zum Hauptinhalt
Vladimir Jurowski
© Sheila Rock

Musikfest Berlin: In der Fälscherwerkstatt

Vladimir Jurowski und das Rundfunk Sinfonieorchester Berlin präsentieren beim Musikfest mit Humor und Hingabe Alfred Schnittkes monumentale 3. Sinfonie - und begeben sich auf die Spuren von J. S. Bach

Für wie viele Personen ist die Bühne der Philharmonie eigentlich baupolizeilich zugelassen? Am Mittwoch ist Vladimir Jurowski auf seinem Dirigentenpult geradezu eingekeilt von den Musikern und ihren Instrumenten: 66 Streicher fordert Alfred Schnittke für seine 3. Sinfonie, dazu jeweils vier Flöten, Oboen, Klarinetten, Trompeten und Posaunen, sechs Hörner, Tuba, Pauke, eine Rockband, Celesta, Cembalo, Glocken, Gongs, Marimba- und Vibraphon, zwei Harfen sowie einen Konzertflügel. Und er bekommt seine Wunschbesetzung an diesem Musikfest-Abend mit dem Rundfunk Sinfonieorchester Berlin.

Aus akustischem Urschlamm entwickelt sich das Stück, nach und nach machen sich alle 111 Mitwirkenden bemerkbar, mit demselben Tonmaterial, allerdings taktweise versetzt gespielt, so dass eine deftige Kakofonie entsteht. Ganz schön mutig war das 1981 vom Komponisten, bei der Einweihung des Leipziger Gewandhauses den versammelten Politbonzen so einen Krach vorzusetzen – der sich in der folgenden Dreiviertelstunde dann zum „Wer bin ich“-Ratespiel entwickelt. Denn Schnittke webt in seine dissonanzgesättigte Partitur Pseudo-Zitate von 22 Komponisten zwischen Bach und Schostakowitsch ein.

„Ich möchte erwähnen, dass alle Antiquitäten in meinen Stücken von mir nicht gestohlen, sondern gefälscht wurden“, kommentierte er diese polystilistische Tonsatztechnik: da tönt es wie Wiener Klassik, Barockes mischt sich mit Minimal Music, Hörner singen romantisch, die E-Gitarre provoziert Rückkopplungen mit dem tiefen Blech. Vladimir Jurowski und das RSB zelebrieren diese Freakshow der Musikgeschichte, diesen klingenden Spaziergang durch Madame Tussaud’s mit Humor und Hingabe.

So wie sie im ersten Konzertteil mit dem Thema „Bach und die Folgen“ ganz ernsthaft einen der roten Fäden aufgenommen haben, die Musikfest-Macher Winrich Hopp diesmal ausgelegt hat. In Mendelssohn Bartholdys „Trompetenouvertüre“ hebt Jurowski die Fugato-Passagen hervor – und damit die intimen Kenntnisse des „Matthäuspassion“- Wiederentdeckers in Sachen barocke Klangrhetorik.

Geradezu grotesk mutet Arnold Schönbergs Bearbeitung von Bachs Orgelwerk BWV 552 an, das er – mit unbestreitbarer handwerklicher Virtuosität – zum pathetischen spätromantischen Tongemälde aufbläst. Auch Magnus Lindbergh hat sich jüngst vom Bach-Choral „Es ist genug“ zu einem großsinfonischen Stück anregen lassen: Das klingt dann so, als würden parallel zum Kirchenlied Ausschnitte aus Gershwins „An American in Paris“ gespielt, allerdings in halbem Tempo und rückwärts.

Am 25. 9. sendet Deutschlandradio Kultur ab 20 Uhr den Mitschnitt des Abends.

Frederik Hanssen

Zur Startseite