"Der Beeinflussungsapparat": In der Medienmaschine
Mit Wissen gegen den Wahn: Brooke Gladstone und Josh Neufeld erklären in einer Zeitreise von den Maya bis zu Facebook die Medien.
Chemtrails, Elektrosensibilität, Lügenpresse – die sind alle gar nicht so frisch, wie wir heute aufgeregt denken; und kulturhistorisch haben sie einiges miteinander zu tun: „Beeinflussungsapparat“ hat der Psychoanalytiker Victor Tausk 1919 ein psychotisches Krankheitsbild genannt, bei dem Menschen glauben, dass eine Maschine – gesteuert von höheren Mächten oder Menschen – ihr Denken, Handeln und Empfinden beeinflusst. Immer, wenn neue Techniken noch verstörend wirken, taugen Verschwörungstheorien über böse Menschen oder teuflische Maschinen zur Erklärung.
Brooke Gladstone, Moderatorin der US-Radiosendung „On the Media“, erklärt das in einem Interview mit dem „Standard“ als „pessimistische Anthropologie: Darin wird der Mensch als offen für seine Pervertierung beschrieben. Degradiert zum Automaten, zur Puppe, zum Tier, zum vegetable. Die vorausgesetzte Beeindruckbarkeit und Formbarkeit des Menschen sei die Basis für die Ausarbeitung totalitärer Fantasien.
Hochstapler und Märchen haben der Aufklärung nicht geschadet
Solchem Wahn begegnet man mit Wissen. Gladstone nimmt mit dem Zeichner Josh Neufeld in ihrem Buch „Der Beeinflussungsapparat“ die Maschinen und Kulturtechniken auseinander, die unsere Medien geprägt haben – ihre Zeitreise beginnt bei den Maya und endet nicht bei Facebook und den globalen Medienkonzernen. Mit der Erfindung der Schrift gab es die ersten Publizisten – sonst wäre sie nicht erfunden worden; schon Höhlenzeichnungen gaben Informationen weiter, prägten Haltungen und machten Meinungen. Medienproduktion machte mächtig – und reich; Enten und Hochstapler, unklare Quellen und Märchen gehörten immer dazu und haben der Aufklärung am Ende nicht geschadet.
Der Transport, der Druck, die Post beflügelten das Geschäft - Nachrichtenagenturen, Telegrafie, Brieftauben und Schifffahrt, schließlich Computer verwachsen über Jahrhunderte zu dem Netz, das für uns heute das Internet selbst als Medium wirken lässt; Gladstone und Neufeld zeichnen das genau und detailreich nach – schon ihr Quellenverzeichnis und Index im Anhang, sauber einzelnen Panels zugeordnet, sind mit 20 Seiten am Ende des 200-Seiten-Buches beeindruckend.
Die Autorin selbst ist die Heldin des Buches
Neufeld zeichnet – ob zur Erfindung der Zeitung im 17. Jahrhundert, zu Paranoia und Boshaftigkeiten im Wandel der Zeiten, sinnlicher Einflussnahme und subtiler Beeinflussung, zu den verschiedenen Ambientes der Rechtsprechung im Lauf der Jahrhunderte – fast dokumentarisch all die Schauplätze der Meinungsfreiheit und ihrer Beschränkungen. Eigentlich jedem Medien-Philosophen wird in Bild und Text beiläufig ein kleines Denkmal gesetzt. Autorin Brooke Gladstone – das ist der Clou des Buches – erlebt die historischen Situationen und Figuren am eigenen Leib als Protagonistin des Comics und Neufeld gönnt dabei allein ihrer Figur die Ruhe und Lässigkeit, die sie zum Erklären braucht.
In seinen schwarz-weiß-türkisen Bildern ist das spannungsvolle Verhältnis von Mensch und Medien von großer Leidenschaft geprägt – ganz im Wortsinne: von Individuen voll Angst, Fantasie und Faszination gegenüber Macht und Wirkung, alle unter Druck. Neufeld zeigt ein wildes Ringen und Kämpfen um Köpfe und Körper, um Länder und mit der Natur, um Raum und Zeit. Und seine durch die Zeiten surfende Autorin.
Die Fülle an Informationen und Details dieses Buches wäre – kongenial zum Thema – erdrückend und ermüdend, wenn es nicht so rasant erzählt und entsprechend unterhaltsam bebildert wäre. So zitiert Gladstone beharrlich Umfragen und Studien zum Vertrauen in Medien oder technische Entwicklungen, die Neufeld grafisch pointiert – wie die beiden auch psychologische, biologische und neurologische Zusammenhänge bei der Aufnahme von Informationen gemeinsam auf den Punkt bringen.
Die soziologische Bedürfnispyramide muss von Brooke leibhaftig und sichtbar mühsam erklommen werden. Während in Amerika um 1900 die Telefonnetze ausgebaut werden („Viele zu Vielen“-Kommunikation), entwickelt der Kreml das Megafon weiter („Einer zu Vielen“). Zum Ende – unserer Zukunft, die Rede ist von etwa 2045 – wird das Verschmelzen von realer und virtueller Welt als Eindringen der Technik in unsere Körper auch bildlich deutlich.
„Die Medien kontrollieren uns nicht. Sie biedern sich uns an.“
Allein die Vielfalt und Komplexität des Comics macht en passant erlebbar: „Die Medien“ sind nicht steuerbar – sie sind links und rechts, ihre Besitzer und Macher reich oder mittellos, interessengesteuert oder missionarisch. Die reich sind, verdienen ihr Geld von denen, an die sie ihre Produkte, Meinungen oder Haltungen kaufen: „Die Medien kontrollieren uns nicht. Sie biedern sich uns an.“
Dabei verläuft Medienkonsum für Gladstone nicht rational: „Wir alle hungern nach Objektivität, aber verschlingen „Nachrichten“ immer häufiger wie Likör in Cyber-Kneipen.“
Dem „Standard“ erzählte die Journalistin, es gehe ihr um „die Beziehung zwischen Medien, Politik und dem Gehirn. Wie wir Politik wahrnehmen, wird maßgeblich beeinflusst durch diese zwei riesigen Filter, die aufeinander einwirken – den Filter der Medien und unser Gehirn.“ Die Medien erhielten „ihre Stichwörter von uns“. Und umgekehrt führe allein das Auffinden von Verständnis oder Bestätigung für die eigene Ansicht zur Ausschüttung einer Dosis des Glückshormons Dopamin, erklärt Gladstone: „Das ist die Belohnung für die Lüge, die es uns erlaubt, unsere Meinung beizubehalten.“
Es ist die alte Geschichte von Sender und Empfänger, die interagieren. Die findet in drei Sphären statt, die Brooke anhand eines Donuts erläutert: In der Konsens-Sphäre von allen anerkannter Wahrheiten sei „Raum für familiäre Wärme und Apfelkuchen“ (das Loch in der Mitte), in der Komfortzone des Journalismus (dem Teig) gebe es öffentliche Kontroversen und Diskussionen – während schließlich in der Sphäre der Normabweichung Platz für alle subjektiven Meinungen ist (die jeder haben kann, die aber kaum jemand hört, sortiert oder bündelt – freischwebend im Raum um das Kuchenstück).
Neutralismus hält Gladstone für trügerisch, Objektivität für überholt
Während ihres Ritts durch die Jahrhunderte fordert Gladstone immer wieder ein Bekenntnis zu Überzeugungen, Moral und Haltung – und holt dazu etwa Dante und John F. Kennedy an ihre Seite: „Die heißesten Plätze in der Hölle sind für die reserviert, die sich in Zeiten der moralischen Krise für neutral erklären.“
Objektivität ist für sie eine „überholte Idee“. Stattdessen müsse fairer Journalismus in offenem und offensivem Umgang mit Quellen, Ansichten und Interessen hinter den Nachrichten bei der Orientierung helfen. Dabei dreht sie das verschwörungstheoretische Monsterbild einfach um: „Leser, die sich gute Informationen wünschen, müssen zunächst den Nebel der Leidenschaft der Reporter durchdringen (...) Und das ist OK so, weil sich auch die Wahrheitssucher endlos mühen müssen, um eine verführerische Macht zu besiegen, die ihnen die unwiderstehliche Vision einer bekannten und vorhersehbaren Welt suggeriert.“
In aller Selbstverständlichkeit erklärt sie, wie und wo Meinungen gemacht werden – und dass der ganze, komplexe Beeinflussungsapparat für den Meinungsbildungsprozess eine wichtige Hilfe ist, zum angewandten Bürgerrecht auf freie Meinungsäußerung aber auch eine gewisse Bürgerpflicht zur Medienkompetenz gehört.
Man ist geneigt, etwa Österreich, Großbritannien und der Türkei zu wünschen, dass Gladstones Reise als Heldin des „Beeinflussungsapparates“ in den nächsten Wochen auch dorthin führt. Aber im Heute ist Gladstones Reise nicht zuende: „In den nächsten Jahren wird die Situation noch um einiges konfuser. Bald werden wir die Nachrichtentechnik nicht nur in unseren Händen tragen. Sie wird geradezu in uns selbst sein – vielleicht sogar in Form von Implantaten“. Und dann? „Werden unsere Gedanken nahtlos in den Cyberspace überquillen.“
David Schraven, Journalist und Gründer des gemeinnützigen Recherche-Büros Correct!v, das die deutsche Ausgabe herausgebracht hat, hat den Comic übersetzt und um ein Nachwort zur Geschichte der deutschen Medienlandschaft ergänzt – von den Brieftauben der Nachrichtenagentur Reuters bis zur Medienaffäre um Ex-Bundespräsident Christian Wulff.
Brooke Gladstone und Josh Neufeld: Der Beeinflussungsapparat, Correctiv, 224 Seiten, 20 Euro.
Carsten Werner
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