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Am Kupfergraben schließt die James-Simon-Galerie direkt an das Pergamonmuseum an.
© Ute Zscharnt

Chipperfield-Bau in Berlin: James-Simon-Galerie wird endlich eröffnet

Am Freitag wird die James-Simon-Galerie eröffnet. Mit ihr ist die Museumsinsel vollendet – auch wenn etwa das Pergamonmuseum noch jahrelang saniert wird.

Nun ist die Museuminsel vollständig bebaut. An diesem Freitag wird, als letztes Glied, die James-Simon-Galerie eröffnet. Angela Merkel wird die Rednerliste mit einer Ansprache beschließen, und dass diesmal die Bundeskanzlerin, nicht ihre Kulturstaatsministerin redet, unterstreicht die Bedeutung, die dem Vorgang im politischen Berlin beigemessen wird. Ältere erinnern sich noch des ersten Auftritts eines Bundeskanzlers auf der Museumsinsel: Das war im Jahr 1999, als Gerhard Schröder zur freudigen Überraschung der Anwesenden die vollständige Übernahme künftiger Bau- und Sanierungskosten der Insel durch den Bund ankündigte.

Zwanzig Jahre und hunderte Millionen Euro später wird nun der erste und einzige Neubau eingeweiht, der seit der Eröffnung des Pergamon-Museums im Jahr 1930 Platz auf der Museumsinsel findet. Vom jetzigen Neubau abgesehen, entfielen alle Baukosten seit Kriegsende auf die Sanierung des Bestandes, im Falle des Neuen Museums, das als Dreiviertelruine aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen war, auf einen kompletten Wiederaufbau. Letzteren bewerkstelligte der Londoner Architekt David Chipperfield, der darüber zum Beinahe-Berliner wurde und zu Weltruhm aufstieg.

Chipperfield verkörpert nach Schinkel (Altes Museum) mit seinen Schülern August Stüler (Neues Museum) und Heinrich Strack (Alte Nationalgalerie), nach Ernst von Ihne (Bode-Musuem) sowie nach Adolf Messel/Ludwig Hoffmann (Pergamon-Museum) die vierte Stilstufe der Museumsinsel. Mit der Simon-Galerie stellt sie eine Verbindung her zwischen dem ältesten und dem jüngsten der Vorgängerbauten, zwischen Schinkels Säulen und dem Sockel des Pergamon-Museums.

Aus der Funktion folgt hier mitnichten die Form

Das sieht und begreift man, wenn man sich vom Lustgarten her nähert oder vom Kupfergraben. Wenn man die dichte Reihe der Pfeiler sieht, die schneeweiß aus dem ebenso weißen Sockel ragen, und dahinter den grauen Koloss des Pergamon-Museums.

Unmittelbar wird einsichtig, warum Chipperfield das Motto vermeintlich aller Moderne, form follows function, für sich so vehement ablehnt. Denn aus der Funktion der James-Simon-Galerie folgt mitnichten ihre Form. Sie folgt, wenn überhaupt, aus der Notwendigkeit, ein optisches Bindeglied dieser so heterogenen Museumsinsel zu sein und zu vermitteln zwischen den Solitären, denen sie doch künftig als zentrales Eingangsgebäude dienen soll. Die Funktionen, die im Gebäude selbst untergebracht sind, erzwingen keine spezifische Form; sie sind additiv zusammengekommen – „eine Wunschliste“, wie Chipperfield bemerkt – nach Maßgabe dessen, was auf der Museumsinsel fehlt und nun irgendwie untergebracht werden musste.

Auf der Terrasse Hier wird künftig ein Café-Restaurant bis in den Abend geöffnet haben.
Auf der Terrasse Hier wird künftig ein Café-Restaurant bis in den Abend geöffnet haben.
© Ute Zscharnt

Das Gebäude wird als Galerie bezeichnet und ist es auch, aber nicht vorrangig. Ja, es gibt einen Saal für Wechselausstellungen, 650 Quadratmeter groß, gelegen tageslichtlos im Sockel. Eigentlicher Zweck des Gebäudes ist es, als Haupteingang zur Insel zu dienen. Daher eine große Kassenhalle oben, eine kleinere im Erdgeschoss, eine Garderobe, der unvermeidliche Shop; dazu Vortragssaal und Ausstellungsraum.

Ein geradezu zwingender Endpunkt der Museumsinsel

Und ein Café-Restaurant auf der Höhe von Terrasse und Loggia, direkt von der breiten Freitreppe her zu gänglich, die sich als Motiv neben dem Pfeilerwand am stärksten einprägen wird. Dieser Freitreppe folgt kein majestätischer Museumsbau – vielmehr ist die Treppe als Motiv gewählt, als Ort des Auf- und Absteigens und vielleicht auch des Daraufsitzends. Das Café wird unabhängig von den Öffnungszeiten der Museen betrieben werden und hoffentlich den herbeigesehnten Ort bilden, an dem Leben auch dann noch herrscht, wenn die Museen geschlossen sind.

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Aus dieser Wunschliste an Einrichtungen hat Chipperfield ein Gebäude komponiert. Dass es selbst nicht bloß additiv erscheint wie die Aufzählung der darin untergebrachten Funktionen, macht das Geniale seines Entwurfs aus. Es wirkt als Einheit, als geradezu zwingender Endpunkt der Museumsinsel an dieser so schwierigen Stelle. Denn nur ein schmales Handtuch an Grundstück stand zur Verfügung, und so entstand ein Gebäude von nur 10 900 Quadratmetern Bruttogrundfläche, davon 4600 Quadratmeter Nutzfläche. Der größere Teil des Gebäudes, so scheint es, besteht aus Treppen, Gängen, Durchgangsräumen – ein Haus zum Flanieren um des Flanierens willen.

Doch kann man von der Loggia aus durch eine schlichte und doch feierliche Tür ins benachbarte Pergamon-Museum treten. Zum Neuen Museum hingegen muss man im Parterre rechts abbiegen, wo ein monumental zur Schau gestellter Baumstamm, ein aus dem Baugrund gezogener Gründungspfahl aus Schinkels Zeit, auf die Beschaffenheit des wasserreichen Geländes aufmerksam macht – und auf die archäologischen Sammlungsgebiete des Neuen Museums.

Die "Archäologische Promenade" ist noch Zukunftsmusik

Mit den anderen Museen hapert der Anschluss noch auf Jahre, denn die „Archäologische Promenade“, die hier ihren Ausgang nehmen soll, ist Zukunftsmusik. Die Haushälter des Bundestages, die Schröders Kanzlerversprechen Mal um Mal in konkrete Mittelzuweisungen ummünzen müssen, wollen eine Bauaufgabe abgeschlossen sehen, ehe sie die nächste bewilligen.

Wie recht sie damit tun, hat gerade die James-Simon-Galerie gezeigt, deren Kosten sich durch Pfusch am Bau von den im Jahr 2006 überraschend zugesagten 71 auf nunmehr 134 Millionen Euro fast verdoppelten. Jahrelange Verzögerung war die Folge – gegenüber der anfangs avisierten Eröffnung 2012 satte sieben Jahre. Das erklärt wohl auch, warum die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Bauherr eine ganze Serie von Veranstaltungen ausgerichtet hat, von Grundsteinlegung über Richtfest, dann „Schlüsselübergabe“ bis zur anstehenden Eröffnung, ergänzt um etliche Zwischenbesichtigungen für die Fachöffentlichkeit. Man war darauf bedacht, immerfort anzuzeigen, dass es voran geht.

Ein solch’ glücklicher Ausgang war dem Projekt nicht von Anbeginn vorgezeichnet. Chipperfield könnte ein Lied davon singen. Sein Erstentwurf, den er parallel zur Beauftragung mit der Rekonstruktion des Neuen Museums anfertigte, fiel bei den Verantwortlichen durch. Da war viel Glas und Stahl, da standen Bauklötze nebeneinander. Da wusste allerdings auch noch niemand so recht, was hier entstehen müsste und für welche Zwecke. Es ergab sich so.

David Chipperfield
David Chipperfield
©  Tobias Schwarz / AFP

Chipperfield vollzog eine ziemliche Wende, wie er denn überhaupt in den neunziger Jahren zu seinem eigenen Stil fand, den einer klassisch-zeitlosen Moderne. Am Literaturmuseum der Moderne in Marbach am Neckar erprobte er 2006 das von Pfeilern getragene flache Dach, diese äußerste Abbreviatur eines Tempels. Den wuchtigen Sockel am Kupfergrabens – spät erst durch zwei Fenster aufgelockert – hatte er beim Wettbewerbsbeitrag Giorgio Grassis von 1994 gesehen. Grassi ist heute vergessen, aber der italienischen Rationalist hatte im Ansatz den Gedanken, den Chipperfields Zweitentwurf von 2007 ausformulierte. Mit einem Mal war der Entwurf beinahe so fertig, wie er nun ausgeführt dasteht.

Die Länge dieses so berlin-typisch verkomplizierten Verfahrens hat sich bei der Museumsinsel bereits zum zweiten Mal nach dem Neuen Museum bewährt. Beide Male ist Chipperfield der Architekt. Er bewies eine Engelsgeduld mit all den Bedenkenträgern, die im Laufe der Jahre kamen, redeten und wieder gingen. Aber der Architekt hat so viel daraus gelernt, wie an anderen seiner Bauten abzulesen ist, etwa dem Umbau der Royal Academy in London. So hat vielleicht Schinkel mit seinem König ringen müssen. Nur dass sich Chipperfield keinem König, sondern einer unübersehbaren Zahl von Mitreden-Wollenden gegenüber sah. Die Autorität, die Chipperfield heute, im Zenit seines Schaffens ausstrahlt, hat er sich wahrlich erworben.

Mit James Simon hat sich die Stiftung schwer getan

Das zweite Charakteristikum seiner Architektur neben der souveränen Schaffung von Raum ist die Materialwahl und -behandlung. Chipperfield legt auf sorgfältigste Ausführung wert. Nur so entgeht sein Minimalismus der Formen der Gefahr, unfertig oder gar billig zu wirken. Makellos sind die überschlanken Pfeiler, obgleich sie aus Beton bestehen – mit Zuschlag von Marmorstaub. Den Boden deckt Muschelkalk, die Türrahmen sind aus Baubronze, und das Auditorium besitzt eine elegant gewellte Saaldecke aus dunklem Holz. Die harten, filzbezogenen Sitzbänke allerdings scheinen das puritanische Erbe Cromwell-Englands bewahren zu wollen.

[James-Simon-Galerie, Bodestr. (Mitte), tgl. 9:30–18:30 Uhr, Do bis 20:30 Uhr. Dort sind alle Tickets, Museumspass, Welcome Card usw. erhältlich. Gastronomie tgl. 9:30–23 Uhr geöffnet. – Publikation: David Chipperfield Architects: James-Simon-Galerie. Zahlr. Beiträge, Fotografien von Thomas Struth. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln. 246 S. m. 160 Abb., 38 €.]

Bleibt noch der Ausstellungssaal. Darin wird eine Vier-Wochen-Ausstellung zu James Simon gezeigt werden, dem größten Mäzen der Berliner Museen. Der Einladung der SPK zur Eröffnung lag eine Broschüre zu Simon bei – deren Gesamtauflage von 5000 Exemplaren jedoch nicht die Stiftung, sondern allein eine Mäzenin unserer Tage, Waldtraut Braun, finanziert hat, wie der unermüdliche Vorkämpfer für die Ehrung Simons, Bernd Schultz, denn auch gebührend kundtut.

Mit James Simon hat sich die Stiftung schwer getan – warum bloß? In der nach ihm benannten Galerie findet sich eine bronzene Ehrung an der Eingangswand, die durchaus nicht von Anbeginn vorgesehen war. Die Eröffnungsausstellung ist ein Kompromiss, denn ursprünglich wollten die Museen mit einer Jubiläumsausstellung der Gipsformerei auftreten. Die wird nun etwas später nachgeholt.

Jetzt nimmt die Öffentlichkeit von dem Neubau Besitz – ihrem Neubau, finanziert vom Geld der Steuerzahler. Mit dem Aufstieg auf der breiten Freitreppe sich befreit zu fühlen und die ganze „Freistätte von Kunst und Wissenschaft“ zu umfassen, das ist vom Wochenende an allen Bürgern gegeben. Ein Glücksfall.

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