Böhmermann, Satire und deutsche Richter: Ist das nun Kunst oder strafbar?
Böhmermann, Erdogan, das Schmähgedicht: Worum geht es eigentlich, um Satire oder Verunglimpfung? Über die Beleidigung und die Kunst vor deutschen Richtern.
Vandalismus, Diebstahl, Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole, Volksverhetzung, Blasphemie, Beleidigung und Verleumdung – all das ist strafbar in Deutschland. Es sei denn, der Täter kann das Recht auf Meinungs- und Kunstfreiheit für sich in Anspruch nehmen und die Justiz kommt zu dem Schluss, dass es sich weniger um Gotteslästerung oder Wandschmiererei handelt als um eine Karikatur, ein Graffiti, eine Performance. So geschehen bei Schlingensiefs „Tötet Helmut Kohl“ 1997 bei der Kasseler Documenta, beim Jesus-Comic des Karikaturisten Haderer, bei Jonathan Meeses Hitlergrüßen.
Eine Frage der Abwägung: Die Satire darf auch in Deutschland längst nicht alles, konkurriert sie doch mit anderen Grundrechten wie dem der Menschenwürde oder der Religionsfreiheit. Aber sie darf bekanntlich sehr viel.
Die Causa Böhmermann - der TV-Comedian steht jetzt unter Polizeischutz - bringt sie wieder ins Bewusstsein: die knifflige Frage der Grenze von Kunst, Unterhaltung, Redefreiheit. Denn Jan Böhmermann hatte im ZDF in seiner Late-Night-Show „Neo Magazin Royale“ vom 31. März ja nicht einfach ein zweifellos strafbares (und mieses) Schmähgedicht gegen den türkischen Präsidenten vorgetragen. Böhmermann, das fällt in der hitzigen Kontroverse jetzt leicht unter den Tisch, schmähte das türkische Staatsoberhaupt in einem unmissverständlich als Selbstreflexion gekennzeichneten Rahmen, unterhielt sich mit seinem Assistenten Ralf Kabelka über die Frage, was erlaubt und was verboten ist in deutschen Landen und was Spaß und Satire von Herabwürdigung unterscheidet.
Böhmermann hatte seine "Schmähkritik" deutlich als Negativ-Beispiel angekündigt
„Was jetzt kommt, das darf man nicht machen“: Das Erdogan-Gedicht trug Böhmermann dann als Lehrbeispiel dafür vor, was auch in Deutschland justiziabel ist. Zeilen wie: „Am liebsten mag er Ziegen ficken und Minderheiten unterdrücken, Kurden treten, Christen hauen und dabei Kinderpornos schauen.“ Geht gar nicht, fügte er hinzu, schüttelte verneinend den Kopf, Kabelka pflichtete ihm bei. Kabelka betonte schon vorab, bestraft könne werden, „wenn du Leute diffamierst, wenn du einfach nur so untenrum argumentierst“. Schimpfen, die Privatperson in den Dreck ziehen, heikle Sache – nicht klatschen!
Nach dem Gedicht erörterten die beiden, dass die Verse vom ZDF aus der Mediathek entfernt werden könnten (was mit Böhmermanns Zustimmung geschah), und empfahlen Erdogan, sich für seine Klage einen guten Anwalt zu nehmen, am besten Christian Schertz (der jetzt Böhmermann vertritt). Die Schmähverse sind also eindeutig in eine medienkritische Performance integriert. Die Diffamierung steht in Anführungsstrichen, ist als Zitat inszeniert, als Fiktion. Und anders als beim Extra 3“-Spot „Erdowie, Erdowo, Erdogan“, auf den die ZDF-Comedians sich explizit bezogen, zielt Böhmermann weniger darauf, den Despoten und Zensor Erdogan per Überzeichnung bloßzustellen, als dem deutschen TV-Publikum die Sache mit der Satire und den Persönlichkeitsrechten zu verklickern. Was den Fall noch vertrackter macht.
Die Frage, ob die uneigentliche Rede die Diffamierung abmildert, wird nun das Gericht in Mainz beschäftigen, bei dem Erdogan Strafanzeige gestellt hat. Ist die Schmähnummer wirklich Satire oder nur eine „als Verbotsmuster camouflierte degoutante Verbalbeleidigung“, wie Wolfram Schütte auf perlentaucher.de schreibt? Schütte vergleicht Böhmermanns Dialektik mit der eines Mörders, der vor dem Schuss seine eigene Tat zur Straftat erklärt, um dann doch abzudrücken – wobei er den Unterschied zwischen Realität (Mord) und Fantasie (Rufmord) ignoriert. Oder werden die Mainzer Richter zu einem ähnlichen Schluss kommen wie der Staatsrechtler Alexander Thiele auf verfassungsblog.de, der eine für die Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit ausreichende Distanzierung gegeben sieht, weil die „(fiktive) Schmähkritik ... in einen edukatorischen Gesamtkontext gestellt“ ist?
"Soldaten sind Mörder": Das Bundesverfassungsgericht sprach die Friedensaktivisten frei
Ist das nun Kunst oder strafbar? Eine Überzeichnung mit Erkenntnisgewinn oder eine Herabsetzung ohne erkennbaren Mehrwert? Die deutschen Gerichte entscheiden meist im Sinne der Kunstfreiheit. So entschied das Bundesverfassungsgericht Mitte der 90er Jahre im Falle des Tucholsky-Zitats „Soldaten sind Mörder“, dass die vielfach wegen Beleidigung oder Volksverhetzung angeklagten Friedensaktivisten freigesprochen werden. Auch wurden alle 41 Verfahren gegen Klaus Staecks politische Plakate mit teils harscher Kritik an prominenten Politikern zugunsten des Grafikkünstlers entschieden. Das Kollektiv „Zentrum für Politische Schönheit“ entwendete 2014 Mauerkreuze, um sie an den europäischen Außengrenzen aufzustellen – die Ermittlungen gegen die Konzeptkünstler wurden nach der Rückkehr der Gedenkkreuze eingestellt. Und am Moabiter Landgericht sahen sich Richter und Staatsanwältin letzten Sommer überfordert, als der Künstler Klaus Rudolf den Diebstahl dreier Basilikumtöpfe zur Aktionskunst deklarierte.
Majestätsbeleidigung: ein verzopfter Paragraf
Bleibt die Majestätsbeleidigung und ihre Ahndung. Paragraf 90 des Strafgesetzbuchs stellt die Verunglimpfung des Bundespräsidenten unter Strafe; die Paragrafen 103 und 104 – Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes – möchte Erdogan geltend machen, neben der Klage in Mainz. Ein seltener Fall: Mit Chile gab’s mal in den 70er Jahren wegen eines „Mörderbanden“-Transparents Probleme, aber schon Rudi Carrells Chomeini-Spott in seiner „Tagesshow“ 1987 machte lediglich diplomatisch Skandal. Die Majestätsbeleidigung ist ein Relikt aus dem Kaiserreich, basierend auf der Idee vom absolutistischen Herrscher. Vielleicht hat die Böhmermann-Aufregung ja zur Folge, dass die verzopften Paragrafen abgeschafft werden. Beleidigung ist Beleidigung, ob Herr oder Knecht.