Nüsslein: Paul Ludwig Troost. Hitlers Architekten, Bd. 1. 324 S., 172 Abb..

Sebastian Tesch: Albert Speer. Hitlers Architekten, Bd. 2. 338 S., 234 Abb. – Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2016, je 49 €.

Zur Startseite