Reinhold Würth im Interview: "Berlin ist immer noch so grausam provinziell"
Schraubenmilliardär und Sammler Reinhold Würth zeigt seine Kunst im Berliner Gropius-Bau. Im Tagesspiegel spricht er über Flüchtlinge, den Wert der Kunst und das provinzielle Berlin.
Herr Würth, Sie sind im April 80 geworden. Haben Sie nie daran gedacht, in den Ruhestand zu gehen?
Doch, schon mit 40 habe ich mir überlegt: Mit 65 gehst du in Rente und schreibst einen Kriminalroman. Es ist dann in der Praxis anders gekommen.
Sie können nicht aufhören?
Es gibt zwei Seiten. Ich beobachte immer wieder, dass sich Menschen meines Alters, die vor ein paar Jahren in Pension gegangen sind, gnadenlos langweilen. Selbst wenn Sie sich ein komfortables Leben im Süden, mit Strand und Sonne, leisten können.
Sie sind einer der reichsten Männer der Welt. Sie könnten für Abwechslung sorgen.
Zugegeben, ich ärgere mich selbst manchmal über meine Blödheit, heute noch so aktiv zu sein. Wir haben zum Beispiel ein schönes Anwesen auf Schwanenwerder. Meine Frau meint, wir sollten es häufiger nutzen. Es ist ja auch so schön am Wannsee. Man kann ins Grüne fahren. Früher war ich oft mit dem Fahrrädle unterwegs, bis nach Neuruppin raus.
Wie oft sind Sie in Berlin?
Ein bis zwei Mal im Monat.
Sie waren gerade sieben Wochen lang mit ihrer 85-Meter-Jacht in Norwegen. Lassen Sie die Seele baumeln?
Sicher nicht. Auch dort bin ich aktiv. Wir haben jeden Tag Landausflüge gemacht, Museen besucht, Kirchen. Wir haben auch einen Helikopter an Bord.
Den Sie aber nicht selbst fliegen?!
Nein, mein Enkelsohn fliegt ihn. Ihm kann ich voll vertrauen.
Arbeiten Sie an Bord?
Natürlich. Ich bekomme jeden Tag Post aufs Boot gemailt und ich diktiere dann drei bis vier Stunden. Die Korrespondenz wird von meinen Sekretärinnen zu Hause bearbeitet. Wir machen auch Video- oder Telefonkonferenzen. Das ist lustig. Ich bin zwar nicht mehr ins Tagesgeschäft eingebunden, aber um strategische Fragen kümmere ich mich schon noch. Die Rückkehr war ein Freudenfest – für mich, aber auch für meine Geschäftsführer.
Wie haben Sie nach Ihrer Rückkehr die Bilder von Flüchtlingen in Europa wahrgenommen?
Mit Leiden. Und es war gewissermaßen ein Déjà-vu für mich: Ich habe nach dem Krieg selbst noch die Flüchtlingszüge aus dem Osten in Künzelsau ankommen sehen. Wissen Sie, meiner Frau und mir ist das Mitleid mit anderen Menschen ohnehin nicht unbekannt. Nicht zuletzt, weil unser Sohn geistig behindert ist und besonderer Fürsorge bedarf. Meine Frau ist sehr in der Behindertenbetreuung engagiert.
Tun Sie etwas für die Flüchtlinge?
Ja. Wir bereiten gerade ein leer stehendes Gebäude für die Aufnahme von Flüchtlingen vor. Unabhängig von staatlichen Aktivitäten geben wir als erste Hilfe 500 000 Euro dazu. Ich sehe in der Zuwanderung auch eine große Chance für unser Land. Viele, die jetzt zu uns kommen, sind gebildete Menschen voller Tatendrang, Akademiker, Ärzte. Sie sind eine Bereicherung.
Keine Belastung?
Es ist eine unsinnige Lüge, zu behaupten, die Ausländer lägen unserem Sozialsystem nur auf der Tasche. Sie zahlen im Gegenteil Steuern und Sozialversicherungsbeiträge und tragen zum Gelingen unseres Systems bei. Gerade in Baden-Württemberg sehen das übrigens viele Unternehmer so, die nach Fachkräften suchen.
Empfinden Sie Ihren Reichtum angesichts des Flüchtlingsdramas auch als Bürde?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe in meinem Leben geschuftet wie kaum ein anderer und meinen Reichtum nicht verschwendet. Würth hat heute fast 67 000 Beschäftigte. Der Staat hätte für die Schaffung dieser Arbeitsplätze fünf Mal so viel Kapital verbrannt.
Eigentum verpflichtet.
So sehe ich das auch. Die Sozialverpflichtung des Eigentums sehe ich sehr wohl. Wenn ich mir dann nach 65 Berufsjahren eine Jacht leiste, ist das im Gesamtkontext eine Petitesse.
Ein Teil ihrer großen Kunstsammlung ist jetzt in Berlin im Martin-Gropius-Bau zu sehen. Sie besitzen 15 Museen und Kunsthallen in ganz Europa. Der Eintritt ist überall frei. Ist das auch eine Form des Teilens für Sie?
Ja, sicher. Ich könnte meine Kunst ja auch im Tresor lassen. Es ist aber Philosophie unseres Unternehmens, dass wir mit diesem Pfund auch wuchern wollen. Das Engagement ist nicht nur selbstlos.
Welcher Gedanke steckt dahinter?
Die Sammlung macht uns bekannt, sie treibt das Unternehmen voran. Würde ich nicht meinen Holbein im Martin-Gropius-Bau zeigen, würden Sie und Ihr Blättle auch kein Interview mit mir führen wollen.
Sie täuschen sich.
Wissen Sie, ich werde oft gefragt: Warum geben Sie einen dreistelligen Millionenbetrag für Kunst aus? Dafür könnte man doch Firmen kaufen, Hallen bauen, investieren. Was soll das? Ich kann auch nicht genau sagen, ob es richtig oder falsch war. Eines weiß ich auf jeden Fall: Würth war vor 40 Jahren ein Nobody im Markt, heute sind wir Weltmarktführer. Die Kunst kann also mindestens nicht geschadet haben.
Was hat sie dem Unternehmen gebracht, das mit Schrauben und Befestigungstechnik groß geworden ist?
Die Beschäftigung mit der Kunst hat Würth zu einem kosmopolitischen Unternehmen gemacht, dem man eine gewisse Eloquenz und Leichtigkeit zuschreibt. Wir sind nicht fanatisch nur auf Umsatz und Gewinn fixiert. Ich bin natürlich auch Kaufmann und weiß, dass meine Sammlung an Wert gewonnen hat. Aber ich verkaufe nichts. In der Bilanz stehen auch nur die Anschaffungskosten, nicht der Wertzuwachs. Besonders freut mich, wenn unsere Mitarbeiter etwas von der Kunst haben. Auch die, die vorher nichts damit am Hut hatten. Das ist eine emotionale Rendite für mich.
Was bringt das den Mitarbeitern?
Die Kunst schafft Leichtigkeit, sie fördert die Kreativität, schafft Identität. Wer mag, kann sich zum Beispiel aus unserer Artothek Kunstwerke ausleihen und mit nach Hause nehmen. Viele sind auch stolz auf ihren Job, wenn sie sehen, wie viele Besucher von draußen kommen, um sich die Ausstellungen in unserem firmeninternen Kunstmuseum in Künzelsau anzusehen. Ich sage manchmal scherzhaft: Wir führen das Unternehmen eher wie einen Kegelverein. Bei Würth herrscht eine fröhliche Atmosphäre.
Reinhold Würth über die Gemeinsamkeiten von Künstlern und Unternehmern
Was haben Unternehmer und Künstler gemeinsam?
Sehr viel. Bei manchen Künstlern ist der Erwerbssinn sehr gut ausgebildet – vorsichtig formuliert. Die sind wie Kaufmänner. Andere sind das genaue Gegenteil. Christo, zum Beispiel, lebt in New York in seinem Atelier in unglaublich bescheidenen Verhältnissen. Das ist fast menschenunwürdig. Sehr beeindruckend. Zumal er in seinem Künstlerleben sicher eine dreistellige Millionensumme umgewälzt hat, die er aber immer direkt in neue Projekte reinvestiert hat.
Und was ist das Künstlerische im Unternehmer?
Ein Unternehmen eloquent und filigran zu führen, ist eine Kunst. Gute Unternehmer erfinden ihr Unternehmen quasi täglich neu. Sie müssen agieren, reagieren, sind millionenfach vernetzt mit dem Markt, dem Wettbewerb mit Kollegen, Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern, Banken. Es macht Spaß, wenn aus Chaos und Irrationalität Ordnung entsteht und alles sauber funktioniert.
Sie haben es einmal so gesagt: Kunst ist die Avantgarde der Ökonomie. Steile These.
Ein Unternehmen an sich ist ein Kunstwerk. So, in dieser Breite und Tiefe, habe ich das noch nie gesehen und formuliert. Aber es ist so.
Das erzählen Sie mal einem börsennotierten Konzern, der mit Analysten klarkommen muss.
Ich glaube, Sie liegen da falsch. Die Ratingagenturen etwa haben längst begriffen, dass die Beschäftigung allein mit den Zahlen und der Vergangenheit zu kurz greift. Sie bewerten auch den emotionalen Teil eines Unternehmens. Wer nur noch über Industrie 4.0, die Rationalisierung von EDV-Prozessen und die Schnelligkeit von Prozessoren nachdenkt, wird allemal scheitern.
Sie haben es leicht: Schrauben kann man nicht digitalisieren.
Weit gefehlt. Mit 3-D-Druckern werden in absehbarer Zeit auch Schrauben digital. Das ist auf gutem Wege. Aber es gilt: Die Wirtschaft wird nicht von Computern gemacht, sondern von Menschen. Für die Vergabe eines Auftrags sind nicht nur das Internet und der Preis wichtig. Sie müssen funktionieren. Aber am Ende hängen 70, 80 Prozent des Erfolgs an Sympathien, an Emotionen, am richtigen Gespür. Nehmen Sie die deutsche Autoindustrie …
Sie meinen deren Werbung?
Ja. Im Grunde bauen ja alle die gleichen Autos. Die sind qualitativ kaum zu unterscheiden. Deshalb entscheiden am Ende Emotionen und Reklame über die Kaufentscheidung. „Freude am Fahren“, „Vorsprung durch Technik“, „Das Beste oder nichts“ – solche Sprüche.
Herr Würth, noch ein Wort zu Berlin. Kann die Stadt, in der Sie jetzt Ihre Sammlung zeigen, mehr als Kultur und Politik?
Für uns aus dem Süden ist Berlin die Stadt der großen Klappen. Die Berliner legen am Abend zuerst ihre große Klappe ins Bett und schauen dann, ob sie selbst noch Platz haben.
Viel Lärm um nichts?
Im Ernst: Berlin hat unter der Teilung natürlich enorm gelitten. Das spürt man bis heute. Die Industrie ist abgewandert und nicht zurückgekehrt.
Stattdessen sind Start-ups gekommen. Wie schätzen Sie deren wirtschaftliches Potenzial ein?
Wir sind sehr optimistisch für Berlin. Würth wächst mit etwa 20 Abholshops bundesweit hier am stärksten. Gerade haben wir eine Dependance von Würth Elektronik eröffnet, in der wir junge Elektroingenieure engagiert haben. Wir beobachten die Berliner Start-up-Szene sehr aufmerksam. Andererseits ist die Stadt immer noch so grausam provinziell. Es ist nicht auszuhalten.
Stichwort Flughafen?
So dackelhaft, wie man sich hier benimmt, das finden Sie auf der ganzen Welt nicht mehr. Wo gibt es auf dem Globus die Hauptstadt eines Landes mit solcher wirtschaftlichen Bedeutung, die keinen Großflughafen hat. Paris und Moskau haben vier Flugplätze, London hat sechs. Und die Berliner Politik? Sie ist völlig verbohrt und denkt an die Wahl im kommenden Jahr.
Sie wollen hier nicht investieren?
Ich würde einen Teufel tun, solange es keinen großen Flughafen gibt. Wir haben in der Schweiz, in Rorschach, für 100 Millionen Franken nur ein neues Verwaltungsgebäude gebaut, weil der Flughafen St. Gallen in der Nähe ist.
Würden Sie denn, wenn Sie 30 wären, nach Berlin kommen, um ein Start-up zu gründen?
Als Pilot sicher nicht.
Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.
ZUR PERSON
DER UNTERNEHMER
Reinhold Würth (80) hat in mehr als 65 Berufsjahren den württembergischen Hersteller von Schrauben und Befestigungsmaterial zum Weltkonzern aufgebaut. 67 000 Würth-Beschäftigte erwirtschafteten zuletzt einen Jahresumsatz von mehr als zehn Milliarden Euro. 1994 zog sich Würth aus dem operativen Geschäft zurück, 2006 übernahm seine Tochter den Vorsitz des Unternehmensbeirats. Würth ist seit fast 60 Jahren mit seiner Frau Carmen verheiratet und hat drei Kinder.
DER SAMMLER
Würth begann 1964 mit dem Kauf von Kunst. Heute umfasst seine Sammlung – eine der größten Privatsammlungen Europas – fast 17 000 Arbeiten. 400 sind seit dem Wochenende im Berliner Gropius-Bau zu sehen.