Biopic erzählt vom Drama der Sängerin: Judy Garland - vom Teeniestar zur tragischen Diva
„Judy“ von Regisseur Rupert Goold inszeniert das letzte Comeback der Entertainerin und Schwulenikone. Der Film zeigt ihren inneren Kampf mit sich und der Welt.
Torte, das ist Freiheit, ist Glück. Nicht Ruhm, nicht Reichtum, sondern Kuchen. Auf ihrem Teller liegt ein dickes Stück. Judy Garland probiert zögerlich. Als Teeniestar durfte sie keine essen. Die macht bloß dick. Der allmächtige Studioboss Louis B. Mayer, ihr mephistophelischer Mentor, erklärt der jungen Judy unmissverständlich: Wenn du eine Legende werden willst, arbeite hart, gehorche und gehe für immer auf Diät.
Drei Jahrzehnte später spendiert die warmherzige Assistentin Rosalyn Wilder (Jessie Buckley) der klapperdürren Sängerin Torte, nachdem die ihr fünfwöchiges Engagement im Club „Talk of the Town“ in London entkräftet abgebrochen hat. „Lecker“, sagt die Diva und sieht für einen Augenblick selig aus. Sechs Monate später ist Judy Garland tot. Gestorben mit 47 Jahren, an einer Überdosis Schlaftabletten.
Ein Biopic über das Leben der Jahrhundertsängerin und Schauspielerin Judy Garland: Chronologisch erzählt wäre das eine atemberaubende Berg- und Talfahrt, die für fünf Leben reicht. So glamourös wie der Namenszug „Judy“ zu Beginn des Films, der die Aura der einst höchstbezahlten Entertainerin der Welt angemessen funkelnd wiedergibt. Und so bitter wie die Reihe von körperlichen und seelischen Zusammenbrüchen, von Scheidungen, Bankrotten, Selbstmordversuchen, die ihr ziemlich öffentliches privates Lebensdrama ausmachte.
Regisseur Rupert Goold konzentriert sich in seiner Adaption von Peter Quilters Theaterstück „End of the Rainbow“, das auch in Berlin mit Katharine Mehrling als großartiger Garland im Schlossparktheater zu sehen war, auf das Karriereende. Auf die Konzertserie 1968, als Garland pleite von Los Angeles nach London reist, um eins ihrer zahlreichen Comebacks hinzulegen. Gegen Stimmverlust, Selbstzweifel und Sehnsucht nach den in Amerika zurückgebliebenen Kindern helfen nur Pillen, Alkohol – und eine Hals über Kopf eingegangene fünfte Ehe.
Jeder Triumph hat seinen Preis
Rückblenden ziehen die Verbindung zum Karriereanfang, ins Jahr 1939, als Judy Garland mit 17 ihre berühmteste Rolle spielt: Dorothy im Musical „Der Zauberer von Oz“. Der sentimentale Schmelz und die Stimmkraft, mit der Dorothy „Somewhere Over the Rainbow“ anstimmt, sind im englischsprachigen Raum auf ewig unvergessen. Sowohl der Song als auch das Technicolor-Filmmärchen entwickeln sich zu Ikonen der Popkultur.
Doch jeder Triumph hat seinen Preis. Und glaubt man der Küchenpsychologie von „Judy“, zahlt ihn die Frau, deren Ruhm „Der Zauberer von Oz“ begründet hat, nach Anfängen im Vaudeville und als Teenager-Traumpaar mit Mickey Rooney.
Für die Labilität sowie die Tabletten- und Alkoholsucht der erwachsenen Garland, die für ihre Unzuverlässigkeit an Filmsets und bei Liveshows berüchtigt war, liefern die Szenen, in denen die junge Judy von einer Gouvernante mit Aufputsch- und Schlafpillen versorgt wird, eine etwas holzhammerhafte Erklärung.
Und auch die Rückblenden, in denen der ölige Metro-Goldwyn-Mayer-Chef sein Mündel in der Studiokulisse des „Zauberers“ auf der „Yellow Brick Road“ wieder auf Linie bringt, fallen wenig subtil aus. Und doch liegt die ganze MeToo-Wahrheit einer Schauspielerinnenkarriere aus der Goldenen Ära Hollywoods darin. Denn dass Louis B. Mayer seinen Nachwuchsstar mehr als nur manipuliert hat, ist von Judy Garland selbst überliefert.
Zwei Dutzend Biografien haben sich mit ihrem Leben befasst. 2009 erschien „Get Happy: The Life of Judy Garland“, in der Gerald Clarke Interviews mit ihr auswertet, die für eine unvollendete Autobiografie der Sängerin bestimmt waren. Darin erzählt sie, wie Mayer, immer wenn er ihren „aus dem Herzen“ kommenden Gesangsstil lobte, seine Hand auf ihre linke Brust legte, in Herz-Höhe gewissermaßen.
„Ich dachte oft, dass ich Glück habe, nicht mit einem anderen Körperteil zu singen“, zitiert der Biograf die selbstironische Sängerin. Ein anderer Studioverantwortlicher droht ihr sogar, ihre Karriere zu ruinieren, um sie zum Sex zu nötigen. Das ist die Schule, durch die eine Sängerin geht, die Menschen in ihren Bann schlägt, weil sie in jedem ihrer melodramatischen Songs um ihr Leben zu singen scheint.
Hauptdarstellerin Renée Zellweger füllt diese großen Schuhe mehr als respektabel aus. Sie ist eine glänzende, bis in die Körperhaltung stimmige Judy, vor allem eine, die Garland interpretiert und nicht imitiert. Dass Zellweger singen kann, hat sie vor Jahren bereits in der Musicalverfilmung „Chicago“ bewiesen. Und auch diesmal bestreitet sie die Konzerteinlagen selber.
Sie halten sich in Rupert Goolds mehr an der Tragödie der späten Diva als an Musikfilmflitter interessiertem Drama sowieso in Grenzen. Zellweger singt nicht im charakteristischen, druckvoll-kehligen Garland-Tremolo, sondern mit einer luftigeren, vom Leben aufgerauten Stimme.
Eine Liebeserklärung des Publikums an Judy Garland
Zu hören sind Standards wie der „Trolley Song“, „Zing! Went the String of My Heart“, „Get Happy“ und die Ballade „The Man That Got Away“ aus dem Klassiker „A Star Is Born“. Die Setliste der Londoner Shows ähnelt Judy Garlands berühmtem „Live at Carnegie Hall“-Doppelalbum, für das sie 1962 als erste Frau einen ihrer vielen Grammys gewann.
Auch die durchgeknallte Uptempo-Rumba-Version von „Come Rain Or Come Shine“ hat es in den Film geschafft. Ebenso wie Dorothys Regenbogen-Lied, das als Liebeserklärung des Publikums an Judy Garland zelebriert wird. Als ihre Stimme bricht, singen die Leute weiter. Die Episode soll wahr sein, wenn auch woanders geschehen. In jedem Fall ein Tränenzieher.
Legenden hat die legendäre Künstlerin viele provoziert. Die schwule Fama will sogar wissen, dass Judy Garlands von Zehntausenden besuchte Beerdigung in New York im Juni 1969 die „Stonewall Riots“ befeuerte, also den Beginn der homosexuellen Emanzipationsbewegung.
Selbst die Regenbogenfahne soll von „Over the Rainbow“ inspiriert sein. Tatsächlich war „Friends of Dorothy“ in den Sechzigern ein gebräuchliches Codewort für Homosexuelle in den USA, und schon damals rätselte die Presse darüber, warum so viele junge Männer ihre Konzerte besuchten.
Das Magazin „Esquire“ schrieb etwa nach einem Garland-Auftritt: „Homosexuelle sind eine verfolgte Gruppe. Sie wissen, was es bedeutet zu leiden. So wie Garland auch.“ Marlene Dietrich und vor allem Judy Garland führen eine Parade weiblicher Schwulen-Ikonen mit Camp-Faktor an, die über Madonna und Janet Jackson bis zu Kylie Minogue und Katy Perry reicht. Judy Garlands Tochter Liza Minnelli – der Vater war Garlands bisexueller zweiter Ehemann, der Regisseur Vincente Minelli – gehört auch dazu.
Zwischen Sentimentalität und verbürgten Mutterwitz
„Judy“ trägt der engen Beziehung zwischen der notorisch mit den eigenen Dämonen ringenden Künstlerin und ihrer Gefolgschaft, mit der sie vom Versteckspiel wie der Kriminalisierung Ablenkung im Showgeschäft sucht, durch zwei erfundene Figuren Rechnung: Die hingebungsvollen Fans Stan und Dan lauern der Künstlerin abends am Bühnenaufgang auf und laden sie sogar zum Essen ein.
Garland war für ihren hemdsärmeligen Umgang mit Verehrern bekannt. Die herzige Episode riecht zwar genau wie die aufkeimende Freundschaft zwischen der schwierigen Sängerin und ihrer Assistentin nach Kintopp, trägt aber erheblich zum Kuschelfaktor von „Judy“ bei.
Gut, dass Renée Zellweger die Sentimentalität immer wieder durch den verbürgten Mutterwitz ihrer Figur neutralisiert. Zumal Selbstzerstörung eine Standarderzählung filmischer Künstlerbiografien ist. „Nehmen Sie was gegen Depressionen?“, fragt der Londoner Psychiater einmal die frisch eingelieferte Diva. „Vier Ehemänner“, antwortet Judy Garland. „Hat aber nicht funktioniert.“
[„Judy“ startet am 2. Januar in den Kinos]
Gunda Bartels