Säule mit angeblicher Asche von Nazi-Opfern: Kalkulierter Tabubruch ist einfach abstoßend
„Fehler“ sind das Prinzip des Zentrums für politische Schönheit. Es spielt mit dem Tod, will schockieren und aufrütteln. Dafür scheint fast jedes Mittel recht.
Die Rechnung ist noch immer aufgegangen. Und das Vorgehen ist auch immer das gleiche: Das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) kündigt kurzfristig ein neues Projekt an, dessen Stoßrichtung und Inhalt zu einer bestimmten Zeit per Email bekannt gegeben werden.
Dann läuft die Maschinerie: Enthüllung der Aktion, große Empörung in der Öffentlichkeit, aber auch Zustimmung, gefolgt von einlenkenden Antworten des ZPS bis hin zu einer „Entschuldigung“. So geschah es jetzt nach der Aufstellung einer Säule vor dem Reichstagsgebäude in Berlin, die (angeblich) Asche von Nazi-Opfern, ermordeten Juden enthält.
„Wir haben Fehler gemacht“, schreibt die Gruppe um Philipp Ruch auf ihrer Webseite: „Dennoch lag uns nichts ferner, als die religiösen und ethischen Gefühle von Überlebenden und Nachkommen der Getöteten zu verletzen.“ Das ist kaum zu glauben. Das ZPS plant seine Unternehmungen minutiös, da sind ausgezeichnete Logistik-Spezialisten und sicher auch Juristen am Werk. Und da wissen die Aktionisten sehr genau, dass sie die Totenruhe stören und Tabus verletzen. Das tun sie gezielt, darum geht es ihnen. Sonst würden sie andere Formen des politischen Protests wählen.
Diese „Fehler“ und Überschreitungen und Verstöße gegen geschriebene und ungeschriebene Gesetze sind das Prinzip des ZPS. Es spielt mit dem Tod, mit der Erinnerungskultur, es will schockieren, aufrütteln, Gefühle verletzen für einen übergeordneten Zweck. In diesem Fall ist es offensichtlich die Warnung vor der Wiederkehr des Nationalsozialismus. Und dafür scheint ihnen fast jedes Mittel recht zu sein.
Eine anmaßende Selbstermächtigung
Wenn das ZPS in der Nähe des Hauses des AfD-Rechtsaußen Björn Höcke ein „Holocaust“-Mahnmal errichtet, spielen die Aktionisten auf Zeit, setzen auf das Wohlwollen oder die Langsamkeit der Behörden. In der Zwischenzeit gibt es eine schöne Debatte und viele Fernsehbilder. Dafür nehmen sie eine Banalisierung des Berliner Mahnmals in Kauf.
Wenn sie am Maxim Gorki Theater einen Käfig mit Tigern aufstellen – „Flüchtlinge fressen“ hieß die Aktion – und ankündigen, man werde Freiwillige an die wilden Tiere verfüttern, dann erfreut sich die Berliner Szene eines makabren Spektakels. Niemand kommt zu Schaden, aber es wird deutlich, dass hier Moral aus Kalkül praktiziert wird. Auch bei der Entwendung der Berliner Mauerkreuze ging es um Symbole des Todes, der Ehre und des Gedenkens. Auch das war haarklein durchgeplant und wie ein Event organisiert.
Und immer steckt Anmaßung dahinter, nimmt sich das ZPS das Recht, für Juden zu sprechen, für Flüchtlinge und gegen einen Staat und eine Gesellschaft, die angeblich nichts tun. Rechte Tendenzen und Kräfte werden mit den gleichen Mitteln bekämpft, die man dem Gegner vorwirft. Es ist die permanente Selbstermächtigung, die abstößt.
Im Zusammenhang mit dem ZPS fällt häufig der Name des 2010 verstorbenen Christoph Schlingensief. Er war tatsächlich ein Aktionskünstler. Er war angreifbar, ansprechbar, er hatte ein heißes Herz, er stand ein für seine irren Geschichten. Seine Haltung wirkt nachgerade nobel, wenn man heute die kalt am Schreibtisch entworfenen, durchkalkulierten Auftritte des Zentrums für politische Schönheit erlebt.
Schon der Name zeigt, dass Politik und Ästhetik zusammengehören sollen. ZPS – das hat etwas Dadaistisches. Nach Surrealismus und Dada in den Zwanzigerjahren kam das Totalitäre.