zum Hauptinhalt
Chillen als Geschäftsmodell. Earn (Donald Glover, rechts) und seine Kumpel nehmen eine Auszeit.
© FX Networks

Atlanta: Porträt Donald Glover: Justin Bieber ist schwarz

Golden-Globe-Gewinner: Der Hip-Hop-Star und Comedian Donald Glover revolutioniert mit „Atlanta“ das Sitcom-Format.

Ein Rapper mit Minderwertigkeitskomplex hat in einer Kultur omnipotenter Egomanen und Statussymbolfetischisten ein Legitimationsproblem. Ihm bleiben im Prinzip nur zwei Optionen: Er akzeptiert, dass die Konkurrenz ihn als Witz – also als leichte Beute – betrachtet. Oder er spielt mit seinem Image und stilisiert sich selbstbewusst zur Witzfigur. Donald Glover hat zwischen diesen Positionen noch eine dritte Variante für sich entdeckt: Er drehte den Spieß um und wurde ein rappender Comedian.

Als Sohn eines Postbeamten und einer Erzieherin, aufgewachsen in einem sehr weißen, sehr liberalen Vorort von Atlanta, fehlte Glover der Nimbus der Straße – neben Talent immer noch der schnellste Weg zu einer Hip-Hop-Karriere. Seine Vergangenheit als praktizierender Zeuge Jehovas trug in der Community ebenfalls nicht zu seiner Glaubwürdigkeit bei. In der Comedy-Szene New Yorks hingegen – im Teenageralter als Mitglied der Upright Citizens Brigade, später als Gagschreiber für die Sitcom „30 Rock“ – war Glover oft der einzige Afro-Amerikaner im Raum. Dieses Alleinstellungsmerkmal wurde auch zum Markenzeichen seines Hip-Hop-Alter-Egos Childish Gambino.

Zu „weiß“ für die Codes afro-amerikanischer Popkultur, gleichzeitig immer Projektionsfläche für stereotype Vorstellungen von blackness. Für Glover hat sich die Rolle des hochbegabten Wunderkinds, das früh lernte, dem Rechtfertigungsdruck seines Umfelds standzuhalten und Erwartungshaltungen zu moderieren, letztlich ausbezahlt. Ende des Jahres erschien das dritte, verblüffend vergangenheitsbewusste Childish-Gambino-Album „Awaken, My Love!“ (erschienen bei Caroline). Und am vergangenen Wochenende wurde Glover für seine Fernsehserie „Atlanta“ mit zwei Golden Globes ausgezeichnet: als bester Darsteller im Bereich „TV-Serie Comedy/Musik“ und als Schöpfer, Autor und Produzent der besten Comedy-Serie.

Das ist eine doppelte Erfolgsgeschichte, die zeigt, dass das vermeintlich konventionelle Comedy-Format Sitcom in der goldenen Ära des Fernsehens echtes Innovationspotential entwickelt. Gleichzeitig taugt sie auch als Beleg dafür, dass die Fernsehserie momentan der maßgebliche Diskursraum in der US-Öffentlichkeit ist, an dem kulturelle Vielfalt (auch in ökonomischer Hinsicht) selbstverständlich praktiziert wird. Man erinnere sich nur an die immer noch notwendige Rassismusdebatte #oscarssowhite im vergangenen Jahr.

Glover spielt in "Atlanta" den Princeton-Abbrecher Earn, der – Vater eines Kindes, mit dessen Mutter er eine On/Off-Beziehung führt – auf der Suche nach einer Karriere durchs Leben driftet. Sein drogendealender Cousin Alfred, Künstlername Paper Boi, gilt gerade als neuer Hotshot in Atlantas florierender Hip-Hop-Szene. Und weil Earn keinen besseren Karriereplan hat, bietet er sich als dessen Manager an. Ein Zwischenfall vor einem Club, bei dem Paper Boi „versehentlich“ einen Rivalen anschießt, poliert das öffentliche Profil des mäßig begabten Gangster-Rappers entscheidend auf.

„Atlanta“ ist selbst innerhalb des aktuellen Serien-Booms ein Meilenstein. Nie zuvor hat ein großes TV-Network – der Sender FX gehört zum Fox-Medienkonglomerat – einem afro-amerikanischem Autor die volle künstlerische Kontrolle eingeräumt. Und noch nie hat ein Autor diese kreativen Freiheiten so konsequent ausgeschöpft. Die zehn Folgen der ersten Staffel gehören mit Abstand zum seltsamsten, was in jüngster Zeit im Fernsehen zu sehen war.

Twin Peaks mit Rappern

Donald Glover selbst beschrieb die Serie ironisch als „Twin Peaks mit Rappern“ – wohlwissentlich, dass er damit wieder auf Referenzen zurückgreift, die im Zitatschatz des Hip-Hop eine Nischenexistenz führen. Die Strategie von „Atlanta“ verhält sich dazu allerdings exakt gegenteilig. Die deliranten Dialoge und stellenweise surreale Situationskomik sind tief im Alltag, der Sprache und der Sozialisation junger Afroamerikaner in Glovers Alter (Anfang 30) verwurzelt. Aus ihnen heraus entwickelt er szenische Miniaturen, die den liberalen, strukturellen Rassismus vorführen, oder den Widerspruch, als junger Schwarzer in zwei sehr gegensätzlichen Milieus zu verkehren, auf kluge Weise verhandeln.

Diese Dialektik macht die Serie zu einem kulturellen Phänomen, das weit über das Sitcom-Genre hinausweist. Er habe eine Serie für Weiße machen wollen, die alles über schwarze Kultur zu wissen glauben, hat Donald Glover einmal erklärt. "Atlanta" gelingt dabei das Kunststück, ein enzyklopädisches Wissen afro-amerikanischer Alltagserfahrungen in die dramaturgisch losen Episoden zu streuen, und gleichzeitig das Format ad absurdum zu führen.

Die besten Episoden verzichten auf die allgemein überschätzte Konventionen eines zusammenhängenden Plots und begnügen sich mit bizarren situativen Beschreibungen, etwa einem Auftritt des Teenie-Stars Justin Bieber – der allerdings von einem schwarzen Darsteller gespielt wird. Eine andere Folge ist im Format einer fiktiven Talkshow für ein afroamerikanisches Publikum (inklusive zielgruppenorientierter Werbung) gedreht, in der eine Literaturkritikerin und Paper Boi den Sexismus in dessen Raptexten diskutieren – wenn auch nicht auf Augenhöhe. Diese Szenarien leben weniger von der Komik des Ausdrucks, denn der Ausdruckslosigkeit, wofür im Englischen der Begriff deadpan erfunden wurde.

„Atlanta“ hat sich mit den Golden Globes neben aktuellen Serien wie „Insecure“ und „Master of None“ als vorläufiger Höhepunkt einer neuen Comedy-Schule positioniert, die das Spiel mit kulturellen Zuschreibungen weiter vorantreibt. In der Ära des nicht-linearen Fernsehens sind solche Spartenprogramme inzwischen der neue Mainstream.

„Atlanta“ ist über Sky verfügbar. Am 25. März läuft die komplette erste Staffel auf Fox.

Zur Startseite