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Glaubst du noch an Gott?, will sein Sohn wissen. Alexandre (Melvil Poupaud) wurde als Junge von einem Priester missbraucht.
© Jean-Claude Moireau

„Grâce à Dieu“ auf der Berlinale: Atemloses Missbrauchsdrama von François Ozon im Wettbewerb

Die katholische Kirche, der Missbrauch, das Kino: François Ozons fast dokumentarisches Drama „Grâce à Dieu“ im Wettbewerb der Berlinale.

Es wird viel geredet, sehr viel, und das muss auch so sein. Es geht um Worte, um Sprache. Darum, dass Kardinal Barbarin in einer Pressekonferenz sagt, Gott sei Dank seien die Taten verjährt – Grâce à Dieu, deshalb der Filmtitel. Darum, dass Barbarin und seine Vorgänger von den Opfern zahllose Mails und Briefe erhielten und sie mit freundlichen Vertröstungen beantworteten. Darum, dass die Kirche den Täter, Pater Bernard Preynat, der sich in den 80er Jahren in mehr als 70 Fällen des sexuellen Missbrauchs an minderjährigen Jungen schuldig gemacht haben soll, nicht aus dem Priesteramt entließ, auch kein Verfahren gegen ihn einleitete und lieber schwieg – obwohl sie Bescheid wusste. Um Bibelsätze wie „Lasset die Kinder zu mir kommen“. Um Beschwichtigungen wie „Alles hat seine Zeit“ oder „Jeder hat seine Probleme“.

Es geht auch um Tempo. François Ozon hat schnell gedreht , um mit den Ereignissen Schritt zu halten: Barbarin und sechs weitere Angeklagte stehen zur Zeit in Lyon vor Gericht, wegen Nichtanzeige, sprich: unterlassener Hilfeleistung. Das Urteil soll Anfang März gesprochen werden. Gewöhnlich ist es besser, wenn das Kino sich Zeit lässt, um der Wirklichkeit beizukommen. Aber in diesem Fall ist schon viel zu viel Zeit verstrichen, drei Jahrzehnte, in denen die Opfer nicht gehört wurden. „Grâce à Dieu“ hat etwas Atemloses: Aussprachen, Auseinandersetzungen, Zusammenkünfte, Zusammenbrüche, Verhöre, Gerichtsszenen, Rückblenden zu den Pfadfinderlagern und anderen Tatorten folgen im Sekundentakt aufeinander.

Die Täter treten mit Klarnamen auf

Eine Art Triptychon. Melvil Poupaud spielt Alexandre, den gläubigen Familienvater, der zunächst auf die Einsicht der katholischen Institutionen hofft: Bilder im Gegenlicht, verschattete Szenen – das Halbdunkel von Kirchenräumen prägt diesen ersten Teil. Dann rückt Denis Ménochet als ungestümer Atheist François in den Fokus, der seine Wut ins Schlagzeug donnert – es ist, als würden auch die Bilder nervös. Swann Arlaud verkörpert schließlich den verstörten Emmanuel, das Kindheitstrauma hat sein Leben verpfuscht – Ozon erzählt das im nüchternen Ton eines Sozialdramas. Die Männer fahnden nach Leidensgenossen, gründen in Lyon den Verein „La parole libérée“ (Das befreite Wort), kontaktieren Anwälte, bringen die Taten zur Anzeige – und das Schweigekartell.

Immer mehr Betroffene, ihre Ehefrauen, die Kinder, die Eltern kommen in den Blick, auch die Psychologin des Bistums – schon die schiere Menge der Figuren in diesem Ensemblefilm macht das Ausmaß der Verbrechen klar. Missbrauch in der katholischen Kirche, es sind keine Einzelfälle. Und trotz der vor sechs Jahren von Papst Franziskus ausgegebenen Null-Toleranz-Devise wird bis heute toleriert, verharmlost, gedeckt.

Auch deshalb hat Ozon ein fast dokumentarisches Drama realisiert. Dennoch geht er nicht als Journalist zu Werke, der dem Neutralitätsgebot folgen sollte, sondern parteiisch, als Verbündeter der Opfer. Die Täter treten mit Klarnamen auf, bei Alexandre und den anderen hat er nur die Nachnamen geändert. Immer wieder: die Sprache, die Worte. Wenn die Geistlichen Homosexualität und Pädophilie in einem Atemzug nennen. Wenn Preynat lieber mit Alexandre betet, statt ihn um Verzeihung zu bitten, und er bei der Gegenüberstellung mit Emmanuel nicht mal ein höfliches Sie über die Lippen bringt. Für ihn ist es immer noch der blonde Knabe, den er im Pfarrheim ins Fotolabor bestellte.

Bei einem Opfertreffen schlägt François eine medienträchtige Aktion vor, eine Flugzeugaktion mit schwebendem Riesenphallus über der Kathedrale von Lyon und der Frage: „Was schockiert Sie mehr, der Penis oder ein pädophiler Priester?“ Daraus wird nichts. Man wünschte sich, dass wenigstens Ozon seinen Protagonisten ein paar starke Filmbilder geschenkt hätte, nichts Plakatives, aber etwas, das dem Halbdunkel, der Omertà nachhaltig trotzt.

9.2., 9.30 Uhr (Zoo Palast 1), 14.45 Uhr (FSP), 22 Uhr (HdBF), 22.30 Uhr (International), 10.2., 20 Uhr (Kino Union)

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