Unfertige Großprojekte: Immer auf den Architekten
BER-Flughafen, BND-Zentrale, Elbphilharmonie – und demnächst das Schloss? Bei großen öffentlichen Bauprojekten explodieren regelmäßig die Kosten, der Terminplan läuft aus dem Ruder. Doch wer ist verantwortlich?
Es gab eine Zeit, da war es selbstverständlich, dass der Architekt ein Haus plante, den Bau organisierte und überwachte und bei der Einweihung den Schlüssel an den Bauherrn übergab. Die HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) kennt für den Ablauf neun „Leistungsphasen“, von der Grundlagenermittlung über Vorentwurf, Genehmigungsplanung, Ausführungsplanung und Bauüberwachung bis zur Objektbetreuung. Wenn etwas schiefging, wenn die Kosten oder die Terminierung aus dem Ruder liefen, lag die Schuld beim Architekten, das war klar.
Bei Großprojekten der Öffentlichen Hand werden die Verantwortlichkeiten heutzutage auf viele Schultern verteilt. Wenn der Architekt Glück hat, darf er die Ausführungsplanung erstellen. Die Ausschreibung an die Firmen machen andere. Die Bauleitung übernehmen spezielle Firmen, die Kosten- und Terminkontrolle liegt wieder in anderen Händen. Eines hat sich nicht geändert: Die Schuld wird immer noch beim Architekten gesucht. Wenn aus politischen Gründen Köpfe rollen sollen, wird nicht lange im Dickicht der Verantwortlichkeiten gestochert. Man schasst lieber die Galionsfigur, und das ist nun mal der Architekt.
Beim Bericht über eine Einweihung vergisst die Presse schon mal, den Architekten des Neubaus zu erwähnen. Wenn jedoch beispielsweise die Münchner Pinakothek der Moderne nach nur zehn Jahren aufwendig saniert werden muss, geht keine Meldung über den Ticker ohne den Hinweis, dass Stephan Braunfels den Bau entworfen hat. Die Risse im Beton, wird suggeriert, sind ihm anzulasten. Nicht der Baufirma, die vielleicht eine falsche Mischung eingebracht hat oder an der Bewehrung sparte, nicht der Bauleitung, die zu prüfen vergaß, nicht dem Statiker, der möglicherweise die üblichen Dehnungsfugen „weggerechnet“ hat.
Die Schweizer Stararchitekten Herzog und Pierre de Meuron bauen in aller Welt , zum Beispiel die Allianz Arena in München oder die Tate Modern in London. Seit geraumer Zeit ist Pierre de Meuron hauptsächlich damit beschäftigt, sich der Vorwürfe zu erwehren, die ihn wegen der exorbitanten Kostensteigerungen und Terminverschiebungen bei der Elbphilharmonie in Hamburg treffen. Mittlerweile ist halbwegs klar, dass die Schuldigen im Rathaus sitzen. Mit beispiellosem Dilettantismus hat man dort gravierende Fehler gemacht: So schrieb man die Arbeiten ohne endgültige Planvorgaben aus. Dass Firmen sich nachträgliche Änderungen gnadenlos bezahlen lassen, weiß jeder Fachmann. Hochtief in Hamburg machte da keine Ausnahme und zog die städtische Realisierungsgesellschaft über den Tisch. Und Nachträge gab es zuhauf. So orderte der Bauherr unter anderem zwei weitere Konzertsäle ... Während der Beauftragung, der Planung, der Bauzeit und auch beim Konfliktmanagement sitzen den hoffnungslos überforderten Verantwortlichen eines Senats immer versierte Profis gegenüber, darunter viele Juristen. Die Zeche zahlt der Steuerzahler. Und das Architekturbüro, in dessen Kalkulation jahrelange Rechtsstreitigkeiten nicht eingepreist sind.
Flughafen-Debakel in Berlin – die Architekten tragen nicht die Alleinschuld
Nicht anders ergeht es jetzt den Architekten des Flughafens Berlin Brandenburg. Nur dass denen auch noch gekündigt wurde. Ein politischer Akt, wie sich herausstellte, ein Fehler mit finanziellen Konsequenzen in dreistelliger Millionenhöhe. Wie soll man den Weiterbau und das Genehmigungsverfahren ohne das Fachwissen der etwa 300 Planer bewerkstelligen? Die Flughafengesellschaft selbst wollte das Baumanagement an sich ziehen, genau jene Gesellschaft, die schon vorher mit der komplexen Aufgabe überfordert war. Neue Planerteams müssen angeheuert werden, die sich erst einarbeiten müssen (und sich das teuer bezahlen lassen). Zwei Lastwagen voller Planungsunterlagen sind bei der Flughafengesellschaft eingegangen. Absender: die gekündigte Planungsgemeinschaft PG BBI, eine Arbeitsgemeinschaft von Gerkan, Marg und Partner und JSK Architekten.
Bildergalerie: Großprojekte mit ungeplanten Mehrkosten
Der Aufsichtsrat des Flughafens mit Klaus Wowereit an der Spitze hat sie als Verantwortliche für die Termin- und Kostenüberschreitungen ausgemacht. Ob zu Recht, daran haben viele Zweifel. Die Architekten sehen sich nun mit einer Feststellungsklage der Flughafengesellschaft konfrontiert; angeblich sind durch Planungsfehler 80 Millionen Euro Schaden entstanden.
Die Architekten haben es aber offenkundig nicht zu vertreten, dass auch der Flughafen aus Termingründen begonnen werden musste, bevor überhaupt die Ausführungspläne vorlagen. Man wollte nämlich ein Jahr Verzögerung wettmachen, das durch die gescheiterte Ausschreibung des Bauvorhabens an einen Generalübernehmer entstanden war. Das renommierte Baumanagementbüro Drees & Sommer, als Projektsteuerer gefragt, hatte die Terminlage schon 2008 als aussichtslos eingestuft, worauf die Flughafengesellschaft ein optimistischeres Büro beauftragte. Warnhinweise, intern wie durch unabhängige Gutachter, gab es ständig. Sie wurden alle ignoriert, verharmlost, verschwiegen. Auch gegenüber dem Aufsichtsrat, der es seinerseits versäumte, die komplexe Materie genauer zu prüfen.
Schließlich werden die Architekten reflexhaft auch für das Chaos verantwortlich gemacht, das zuletzt auf der Baustelle herrschte, einschließlich der Brandschutzproblematik. Dabei lag die Bauleitung gar nicht in ihren Händen. Und belastbare, vollständige Prüfungsunterlagen hat die Baugenehmigungsbehörde von der zuständigen Flughafengesellschaft bis heute nicht erhalten. Für die Kostenspirale kann man die Architekten ebenfalls nicht verantwortlich machen, im Gegenteil. Als der Bauherr feststellen musste, dass sich die Passagierzahlen doch so schnell entwickeln wie schon früher prognostiziert, musste vergrößert und ergänzt werden – wie es in der ursprünglichen Planung der Architekten vorgesehen war. Um fast die Hälfte vergrößerte sich das Terminal während Planung und Bau. Eine frühzeitige realistische Budgetierung hätte viele Millionen gespart. Doch das war politisch nicht gewollt.
Kostenexplosionen auch bei Stadtschloss und BND-Zentrale
Der Unsinn hat Methode. Kaum ein öffentliches Bauvorhaben, das von einem Parlament oder Stadtrat beschlossen werden muss, wird mit einem realistischen Kostenansatz in die Diskussion gebracht. Hat der Bau erst einmal begonnen, ist es meist nicht mehr möglich, die Reißleine zu ziehen, und die Gremien müssen zähneknirschend nachlegen.
Das Berliner Schloss macht hier keine Ausnahme. Noch kein Stein wurde gesetzt, da musste der Bundestag die so tapfer gedeckelte Bausumme bereits aufstocken. Doch niemand mit genauerer Kenntnis des Vorhabens glaubt, das jetzige Budget von 590 Millionen sei ausreichend. Aber die Milliarde, die in Fachkreisen im Gespräch ist, hätte natürlich kein Bundestag genehmigt. Gerkan, Marg und Partner, die wieder für die Bauleitung mit im Boot sind, haben sich damit wohl keinen Gefallen getan und laufen Gefahr, erneut unverschuldet als Kostentreiber verantwortlich gemacht zu werden.
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Beim teuersten Neubau der Bundesrepublik, der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes, sieht es nicht anders aus. 500 Millionen Euro waren 2003 für den Umzug des BND von Pullach nach Berlin kalkuliert worden. Inzwischen rechnet der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses Wolfgang Bosbach (CDU) damit, dass die Kosten „eher bei zwei als bei einer Milliarde Euro“ liegen werden. Man habe die Summe bewusst heruntergerechnet, um das Vorhaben politisch auf den Weg zu bringen, äußerte er sich in seltener Offenheit. Für diese Erkenntnis, die keinen informierten Staatsbürger zu überraschen vermag, hat er viel Schelte bekommen. Dabei verdient er höchstes Lob und gefällige Beachtung von allen öffentlichen Bauherren. In Stuttgart zum Beispiel, denn gewiss wird Stuttgart 21 bald für ähnliche Aufregung sorgen.
Vielleicht kann man die Erfahrungen bei den aktuellen Großprojekten auch nutzen und künftig realistischere Kostenansätze einbringen. Wie man allerdings bei komplexen öffentlichen Großprojekten die architektonischen Laien in den politischen Entscheidungsgremien auf Augenhöhe mit den Profis in den Baukonzernen bringen soll, bleibt ungeklärt, nicht nur in Hamburg und Berlin. So werden die Architekten wohl bis auf Weiteres als Sündenböcke herhalten müssen.
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