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Utopia, wüst und leer. Alcina (Marlis Petersen) auf ihrer Insel.
© Herwig Prammer

Händels „Alcina“ am Theater Wien: Im Bann der Zauberin

Gegenwelt des Poetischen und Utopischen: Die Berliner Opernregisseurin Tatjana Gürbaca inszeniert Händels „Alcina“ in Wien.

Die Zauberinsel, auf der Alcina herrscht, reizt natürlich die Fantasie: Wie sieht das Reich dieser fantastischen Frau aus, die Ariost in einer Episode seines Versepos „Orlando furioso“ erwähnt, die die Männer anlockt wie einst Circe den Odysseus und sie in wilde Tiere verzaubert – und die in unserer kapitalistisch voll ausgebildeten Gegenwart selbst verwandelt worden ist, nämlich in einen Markennamen für ein Haarpflegeprodukt?

Für die Berliner Regisseurin Tatjana Gürbaca ist Alcina weniger die böse Hexe als vielmehr eine visionäre Frau, die sich eine Gegenwelt des Poetischen und Utopischen geschaffen hat, wo der „Schönheit ein Ewigkeitswert beigemessen wird“, wie Gürbaca der „Süddeutschen Zeitung“ verriet. Eine Welt, die bedroht ist durch die Ankunft Bradamantes, die ihren Geliebten Ruggiero, der von Alcina in Zauberbann gehalten wird, finden und retten will. Denn Bradamante steht für die Gegenprinzipien, für Vernunft, Pragmatismus, Nützlichkeit. Für das Haarpflegeprodukt, wenn man so will.

Solchermaßen präpariert, verblüfft es dann doch ein wenig, dass Gürbaca und ihre Bühnenbildnerin Katrin Lea Tag für die Premiere von Georg Friedrich Händels Oper „Alcina“ – mit der das Theater an der Wien seine Saison 2018/19 eröffnet – ein karges, tristes Eiland präsentieren. Das Rundpanorama ist eindrucksvoll, doch nahezu wüst und leer, und der einzige Baum, der hier wächst, lässt bald seine Blätter fallen. Offenbar soll dies die Realität von Alcinas Insel darstellen, die bei Ariost eigentlich eine alte Frau ist und nur den von ihr Verzauberten als verführerisch und jung erscheint.

Katarina Bradic ist fantastisch als Bradamante

Fantasie ist gefordert, ab und an recken einzelne Blumen ihr Haupt in dieser Steinwüste. Utopisch ist hier vor allem der Gesang. Marlis Petersen – die in Wien einige ihrer größten Erfolge gefeiert hat, unter anderem 2010 als Medea in der Uraufführung von Aribert Reimanns gleichnamiger Oper – zeichnet in ihren fast ausnahmslos im Andante oder Andante-Larghetto stehenden Arien mit anrührender Innigkeit das Bild einer Zauberin, die sich keines bösen Tuns bewusst ist. Die aber sehr wohl spürt, dass es mit ihrer Welt zu Ende geht, etwa in der großen Arie „Ah! Mio cor! Schernito sei!“ („Ach, mein Herz! Du bist verhöhnt!“) – was sich auch äußerlich im Wandel ihrer Kleidung vom prächtigen, rosa gestreiften Reifrock zum schlichten schwarzen Gewand ausdrückt (Kostüme: ebenfalls Katrin Lea Tag).

Fantastisch die serbische Mezzosopranistin Katarina Bradic – ehemals im Ensemble der Deutschen Oper Berlin – als Bradamante, eine Art Lara Croft der Opernbühne, die im eng anliegenden schwarzen Tanktop und mit markanter Kieferlinie entschlossen wirkt, sich aber auch verletzbar zeigt und menschlich: Am Ende hat sie zwar Ruggiero wieder, kann ihm aber nicht verzeihen. Countertenor David Hansen muss diesen so heftig Umworbenen meist in Boxershorts singen, als sanftmütiger reiner Tor, dessen eher kleine Stimme sich in manchen Augenblicken aber zu aggressivem Jähzorn steigern kann. Mirella Hagen und Rainer Trost überzeugen als entfremdetes Paar Morgana (Alcinas Schwester) und Oronte (Alcinas Feldheer), die erst inmitten all der emotionalen Extremsituationen entdecken, dass sie sich eben doch lieben.

Das Orchester bringt Farbigkeit ins Spiel

Mit einem sehr detailgenauen, dabei doch leidenschaftlich fließenden Dirigat zerstreut der junge österreichische Dirigent Stefan Gottfried alle Bedenken, dass die Fußstapfen zu groß sein könnten, in die er getreten ist: Er war Assistent von Nikolaus Harnoncourt beim Concentus Musicus Wien – und ist jetzt sein Nachfolger. Das Orchester bringt genau jene Farbigkeit ins Spiel, die der Szene fehlt.

In Händels „Alcina“ ereignet sich, wie in Wagners „Tristan“, fast alles im Gefühl, im Sehnen und Verlangen der Protagonisten. Ein kleiner Trost: Um dieses Affektgeflecht herauszuarbeiten, ist die triste Bühne sogar von Vorteil.

wieder am 22., 24. und 26. September. Infos: www.theater-wien.at

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