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Inzwischen juristische Kontrahenten: der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan (links) und Satiriker Jan Böhmermann.
© dpa

Streit um Schmähgedicht: Erdogan geht gegen Böhmermann auf Nummer sicher

Bis zur letzten Instanz will Erdogans deutscher Anwalt Hubertus von Sprenger gehen, um Jan Böhmermann "auf den rechten Weg wieder zurückzuführen". Die Staatsanwälte in Mainz ermitteln jetzt wegen zweier Paragrafen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will offenbar bis in die letzte Instanz gegen das „Schmähkritik“-Gedicht des ZDF-Satirikers Jan Böhmermann vorgehen. Das erklärte sein deutscher Anwalt, der am Dienstagabend zum ersten Mal öffentlich in der Sache in Erscheinung trat. „Wenn ich das Mandat annehme, ziehe ich das auch durch“, sagte der Münchner Jurist Hubertus von Sprenger im ZDF-„heute journal“. „Der Präsident verspricht sich die Bestrafung des Betroffenen und verspricht sich auch, dass der in Zukunft das nicht wiederholt, was er gesagt hat, auf zivilrechtlicher Ebene.“

Neben dem an die Bundesregierung gerichteten Strafbegehren hat Erdogan mittlerweile auch persönlich Anzeige gegen Böhmermann erstattet. Von Sprenger sagte zu dem zivilrechtlichen Schritt, dass der Moderator eine Strafe bekommen solle, „die erforderlich ist, um ihn auf den rechten Weg wieder zurückzuführen, Satire zu machen und nicht mehr plumpe Beleidigungen“.

Zu den Motiven seines türkischen Mandanten wollte sich der Jurist nicht äußern. Auf die Frage, warum sich der Präsident überhaupt um Satirebeiträge im deutschen Fernsehen kümmere, entgegnete von Sprenger: „Die Frage können Sie mir als Juristen nicht stellen. Das ist eine höchstpersönliche Frage, die ich nicht beantworten kann.“

Erdogans Anwalt wies im ZDF die Darstellung zurück, der türkische Präsident bringe mit seinem Vorgehen gegen Böhmermann die Bundesregierung in eine Zwickmühle. „Ich weiß nicht, ob die Kanzlerin hier in einem Problem steht“, sagte von Sprenger. Es gehe hier um eine juristische „Formalie“, über die letztlich ein Richter zu entscheiden habe.

Auswärtiges Amt zweifelt am strafrechtlichen Weg

Im Auswärtigen Amt wird ein mögliches Strafverfahren gegen den Satiriker Jan Böhmermann kritisch gesehen. „Wir sind skeptisch, ob das Strafrecht der richtige Weg sein kann“, verlautete aus dem Umfeld von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner fordert die Bundesregierung auf, den Antrag der türkischen Regierung auf eine Strafverfolgung abzuweisen: „Ich erwarte, dass die Regierung die Freiheit der Meinung, der Presse, Kunst und Kultur – unabhängig vom persönlichen Geschmack – offensiv verteidigt und den Antrag der Türkei ablehnt“, sagte Stegner dem Tagesspiegel. Zugleich sprach er sich dafür aus, den Paragrafen 103 des Strafgesetzbuchs abzuschaffen. „Majestätsbeleidigung sollte im 21. Jahrhundert nun wirklich kein Delikt mehr sein.“ SPD- Fraktionschef Thomas Oppermann äußerte sich ähnlich.

Inzwischen verfolgt auch die Staatsanwaltschaft Mainz den Fall – jetzt wegen zwei in Betracht kommender Delikte. Nach dem Strafantrag, den Sprenger für Erdogan gestellt hat, wird nun neben der Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter, Paragraf 103 Strafgesetz, auch wegen „normaler“ persönlicher Beleidigung, Paragraf 185, ermittelt. Erdogan geht damit auf Nummer sicher: Selbst wenn die Regierung die zur Verfolgung des 103-Delikts nötige Ermächtigung verweigert, sind die Strafverfolger gehalten, den Sachverhalt im Hinblick auf Paragraf 185 zu erforschen.

Bei „Majestätsbeleidigung“ bis zu drei Jahren Haft

Die Strafdrohung ist dabei sehr unterschiedlich. Theoretisch gibt es bei der „Majestätsbeleidigung“ bis zu drei Jahren Haft, bei der normalen Beleidigung nur bis zu einem Jahr. Ansonsten besteht für die Tatbestände eine ähnliche Voraussetzung: Beleidigung ist nach Auslegung der Gerichte ein rechtswidriger Angriff auf die Ehre einer Person, die „Kundgabe von Missachtung oder Nichtachtung“. Böhmermanns Schmähgedicht erfüllt, isoliert betrachtet, problemlos diesen Tatbestand. Da es aber eingebettet war in ein Arrangement, das ironisch die in Deutschland geltenden juristischen Grenzen einer Erdogan-Satire absteckt, wird die rechtliche Einschätzung in beiden Varianten schwierig.

Dennoch wird die Staatsanwaltschaft um frühzeitige Festlegungen nicht herumgekommen sein. Nach den „Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren“ muss sie die Bundesregierung umfassend über ihre Bewertungen informieren. „Der abschließende Bericht soll den Sachverhalt erschöpfend darstellen und rechtlich würdigen“, heißt es. Dazu gehören „besondere Tatumstände, Persönlichkeit, Verhältnis, Vorstrafen und Reue des Täters“.

Der Bericht ist fertig und geht jetzt auf dem Dienstweg über Generalstaatsanwaltschaft und Landesjustizministerium an das Bundesjustizministerium. Insgesamt handelt es sich also um eine Vorwegnahme, ob die Staatsanwaltschaft beabsichtigt, Anklage zu erheben. Die Bundesregierung und ebenso das angegriffene Staatsoberhaupt sollen sich ein Bild davon machen können, ob eine Strafverfolgung aussichtsreich ist.

Damit soll vermieden werden, dass ein ausländischer Staatschef mit dem Ansinnen, „Majestätsbeleidigung“ verfolgen zu lassen, gleichsam auf die Nase fällt. Erdogan scheint dies nicht zu interessieren – er hat sein Strafverlangen ohne den Bericht der Ermittler gestellt. Mit dem zusätzlichen Strafantrag wegen Paragraf 185 zeigt er, dass er alle nötigen Maßnahmen ergreifen will.

Welke kritisiert Merkel

Kritik richtet sich indes auch an Angela Merkel. Der ZDF-Moderator Oliver Welke attackierte die Bundeskanzlerin scharf: Zu einem „Fall Böhmermann“ sei die Sache erst geworden, als sich Merkel dazu habe zitieren lassen, sagte Welke der „Bild“-Zeitung. „Ein großer Fehler, der ihr hoffentlich leidtut.“

Merkel hatte Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilen lassen, dass sie Böhmermanns Schmähgedicht „bewusst verletzend“ finde. Böhmermann hatte beleidigende Formulierungen benutzt, um – wie er selbst erläuterte – die Unterschiede zwischen in Deutschland erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik deutlich zu machen. (mit dpa/AFP)

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