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Mauer des Schweigens. Missbrauchsopfer Alexandre (Melvil Poupaud). Ozons Film startet am 26.9. in den Berliner Kinos.
© Pandora Film

Im Kino: "Gelobt sei Gott": Im Schatten der Kathedrale

François Ozons Drama „Gelobt sei Gott“ erzählt von Missbrauch in der Kirche. Nach einem Gerichtsurteil wird der Film in Frankreich angehenden Priestern gezeigt.

Vom Notre-Dame de Fourvière hat man eine herrliche Aussicht über Lyon. Die Basilika thront auf einem Hügel über der Stadt, die Perspektive ist ein Sinnbild der Macht der Kirche. In keiner französischen Stadt ist der katholische Glaube tiefer im Alltag verankert, die Errungenschaft des Laizismus erscheint weit weg. Einmal im Jahr tritt der Kardinal auf den Balkon der Basilika, um die Gemeinde zu segnen: ein Pflichttermin für die Honoratioren der Stadt, die Medien, die Gläubigen. Die Inszenierung unterliegt der Kontrolle des Klerus, selbst die Bildrechte an der Basilika gehören dem Bistum.

Es ist sinnfällig, dass François Ozon seinem Film „Gelobt sei Gott“ diese emblematische Einstellung voranstellt. Man sieht Kardinal Barbarin nur von hinten, wichtiger ist die Monstranz, die er wie einen Heiligenschein über die Dächer von Lyon hält. Barbarin ist Protagonist in einem Skandal, der das Ansehen der katholischen Kirche in Frankreich schwer beschädigt hat. Im März wurde er zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt (das Urteil befindet sich in Revision), weil er jahrzehntelang zahlreiche Missbrauchsvorwürfe gegen den Pater Preynat ignoriert hatte. Preynat wurde in kleine Gemeinden versetzt, heimlich zurückgeholt, er bekannte Reue, durfte aber weiter mit Kindern arbeiten. Zum Zeitpunkt der Enthüllungen 2014 waren die meisten bekannten Fälle verjährt.

Als „Gelobt sei Gott“ im Februar auf der Berlinale lief (er gewann den Großen Preis der Jury), wartete man in Frankreich gerade auf das Gerichtsurteil. Die Weltpremiere erhielt zusätzliche Aufmerksamkeit, weil Preynat und die Mediatorin Régine Maire, die wegen Mitwisserschaft angeklagt war, die Premiere in letzter Sekunde verhindern wollten. Das Gericht lehnte die Klage ab: „Gelobt sei Gott“ zeige nichts, was der Öffentlichkeit nicht schon bekannt gewesen sei. In einem Punkt haben die Kläger allerdings Recht. Ozons Films ist das bewegende Dokument einer Missbrauchsgeschichte, er wirft kein gutes Licht auf das Selbstverständnis der Kirche. „Gelobt sei Gott, sind die meisten Vorwürfe verjährt“, sagte Barbarin damals in einer Pressekonferenz.

Ambivalent-verzwirbelte Melodramen

François Ozon ist nicht die naheliegendste Wahl für so ein Dokudrama (er benutzt Klarnamen). Sein letzter Dokumentarfilm liegt 20 Jahre zurück, Ozon genießt heute den Ruf eines stilsicheren Chamäleons im französischen Autorenkino, mit einem Faible für ambivalent-verzwirbelte Melodramen und abgründige Charakterstudien. An „Gelobt sei Gott“, erzählt er in Berlin, interessierte ihn weniger die moralische Dimension, sondern die Geschichte der Männer, die langsam eine Auseinandersetzung mit ihrer Missbrauchserfahrung zulassen. „Ich wollte schon lange einen Film über die Empfindsamkeit von Männern machen. Sie sind im Kino meist Handlungsträger, nun befreien sie sich durch Sprache.” Er versteht seinen Film aber nicht als Gegenentwurf einer „toxischen“ Männlichkeit. „Selbstbewusste Frauen gab es in meinen Filmen immer.“

Ozon sitzt am Morgen nach der Premierenfeier sichtlich angeschlagen in einem Hotelzimmer, die Sonnenbrille behält er während des Gesprächs auf. Ihm wäre es lieber gewesen, erzählt er, wenn „Gelobt sei Gott“ erst nach der Urteilsverkündung auf der Berlinale gelaufen wäre. Aber der Prozess habe sich ständig verzögert. Ozon wollte seinen Film und die Betroffenen, mit denen er eng zusammengearbeitet hat, vor einer Instrumentalisierung schützen. „Ich sehe den Film als meinen Beitrag, diese Männer zu würdigen.“

Vertreter der Kirche habe er nicht getroffen, es ging ihm nie um eine journalistische Aufarbeitung wie in dem Oscar-Gewinner „Spotlight“. Darum habe er sich nach dem ersten Treffen mit Alexandre Hezez schnell von der Idee eines Dokumentarfilms verabschiedet. Es gab bereits genug Interviews mit den Aktivisten der Gruppe „La parole libérée“ (Das gebrochene Schweigen). „Die Fiktion“, sagt Ozon, „war für sie auch eine Möglichkeit, sich von ihrem eigenen Ich zu lösen.“

Drei Männer aus „La parole libérée“ stehen im Mittelpunkt von „Gelobt sei Gott“, wobei Alexandre, gespielt von Melvil Poupaud, die konfliktreichste Figur ist: Ein gläubiger Katholik, der seine Scham und seinen Schmerz zwanzig Jahre lang erfolgreich verdrängt hat. Er hat einen gutbezahlten Job, eine Frau und drei Kinder, aber die Erinnerung an den Missbrauch und das vehemente Schweigen der Kirche bringt sein Weltbild ins Wanken. „Was zählt, ist der Glaube, nicht die Institution“, erklärt er seiner Familie.

Rhythmische Verdichtung

Alexandre ist der Ruhepol, er gibt „Gelobt sei Gott“ eine besonnene Stimme. Der Briefwechsel zwischen ihm und der Kirche dominiert in der ersten Dreiviertelstunde die Dramaturgie. Ungewöhnlich für den Stilisten Ozon, aber gerade das unfilmische Voiceover verleiht der Geschichte Dringlichkeit. Ozon zitiert aus den Briefen, die Hezez ans Bistum geschrieben hat, sie überlagern die Szenen aus Alexandres Alltag, der so eine rhythmische Verdichtung erfährt. „Ich wollte mit dem Voiceover experimentieren, um die Schönheit von Alexandres Sprache zu bewahren. Mir als Pariser war aber auch die Geografie wichtig. Lyon ist die katholischste Stadt Frankreichs, die Basilika ist von jedem Punkt aus zu sehen.”

[Ab Donnerstag in elf Berliner Kinos, OmU: Cinema Paris, Delphi Lux, fsk am Oranienplatz, Hackesche Höfe Kino, Kino in der Kulturbrauerei und Passage 1-5]

„Gelobt sei Gott“ lebt von der Dynamik zwischen seinen Protagonisten, von denen jeder eine andere Leidensgeschichte – und eine andere soziale Herkunft – einbringt. François, dessen Wut der schelmische Denis Ménochet mit impulsiver Körperlichkeit ausstattet, genoss die Unterstützung seiner Eltern, die aus Angst um ihren Ruf in der Gemeinde aber nicht gegen den Priester vorgingen. Der Atheist will die Kirche um jeden Preis bloßstellen – nicht immer mit konstruktiven Methoden. Die Idee, von einem Flugzeug einen Schwanz an den Himmel über der Basilika zeichnen zu lassen, können ihm seine Mitstreiter gerade noch ausreden.

Wenn Ozon den Fokus um François und Emmanuel (Swann Arlaud) – als Kind hochbegabt, als Erwachsener ein psychisches und physisches Wrack – erweitert, büßt „Gelobt sei Gott“ ein wenig von seiner erzählerischen Eleganz und Präzision ein. Er gewinnt jedoch neue Nuancen in der Beschreibung von Missbrauchserfahrungen. Ozon spielt mit den unterschiedlichen Sprechweisen seiner Figuren, stellt sie gegeneinander oder orchestriert sie zu einem vielstimmigen Chor. Durchaus auch mal plakativ: Zum Abreagieren malträtiert François in der Garage sein Schlagzeug, Emmanuel heizt auf dem Motorrad durch die Stadt. „Die Gruppe braucht diese Temperamente“, meint Ozon, „das macht die Spannung aus.“

Das französische Gericht bescheinigte Ozon in seinem Urteil vom Februar, „Gelobt sei Gott“ leiste einen gesellschaftlichen Beitrag. Seit dem Silbernen Bären kann auch die Kirche den Film nicht mehr ignorieren, erzählt Ozon, der dem Glauben längst abgeschworen hat. Inzwischen wird er sogar in der Priesterausbildung eingesetzt. „Sie wollten“, lacht er zum Abschied, „den Film auf dem Scheiterhaufen verbrennen, jetzt ist er heilig gesprochen.“ So viel hat sich in der katholischen Kirche in 500 Jahren nicht verändert.

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