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"Neoklassisch" nannte Albert Speer seine Entwürfe für das Nürnberger Reichsparteitaggelände.
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Nazi-Architektur: Wie Albert Speer sich den Stil von Schinkel aneignete

Klassisch dekorierte Nazi-Architektur: Wie sich Albert Speer den Stil des großen preußischen Baumeisters Karl-Friedrich Schinkel aneignen konnte, zeigen die Dahlemer Vorlesungen von Klaus Heinrich.

Klaus Heinrich, gebürtiger Berliner des Jahrgangs 1927 und Mitbegründer der Freien Universität, hatte dort einen Lehrstuhl für Religionswissenschaft inne. Seine Hörer zumal der siebziger Jahre kamen aus allen Fachbereichen, und was sie hörten, mochte wohl mit Religionswissenschaft untergründig verbunden sein, galt aber dem, wie Heinrich es nannte, „ästhetischen Subjekt“. Dem Subjekt, das sich die Welt in ästhetischen Beziehungen zu eigen macht. Heinrich brachte einen Diaprojektor mit oder auch einen Plattenspieler, um die Künste als Ergebnis dieser ästhetischen Aneignung umgekehrt zum Gegenstand seiner ausgreifenden Betrachtungen zu machen.

Vorlesungen zu Schinkel und Speer

Dass sich darunter auch die Architektur befand, war über den Kreis seiner Hörer bislang nicht hinausgedrungen. Doch mittlerweile haben sich Tonbandmitschnitte seiner diesbezüglichen Vorlesungen bei einem damaligen Studenten gefunden. In Zusammenarbeit mit dem Stroemfeld-Verlag, in dem seit 1981 Heinrichs „Dahlemer Vorlesungen“ erscheinen, hat sie nun Nikolaus Kuhnert in seiner Architekturzeitschrift „Arch+“ veröffentlicht. Es handelt sich um acht Vorlesungen zu Karl Friedrich Schinkel, dem preußischen Baumeister schlechthin, und vier über Albert Speer, dem Lieblingsarchitekten Adolf Hitlers und gewissermaßen Designer des „Dritten Reiches“.

Die Verbindung von Schinkel und Speer besitzt einiges an Sprengkraft. Dass Speer sich auf Schinkel zu beziehen pflegte, ist hinlänglich bekannt. Gleichermaßen eingespielt ist die Abwehr der Architekturhistoriker und naturgemäß vor allem der Schinkel-Bewunderer gegen diese nassforsche Traditionsbehauptung. Das Problem liegt in der hinreichenden Differenzierung. Speers Monumentalbauten lassen sich stilistisch als vergröberter Neoklassizismus einordnen. Schinkel wiederum steht mit zahlreichen seiner Bauten im Lager des Klassizismus der Zeit um 1800, ohne dass sich sein Œuvre im Ganzen darauf einengen ließe.

Die Frage nach der "Willfährigkeit des Klassizismus"

Heinrichs Kernfrage ist die nach der „Willfährigkeit des Klassizismus“. Weit davon entfernt, eine simple Kausalkette zu flechten, der zufolge sich Schinkels Klassizismus folgerichtig in Speers Parteibauten fortgepflanzt finde, nähert sich Heinrich den inneren Widersprüchen der Schinkel’schen Architektur. Beispielsweise hebt er – nicht originell, aber unabdingbar – die Modernität und Vorbildhaftigkeit der Bauakademie hervor. Zu gleicher Entstehungszeit steht ihr das betont Wehrhafte und rückschrittlich Burgenartige des bereits 1906 zugunsten des nachmaligen Hotels „Adlon“ abgerissenen Palais des Grafen Redern am Pariser Platz gegenüber.

Heinrichs im besten Sinne dialektische Denkweise glättet nicht die Widersprüche in Schinkels Architektur, sondern stellt sie heraus. Man muss sich stets vor Augen halten, dass Heinrich Ende der siebziger Jahre spricht, zu einer Zeit, da eine kritische Schinkel-Rezeption noch kaum eingesetzt hatte, zumal wichtige Bände in der Reihe des Schinkel-Werks längst nicht erschienen waren.

Der Anfang einer funktionalistischen Architektur

Um die Position Heinrichs zu würdigen, ist ein Blick auf den architekturhistorischen Diskurs dieser Jahre vonnöten. Zur selben Zeit, Ende der 70er Jahre, hielt Julius Posener an der TU Berlin seine legendären „Vorlesungen zur Geschichte der Neuen Architektur“, die ebenfalls in „Arch+“, dies aber schon vor Jahren und seither in beständigen Neuauflagen, veröffentlicht vorliegen. Posener beschäftigt sich ebenfalls intensiv mit der Revolutionsarchitektur. Doch für ihn, einen der besten Kenner der beginnenden Moderne des 19. Jahrhunderts, bedeutet sie den Anfang einer funktionalistischen Architektur, die sich ihrer symbolischen und dekorativen, im weitesten Sinne „sprechenden“ Elemente zugunsten der Konstruktion und der Stereometrie der Baukörper entledigt. So wird Schinkel zum Wegbereiter der nüchternen Fabrikarchitektur.

Demgegenüber erkennt Heinrich etwa in Peter Behrens’ berühmter AEG-Turbinenfabrik von 1910 die Darstellung der Arbeit als solcher und weist damit auf ein Wesensmerkmal der Speer-Bauten hin, ihre Inszenierung bei völliger Gleichgültigkeit gegen die tätigen Menschen. Nicht zufällig zitiert Heinrich, wenn auch in etwas anderem Zusammenhang, Walter Benjamins berühmtes Diktum über den „Faschismus“: Er sehe „sein Heil darin, die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen“.

Das Vorbild: Die Architektur Karl Friedrich Schinkels, hier seine Neue Wache in Berlin. Über die Zusammenhänge sprach Klaus Heinrich in den 70er Jahren in jetzt veröffentlichten „Dahlemer Vorlesungen“.
Das Vorbild: Die Architektur Karl Friedrich Schinkels, hier seine Neue Wache in Berlin. Über die Zusammenhänge sprach Klaus Heinrich in den 70er Jahren in jetzt veröffentlichten „Dahlemer Vorlesungen“.
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Die französische Revolutionsarchitektur bot Speer und der NS-Architektur allerdings eher noch als Schinkel unmittelbare Anknüpfungspunkte. Der Kult des Helden – im Unterschied zur „soldatischen“ Nazizeit auch des Geisteshelden, so evident in Boullées Entwurf eines „Kenotaphs für Newton“ – ist zugleich ein Kult des Todes. Über die 1781 von Boullée gezeichnete Kathedrale, eine Mischung aus Petersdom und griechischem Tempel, urteilt Heinrich, sie sei „eher für einen Totenkult als für das Innere einer Stadt bestimmt“.

Gerade in ihrer Maßstabslosigkeit setzt sie Heinrich von Schinkels – nicht mehr zu Lebzeiten vollendeten – Entwurf für die Potsdamer Nicolaikirche ab. Schinkel ist für Heinrich – darin mit Posener übereinstimmend – der Architekt, der dem sich herausbildenden Bürgertum bauliche Form verleiht, „nämlich die repräsentative bürgerliche Veranstaltung, die auf eine Nation zielt“, aber, wie er scheinbar beiläufig hinzufügt, „mit den Elementen der Veranstaltung bereits von diesem Ziel ablösbar ist“. Dieses Beiläufige ist kennzeichnend für Heinrichs Vorgehen. Genau an einem solchen „aber“ kann er später die Analyse der Speer’schen Inszenierungen anknüpfen.

Das Lager als Kern der faschistischen Architektur

Zunächst entschlüsselt Heinrich – unter Bezug auf einen sehr bezeichnenden Aufsatz von Gottfried Benn, „Die dorische Welt“ – das Lager als Kern der faschistischen Architektur. „Meine These ist, dass die Monumentalarchitektur im Inneren der Städte Lagerarchitektur ist. Die Stadt also wird zum Lager, aus dem man jederzeit ausmarschieren kann und in das man zurückkehrt.“ Albert Speer bezieht sich auf ebendiese Vorstellung einer „dorischen Welt“. Er will – jedenfalls nachträglich, in seinen „Erinnerungen“ – die Entwürfe für das Nürnberger Parteitagsgelände „nicht neoklassizistisch, sondern neoklassisch“ genannt wissen, weil sie „vom dorischen Stil abgeleitet“ seien. Und diese dorische Welt ist eben die des Lagers mitsamt der darin herrschenden, allumfassenden Gewalt.

Als „grausame Hauptattraktion des Lagers“ sieht Heinrich Speers Entwurf zur künftigen Reichskanzlei, die seitlich von der Riesenkuppel der „Großen Halle“ errichtet werden sollte – ein Entwurf, den Hitler, wie Speer sich erinnert, besonders lobte. Insbesondere an den Parteitags-Entwürfen sieht Heinrich die Ersetzung der „Bühne für Veranstaltungen“ durch „die Realität des Lagers“. Diesen Wechsel nennt er den „entscheidenden Unterschied zwischen der Architektur, die für NS-Großveranstaltungen gebaut wurde, zur Architektur des Klassizismus, deren Formen und Elemente in sie eingegangen sind“.

Worum die Vorlesungen von Klaus Heinrich kreisen

Dass der Klassizismus gegen solche Aneignung nicht immun war, nicht immun sein konnte, das macht seine Problematik aus, um die die Vorlesungen von Klaus Heinrich kreisen. Er spricht von der „Substruktionslosigkeit des Klassizismus, die die Übernahme und Vereinnahmung gestattete“. Man darf diesen eigentümlichen Begriff nicht als architektonischen Terminus technicus deuten, sondern ihn als „das räumliche Sichtbarwerden der gattungsgeschichtlichen Fundamente einer gleichsam archäologisierenden Architektur“ verstehen. Dies erläutert Heinrich im einleitenden Gespräch mit den Herausgebern, das der 87-Jährige zum Abdruck seiner Vorlesungen geführt hat.

Man mag fragen – über Heinrich hinaus –, ob es nicht gerade die Architektur der Moderne war, die diese gattungsgeschichtlichen Wurzeln gekappt hat. Und hängte nicht Speer der von ihm in Konstruktion und Technik durchaus genutzten Moderne lediglich ein pseudoklassisches Dekor um? Mochten sich auch die Nazis oder jedenfalls die Bildungsbürger unter ihnen zu „Griechen des Nordens“ stilisieren: Wenn überhaupt, fanden sie ihre Anknüpfung bei Sparta und keineswegs in Athen. Letzteres aber hatte Schinkel im Sinn, als er seinem berühmten Programmbild den Titel „Blick in Griechenlands Blüte“ gab.

- Arch+, Zeitschrift für Architektur, Heft 219: Klaus Heinrich. Dahlemer Vorlesungen – Schinkel/Speer. Aachen 2015, 224 Seiten, 443 Abbildungen, kart 24 €, geb. 35 €.

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