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Klassik: Irrlichter beim Musikfest Berlin

Das London Philharmonic Orchestra beim „Musikfest Berlin“ spielt das letzte vollendete Werk von Luciano Berio und Prokofjews 3. Symphonie.

Wie wenig sich die Kompositionen von Luciano Berio ihren Platz im hiesigen Konzertbetrieb erstritten haben, zeigt einmal mehr die deutsche Premiere seines letzten vollendeten Werks beim „Musikfest Berlin“. „Stanze“ von 2003, dem Todesjahr des Komponisten, hätte außerhalb des Berio-Festival-Schwerpunktes wohl noch länger in den Archiven träumen müssen. Seltsamerweise klingt das Werk auch so. Unscharf in seiner Zusammenballung disperater Texte von Sanguineti, Pagis, Celan, Caproni und Brendel, schwankend zwischen deklamatorischem Sologesang und raunenden Männerchören. Ein ungeheurer Aufwand für einen Mischklang, der in keinem Ohr nachhallt. Mehr noch, das breiige Pathos, zusätzlich mit irrlichternder Inbrunst, aber kleiner Stimme, von Bariton Dietrich Henschel geschürt, erinnert unwillkürlich daran, wie viel tiefere Gedicht-Vertonungen die Klassiker der Moderne hervorgebracht haben. Berio, der literatursinnige Musiker, wirkt wie vom Schlaf übermannt.

Den schüttelt Vladimir Jurowski mit seinem entschlossenen London Philharmonic Orchestra in der zweiten Konzerthälfte aus der nicht ausverkauften Philharmonie. Sergej Prokofjews 3. Symphonie, aus seiner zu Lebzeiten nicht aufgeführten Oper „Der feurige Engel“ destilliert, dampft diabolisch – und verrät sofort den größeren Tonsetzer, wenn auch fragwürdigeren Menschen. Jurowskis betont ästhetischer Dirigierstil schafft fast zu viel Distanz zum brodelnden Mittelalter-Teufelsaustreibungsszenario. Bei dieser Musik kann man sich die Hände schmutzig machen und den Frack mit Schmauchspuren übersähen. Jurowski aber weiß, dass der Teufel immer im Detail steckt. Er versucht Klänge gezielt zu härten, sie dem Klangpfuhl zu entreißen. Selbst dem Weltuntergang gewinnt er architektonische Schönheit ab. Ein Kraftakt sondergleichen.Ulrich Amling

Am Donnerstag um 20 Uhr dirigiert Jurowski im Konzerthaus Hans Zenders Bearbeitung von Schuberts „Winterreise“.

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