Kunstsammlung Würth in Berlin: In der Wunderkammer
Ob Hockney oder Holbein: Die Sammlung des schwäbischen Unternehmers Reinhold Würth überwältigt im Berliner Gropius-Bau mit ihren Kostbarkeiten.
Die Zahlen müssen stimmen, das zuerst. Bei der Präsentation der Sammlung Würth im Martin-Gropius-Bau verlas ein Unternehmenssprecher zunächst die solide Bilanz der Würth-Gruppe: 10 Milliarden Euro Umsatz, 68 000 Beschäftigte, davon 30 000 Verkäufer. Dann erst kommt die Kunst.
Auch als Sammler verleugnet Reinhold Würth den Kaufmann nie. Mit 14 Jahren trat er in die väterliche Schraubengroßhandlung ein. Nach dem Tod des Vaters muss er schon mit 19 die Geschäfte führen. Heute 80-jährig, mischt er immer noch im Unternehmen mit. Aber auch die Bilanz seiner Sammlung liest sich glänzend. 17 000 Werke insgesamt, eine eigene Kunsthalle in Schwäbisch Hall sowie die Johanniterkirche als Ausstellungsort, Eintritt frei.
„Die Kunst“, sagt Würth, „gibt dem Unternehmen die Sicherheit, dass es sich nicht ausschließlich auf Gewinnmaximierung fokussiert.“ In Berlin ist zwar nur ein Bruchteil zu sehen – und dennoch ist es eine gewaltige Ausstellung. „Kunstgeschichte rückwärts gelesen“, beschreibt Kurator Peter-Klaus Schuster sein Konzept unter dem Titel „Von Hockney bis Holbein“.
Die Ausstellung entwickelt sich zwischen diesen Polen: In seiner Heimat Yorkshire hat David Hockney die Bilder von drei Bäumen digital synthetisiert und in vier Gemälden die Jahreszeiten festgehalten: das lichte Frühjahrsgrün, das dichte Sommerlaub, die Herbstfärbung, die kahlen Äste im Winter. Die Serie nimmt Abschied von der analogen Augenweide. Sie ist von künstlichem Licht und digitalen Farben geprägt.
Holbeins Bild soll 50 Millionen Euro gekostet haben
Im entgegengesetzten Flügel bietet die Sensation der Sammlung Trost und Zuflucht – die Schutzmantelmadonna von Hans Holbein aus dem frühen 16. Jahrhundert. So diskret der Sammler Reinhold Würth bei den Preisen für seine Kunst bleibt, die Kaufsumme von 50 Millionen Euro dementiert er zumindest nicht.
Das Bild hing von 1822 bis 1852 im Berliner Stadtschloss als Geschenk des Prinzen Wilhelm von Preußen an seine Frau Marianne. Ein kleines Aquarell von Eduard Gärtner zeigt die Madonna in den Gemächern der Prinzessin. Holbeins Maria legt schützend ihren Mantel über den katholischen Bürgermeister des reformierten Basel. Den Glaubenskonflikt deutet der Künstler nur mit einer Stolperfalte im Teppich an.
Bevor sich der Besucher Hockneys Vergehen oder Holbeins Hoffnung zuwendet, passiert er Alexander Caros „Jüngstes Gericht“ im Lichthof. Ein furchterregender Totentanz, der 1995 bis 1999 unter dem Eindruck eines anderen Glaubenskonflikts entstand, des Kriegs auf dem Balkan.
Ein Gesamtbild der Verletzlichkeit
Die „Wunderkammer Würth“ versöhnt danach mit ihrem Gespür für Schönheit. Anselm Kiefer, Hans Magnus Enzensberger, Horst Antes ergänzen die makellosen Elfenbeinleiber von Leonhard Kern aus dem 17. Jahrhundert zu einem Gesamtbild der Verletzlichkeit. Die assoziative Hängung funktioniert, wenn sie sich an der Ästhetik orientiert. Motivische Nachbarschaften aber kommen sich ins Gehege. Die Frauenporträts von Christian Schad und Claude Émile Schuffenecker beißen sich gegenseitig weg. Da der Rundgang keinem Kanon folgt, kann der Blick schweifen, hängenbleiben, jeder sein eigenes Urteil fällen.
Zu den Höhepunkten des „Wunders von Würth“, wie Schuster die ausufernde Sammlung nennt, zählt der Raum für Max Ernst. Immer wieder hat Reinhold Würth ganze Konvolute gekauft, von Max Ernst etwa die durch Werner Spies zusammengetragene Sammlung der Lufthansa. Später, auf Drängen seiner Frau, auch die Fürstlich Fürstenbergische Sammlung mit süddeutscher Malerei und Skulptur des Spätmittelalters. Die Konfrontation mit den Porträts der Moderne, von Picasso, Beckmann, Warhol, schärft die Aufmerksamkeit für die Darstellungen aus dem 16. Jahrhundert. Auffallend selbstsicher blickt da Maria Jacobäa von Baden in Barthel Behams Bildnis.
Weil er an der Universität Karlsruhe das Institut für Unternehmensführung aufbaute, sammelte Würth auch die Lehrer und Schüler der dortigen Kunstakademie: Antes, Lüpertz, Baselitz, Balkenhol. Bekannt sei er mit vielen, sagt der Unternehmer, aber unter den Künstlern nennt er nur Christo als Freund. Der Raum mit dem verhüllten Baum, der frühen Ladenfront, den mit Stoff umschmeichelten Stühlen, hebt die ganze Zartheit hervor, die Christos Werk jenseits der Dimensionen innewohnt.
Mäandern als Gewinn
Wie Holbeins Madonna ihren Mantel um die Schultern des furchtsamen Bürgermeisters von Basel legt, so bewahrt Christo das Hab und Gut der umherirrenden Welt vor dem Untergang. Da erweist sich die mäandernde Erzählstruktur dieser Sammlung als Gewinn. Statt auf die Kunstgeschichte richtet „Von Hockney bis Holbein“ den Blick auf das einzelne Kunstwerk.
Martin-Gropius-Bau, bis 10. Januar; Niederkirchnerstr. 7, Mi–Mo, 10–19 Uhr.
Simone Reber
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