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Die Asche von Auschwitz. In der Stele vor dem Reichstag sollen sich Überreste von Holocaustopfern befinden.
© Christophe Gateau

Holocaust-Asche vor dem Reichstag: Das Mahnmal des Zentrums für Politische Schönheit ist drastisch - und notwendig

Das ZPS hat eine Stele mit vermeintlicher Asche von NS-Opfern vor den Reichstag gestellt. Wir sollten jetzt nicht bloß auf die Geste schauen. Ein Kommentar.

Winston Churchill hat seinem Sohn mal eine ziemlich bedenkenswerte Lektion mitgegeben: „Lerne, so viel du kannst, aus der Geschichte – denn wie sonst könntest du wissen, was in der Zukunft passiert?“

Für das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) war dieser Satz schon immer die Schlüssel-Maxime im Guerilla-Handbuch für den engagierten Aktionskünstler.

Aus gutem Grund. Wer würde bestreiten wollen, dass das Lernen aus der Vergangenheit eine neue Dringlichkeit besitzt in Zeiten, in denen ehemalige Geschichtslehrer wie Björn Höcke angetreten sind, um genau das zu verhindern?

Die Gruppe um Philipp Ruch hat jetzt eine neue Aktion gestartet. Sie hat sich auf die Spuren der Opfer Hitlerdeutschlands begeben und dabei einen über 75 Jahre alten Auftrag verwirklicht.

„Teurer Finder, suche überall, auf jedem Zollbreit Erde. Suchet in der Asche. Die haben wir verstreut, damit die Welt sachliche Beweisstücke von Millionen von Menschen finden kann“. So wird der in Auschwitz ermordete Salmen Gradowski zitiert.

Die Stele steht am Platz der ehemaligen Krolloper.
Die Stele steht am Platz der ehemaligen Krolloper.
© Sophie Kratzer

An 23 Orten in Deutschland, Polen und der Ukraine wurden über 200 Proben entnommen, erklärt das ZPS in seiner Pressemitteilung, und Knochenreste in „allen erdenklichen Körnungsgrößen“ gefunden. Sie wurden zusammengetragen und nun zum Mahnmal im Regierungsviertel gebracht, einer Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Krolloper.

Dort also, wo mit dem Ermächtigungsgesetz der Zusammenbruch der Demokratie besiegelt wurde – gegen die Stimmen der SPD, die von Hitler als „wehleidig“ verhöhnt wurde, aber mit Unterstützung der bürgerlichen Parteien.

Mit dem neuen Mahnmal (offiziell nur bis zum kommenden Samstag genehmigt) will das ZPS an eben diesen Verrat, dieses fatale Steigbügel-Halten erinnern.

„Feste Besuchstermine für alle Abgeordneten der Union im Bundestag sind festgelegt“, heißt es.

Wie bei jeder Aktion des ZPS – sei es der Bau eines Holocaust-Mahnmals vor Björn Höckes Haus oder die Errichtung einer römischen Arena für Tiger und Geflüchtete vor dem Gorki Theater – werden Bedenkenträger sich getriggert fühlen, werden auf den Nebenschauplätzen die kopfschüttelnden Chöre aufmarschieren und ihre alten „Darf man das?“- und „Ist das echt?“-Lieder singen.

Eins der Prinzipien des ZPS ist es ja, mit Wirklichkeit zu verstören, wo alle Fiktion erwarten. Die Beisetzung von Mittelmeer-Toten im Herzen von Berlin zum Beispiel – kann das mehr sein als ein theatraler Akt?

Diese Erregungsstürme an den Peripherien des Eigentlichen sind natürlich gewollt, das Spektakel ist Teil einer Inszenierung, die Scheinwerfer auf reale Verhältnisse richtet. Und dennoch sollte man beim ZPS nicht den gleichen Fehler wie etwa bei Schlingensief begehen – nur auf die Pose zu schauen, um sich mit dem Inhalt nicht auseinandersetzen zu müssen.

Der Sorge, dass es zu einer neuen Handreichung zwischen Konservativen und äußersten Rechten kommen könnte, hat Philipp Ruch unlängst schon in seinem Buch „Schluss mit der Geduld“ Ausdruck verliehen.

Die Stele ist erstmal nur bis Samstag genehmigt.
Die Stele ist erstmal nur bis Samstag genehmigt.
© Sophie Kratzer

Da wagt er das Gedankenexperiment einer Haselnuss-Koalition, schwarz-braun also, in der die völkische AfD-Fraktion unter CDU-Führung ein Superministerium aus Innerem und Verteidigung übernimmt. Hoffentlich nur Fiktion.

In Thüringen gab es ja bekanntlich erste CDU-Stimmen, die sich ein Zusammenmarschieren gut hätten vorstellen können.

Die „Widerstandssäule“ des ZPS im Regierungsviertel, der Aufruf, dort am kommenden Samstag (7.12., 15 Uhr) einen „zivilgesellschaftlichen Zapfenstreich gegen die AfD“ zu veranstalten, sind vor diesem Hintergrund einmal mehr Einladungen, Kunst als Wirkmacht zu begreifen.

Sie kann in einem Klima helfen, in dem die politischen Talkshows versagen und sich ein seltsamer Mehltau über die Debatte gelegt hat, wie ein Zusammenleben als Zivilgesellschaft künftig ausschauen könnte.

Zur Aktion „Sucht nach uns“ (www.sucht-uns.de) gibt das ZPS auch ein Buch heraus, „An die Nachtwelt“ betitelt. Es versammelt die letzten Botschaften von Ermordeten, außerdem einen wissenschaftlichen Aufsatz über die „Wege der Asche“. Traurig, aber wahr: wo verschüttet werden soll, ist das Lernen aus der Geschichte eine Aufgabe für Archäologen geworden.

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