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Journalisten werden in Deutschland zunehmend als Vertreter der "Lügenpresse" diffamiert.
© dpa

Analyse von Langzeitdaten: Eine vergebliche Suche nach der Lügenpresse

Die „Vertrauenskrise der Medien“ ist ein zentraler Bestandteil des öffentlichen Diskurses geworden. Schaut man genauer hin, bleibt von dieser Krisenerzählung nicht viel übrig. Ein Essay.

Es scheint eine klare Angelegenheit. In Leitartikeln, Talkshows und Reden beschwören Journalisten, Politiker und Demoskopen einen Vertrauensverlust „der Medien“. Seit dem Ukraine-Konflikt ist die „Vertrauenskrise der Medien“ ein zentraler Bestandteil des öffentlichen Diskurses geworden. Nicht mehr allein „Politik-“, sondern zunehmend auch „Medienverdrossenheit“ wird als eine Ursache für die Unzufriedenheit und den Protest benannt. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Debatte im Anschluss an die Ereignisse der Silvesternacht in Köln.

Doch stimmt sie eigentlich, die These eines dramatischen, fast schon historischen Vertrauensverlusts gegenüber den Medien? Will man die aktuellen Daten zum Medienvertrauen richtig einordnen und das Vertrauen in Medien wieder heben, sollte man diese Grundthese zunächst einmal hinterfragen. Denn nur wenn die Diagnose stimmt, kann man die richtigen Schlüsse ziehen.

Ein besonders häufig zitierter Ausgangspunkt der aktuellen Debatte ist eine Umfrage des NDR-Medienmagazins „Zapp“. Sie wurde im Dezember 2014 als Reaktion auf die Kritik an der Ukraine-Berichterstattung bei infratest-dimap in Auftrag gegeben und war das Schlüsselereignis, das den Ton für die weitere Debatte setzte. Schon in den Fernseh- und Onlinebeiträgen des Magazins war die Interpretation der Daten eher einseitig. Unter der Überschrift „Vertrauen in die Medien ist gesunken“ ist von „alarmierenden Zahlen“ die Rede. Dieser Eindruck wird vor allem dadurch erzeugt, dass nicht alle vorliegenden Daten berücksichtigt werden. Zum Vergleich für den Anteil derer, die „den Medien“ „(sehr) großes Vertrauen“ entgegenbrachten (29 Prozent), wird allein das Jahr 2012 (40 Prozent) herangezogen.

Eine Übersicht der Umfragen zum Vertrauen in die Medien
Eine Übersicht der Umfragen zum Vertrauen in die Medien
© Reinemann/Fawzi

Wonach genau gefragt wird, hat offenbar erheblichen Einfluss auf die Antworten

Zumindest im Fernsehbeitrag unerwähnt bleibt, dass 2012 in der vorliegenden Zeitreihe ein Ausreißer war. Hätte man die weiter zurückliegenden infratest-Umfragen berücksichtigt, die auf der „Zapp“-Website ebenfalls dokumentiert sind, dann wäre dreierlei deutlich geworden: Zum einen schwankte das gemessene Medienvertrauen in dieser Zeit. Zum anderen lag es im Dezember 2014 nicht viel niedriger als schon 2007 (32 Prozent) oder 2009 (29 Prozent). Und: Mehr als 80 Prozent der Befragten sagten, ihr Vertrauen in die Medien habe sich aufgrund der Ukraine-Berichterstattung nicht verändert.

Auch die in der „Zeit“ (26/2015) veröffentlichten Daten lassen zweifeln, ob sie tatsächlich eine „Glaubwürdigkeitskrise“ des Journalismus belegen. Zwar geben nur 39 Prozent an, der Berichterstattung der Medien zu vertrauen, und 28 Prozent äußern, dass ihr Vertrauen in die Berichterstattung gesunken sei. Allerdings lassen die Daten keinen Schluss darauf zu, wie groß der Vertrauensverlust tatsächlich war – er könnte ja auch nur marginal sein und möglicherweise bereits eine Auswirkung der öffentlichen Debatte aufzeigen. Zieht man zudem die Daten aus dem „Zapp“-Beitrag zum Vergleich heran, offenbart sich gegenüber 2014 ein deutlicher Anstieg von 29 auf 39 Prozent derjenigen, die der Medienberichterstattung vertrauen. Eine Krisenerzählung lässt sich aus all diesen Daten dann allerdings noch schwerlich machen.

Deutsche Medien genießen im internationalen Vergleich hohes Vertrauen

Eine noch sehr viel aussagekräftigere Basis für Aussagen über die Entwicklung des Medienvertrauens liefern Langzeitdaten, die in Deutschland allerdings rar sind. Zu finden sind sie zum einen in den öffentlich zugänglichen Daten der „World Values Studie“ beziehungsweise der „European Values Studie“ („WVS“ beziehungsweise „EVS“), zum anderen in den Archiven des Instituts für Demoskopie in Allensbach. Übereinstimmend zeigen die von Anfang der 1990er bis 2013 beziehungsweise 2014 erhobenen Daten Folgendes: Erstens steht ein Großteil der Deutschen der Presse und dem Fernsehen schon seit Jahrzehnten eher skeptisch gegenüber. Zweitens konnten Zeitungen und Rundfunk seit der Etablierung des Internets an Vertrauen gewinnen. Drittens hält sich der Anteil von Skeptikern und Vertrauenden etwa die Waage, wenn auch mit einem leichten Übergewicht für die Skeptiker.

Blickt man zur Einordnung zudem einmal über die Grenzen, dann zeigen etwa Daten des Reuters Institute an der Universität Oxford, aber auch der „World/European Values-Studie“, dass die deutschen Medien im internationalen Vergleich ein hohes Vertrauen genießen.

Im Vergleich der Umfragedaten ist außerdem erkennbar: Wonach genau gefragt wird, hat offenbar erheblichen Einfluss auf die Antworten. Je unbestimmter die Frage, etwa nach „den Medien“, umso größer die Skepsis. Offenkundig lädt diese Formulierung eher zu Pauschalurteilen ein und die Befragten denken bei ihren Antworten unter Umständen an ganz unterschiedliche Medien, beispielsweise an Soziale Netzwerke, die die meisten Menschen für deutlich weniger glaubwürdig halten als die klassischen Nachrichtenmedien wie die Tagespresse und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wird dagegen nach bestimmten Mediengattungen, Medienanbietern oder denjenigen Medien gefragt, die man selbst nutzt, dann liegt das Vertrauen oftmals deutlich höher.

Langzeitdaten zeichnen völlig anderes Bild, als es die derzeit gängige Krisenerzählung vermittelt

Die verfügbaren Langzeitdaten zeichnen also ein völlig anderes Bild, als es die derzeit gängige Krisenerzählung vermittelt: Viele Deutsche reagieren schon seit Längerem skeptisch, wenn sie nach „den Medien“ gefragt werden, was – solange es sich um eine „gesunde“ Skepsis handelt – grundsätzlich durchaus positiv zu bewerten ist. Offenbar hatte sich zumindest bis Ende 2014 das Medienvertrauen großer Teile der Bevölkerung gar nicht dramatisch verändert. Auch die im Jahr 2015 erhobenen Daten lassen diesen Schluss nicht zu.

Somit verweist die Berichterstattung über die „Medienkrise“ dann doch auch auf tatsächliche Probleme des Journalismus: Da ist erstens der Umgang mit wissenschaftlichen Daten insbesondere aus Umfragen. Aus einem oder wenigen Datenpunkten werden Behauptungen über Trends und deren Ursachen, wobei der Blick auf die genaue Fragestellung der Studien nicht selten verstellt war. Kompetenzen für Datenjournalismus wären hier gefragt gewesen, um Medienvertrauen oder -skepsis fundierter zu untersuchen.

Denn es stellen sich viele Fragen: Welche Menschen genau sind skeptisch? Welche Medien nutzen sie eigentlich? Wie bilden sie sich ein Urteil über die Vertrauenswürdigkeit der Medien? Da ist zum Zweiten die wenig tiefgründige Recherche. Denn es gibt ja Langzeit- und internationale Vergleichsdaten, die eine Einordnung der aktuellen Befunde ermöglichen würden. Drittens haben vermutlich die Tendenz zu „bad news“ und die Orientierung an anderen Medien dazu beigetragen, dass sich der einmal gesetzte, negativ-pessimistische Tenor der ersten Beiträge durchsetzte – was beim Publikum den Eindruck einer Vertrauenskrise möglicherweise erst hervorgerufen hat.

Meinungsklima in Kommentaren ist keinesfalls repräsentativ

Die Hauptursache für die Wahrnehmung einer Vertrauenskrise ist aber vermutlich die Intensität, mit der Medien mittlerweile im Internet attackiert werden. Sie führt offenbar dazu, dass Journalisten die Kritik ihres Publikums sehr viel ernster nehmen als früher. Auch dies ist im Prinzip gut und richtig, denn Selbstkritik findet im Journalismus noch immer zu wenig statt und Kritik aus der Wissenschaft wurde bisher häufig eher ignoriert als ernst genommen.

Problematisch wird es allerdings, wenn Journalisten aus einem Gefühl der Unsicherheit heraus diese Kritik nicht angemessen einordnen, überschätzen oder ihre verschiedenen Ursachen vernachlässigen. So muss man sich im Klaren sein, dass das Meinungsklima in Kommentaren kein repräsentatives Bild der Ansichten aller Nutzer oder gar der Bevölkerung darstellt, denn es ist anzunehmen, dass sich vor allem die Unzufriedenen äußern.

Zudem geht in der aktuellen Diskussion häufig verloren, dass sowohl die Wahrnehmung von Medienberichterstattung als auch Medienkritik eine politische Dimension haben. So neigen Mediennutzer mit festen Einstellungen dazu, die Berichterstattung über ein Thema als gegen sich und ihre Meinung gerichtet wahrzunehmen – selbst wenn es sich um ausgewogene Berichte handelt. Dies bezeichnet man als Hostile-Media-Effekt, also die verzerrte Wahrnehmung, dass die Medien mir feindlich gesonnen sind.

Darüber hinaus gilt: Nimmt man Berichte als gegen die eigene Meinung gerichtet wahr, dann glaubt man auch, dass andere Menschen in diese Richtung beeinflusst werden – was den Ärger über „die Medien“ natürlich noch weiter anheizt. Dieser Effekt erklärt auch, warum die Reaktionen auf Medienberichte zuweilen völlig gegensätzlich ausfallen. Wenn Menschen die Glaubwürdigkeit und Qualität von Medien beurteilen, dann muss man diese politische Komponente ihrer Wahrnehmung immer im Blick haben.

Anlässe für berechtigte Kritik werden Medien immer bieten

Vor allem die pauschale Kritik an „den Medien“ und „der Lügenpresse“ hat aber noch eine andere politische Dimension. Denn sie folgt einem in anderen europäischen Ländern schon länger etablierten Muster, mit dem vor allem Populisten und Extremisten am rechten wie linken Rand des politischen Spektrums „die Medien“ als Teil eines „politisch-medialen Komplexes“ und „Systemmedien“ attackieren.

Medienkritik ist hier keineswegs eine wertfreie, quasi-objektive Beschreibung, sondern essenzieller Teil des politischen Kampfes gegen „etablierte Machteliten“, „Altparteien“ und Institutionen der parlamentarischen Demokratie, deren Glaubwürdigkeit nachhaltig beschädigt werden soll. Und über Kommentarfunktionen und soziale Netzwerke haben entsprechende Parolen es heute viel leichter, eine größere Verbreitung zu finden.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Anlässe für berechtigte Kritik werden Medien immer bieten. Aber Vorwürfe wie der einer systematischen Lenkung „der“ Medien durch „die“ Politik halten einer nüchternen Betrachtung nicht stand. Man denke nur an all die aufgedeckten Skandale und Politiker-Rücktritte, die das Ergebnis medialer Berichterstattung sind und waren.

Sorgen muss man sich viel eher um die Frage machen, wie wirklich unabhängige Medien in Deutschland finanziert werden sollen. Denn für hochwertige und kritische Berichterstattung brauchen sie Zeit und Geld. Problematisch ist zudem, dass sich vor allem weniger privilegierte Bevölkerungsgruppen von aktueller Information abwenden. Hier ist nicht zuletzt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in besonderer Verantwortung.

Eine andere Meinung macht noch keinen schlechten Journalisten

Darüber hinaus gilt: Die Medien sollten sich bemühen, zwischen berechtigter Kritik am journalistischen Handwerk und vor allem politisch motivierten Angriffen zu differenzieren. Mit berechtigter Kritik sollten sie konstruktiv umgehen und das eigene Handeln transparent machen, um nicht im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung eine tatsächliche Vertrauenskrise auszulösen.

Die Wissenschaft sollte sich intensiver mit den Ursachen und Folgen schwachen Medienvertrauens und der Frage beschäftigen, ab wann Medienskepsis wirklich zum Problem wird. Und Mediennutzer sollten sich klarmachen, dass eine andere Meinung noch keinen schlechten Journalisten macht und jeder Nutzer, der sich in die öffentliche (Online-)Debatte einbringt, selbst Verantwortung dafür übernehmen muss, welche Qualität diese Debatte entwickelt.

Carsten Reinemann ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, Nayla Fawzi ist dort Akademische Rätin.

Carsten Reinmann, Nayla Fawzi

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