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Entflammt. Clara Corinna Scheurle (Ruggiero) und Lisa Algozzini (Alcina).
© imago/Martin Müller

"Alcina" bei der Kammeroper Schloss Rheinsberg: Zum Verschaukeln auf die Zauberinsel

Barock, der wirkt: Die Kammeroper Schloss Rheinsberg zeigt Händels „Alcina“ in einer neuen Fassung des Sängers und Komponisten Mark Scheibe.

Im Grunde sollte es nicht schwerfallen, die Besucher der Kammeroper Schloss Rheinsberg auf die Zauberinsel der Magierin Alcina in Händels gleichnamiger Oper zu entführen – schließlich stimmt schon die von Wasser durchzogene Schloss- und Parklandschaft in idealer Weise auf die Ästhetik des 1735 uraufgeführten Meisterwerks ein. Doch ganz einfach will es sich das Team an diesem Abend nicht machen. In einer Vorrede stimmt Kammeroper-Chef Frank Matthus auf das Experiment im Schlosstheater ein: Da auch Veränderung zum Bewahren gehöre, sei das Stück in einer Version mit interpolierten Songs und Instrumentalstücken des Pianisten, Komponisten und Sängers Mark Scheibe zu hören.

Und dann wird es erst einmal kompliziert: Die Intrigenhandlung, welche sich zu Händels Zeit langsam, im Textbuch mitlesbar und in Orientierung gebenden Bühnenbildern entfalten konnte, fasst Scheibe als Conférencier in mit neckischen Verssprüngen gezierten, aber dadurch inhaltlich nicht immer mühelos nachvollziehbaren Reimen zusammen. Den ganzen Abend wird er als Komponist wie Moderator nach seiner Rolle zwischen Gestaltendem und Kommentierendem suchen, ohne sich zu trauen, seine Auseinandersetzung mit Händel sprachlich oder musikalisch zu einer eigenen Geschichte auszubauen. Mal unterbricht er den Fluss der Musik mit einer eisigen Zaubermusik für die bei Händel allzu wohlklangumhüllt auftretende Alcina, dann wieder erklärt er die soeben geäußerten Gefühle der Protagonisten mit einem jazzigen Song.

Episode bleibt auch der Versuch, das Publikum einzubeziehen. Aus spontan zugerufenen Wörtern bastelt Scheibe in der Pause einen handwerklich tadellosen neuen Song, der aber, außer dass er das Publikum an die eigene Gegenwart erinnert, dramaturgisch ebenso wenig zwingend wirkt wie die übrigen Versuche, das Geschehen zu deuten und einzuordnen. Würde die Raumanordnung mit der zentral platzierten Spielfläche Übertitel zulassen, könnte Isabel Ostermanns Regie ohnehin für sich allein stehen – auch deswegen, weil sie näher am eigentlichen Konflikt des Stückes ist.

Schon im Barock wurden die Menschen auf Alcinas Zauberinsel als adoleszente Gesellschaft gesehen

Zentrales Bühnenelement ist eine Schaukel, ein Objekt, das man nicht zufällig auch auf historischen Bildern jugendlicher höfischer Gesellschaften findet. Das Symbol ist gut gewählt. Denn schon der Barock sah die Menschen auf Alcinas Zauberinsel als spielerische, adoleszente Gesellschaft auf der Suche nach einem Kompromiss zwischen hemmungslosem Ausleben von Gefühlen – wofür Alcinas Zauberkraft steht – und dem erwachsenen Akzeptieren von Kompromissen, die damals freilich härter ausfielen als heute. Auch wenn Ostermann nicht völlig vermeiden kann, dass das Spiel mit dem Spielerischen hier und da ins bloß Sandkastenhafte, die Figuren Verkleinernde abgleitet, so erweist es sich doch über weite Strecken als tragfähig. Vor allem ermöglicht die reduzierte, ganz auf die Protagonisten und ihre stimmlichen wie schauspielerischen Fähigkeiten ausgerichtete Bühne, das Potenzial des Sängernachwuchses in den Fokus zu rücken.

Und der hält diese Fokussierung auch unbedingt aus. Am stärksten begeistert Clara Corinna Scheurle in der Rolle des in Alcinas Fänge geratenen jungen Ruggiero: Stilsicher, klar und stark in der Tiefe sowie geläufig in den Koloraturen sorgt sie in den unterschiedlichsten Stimmungslagen für intensive Emotion und stattet ihren Helden auch körperlich mit jungenhaftem Charme aus. Substanzreich und kraftvoll ist der Sopran von Lisa Algozzinis Alcina, wobei die Partie vielleicht ein wenig zu deklamatorisch für ihre nach dem hochdramatischen Aussingen verlangende Stimme ist. Die zwischen Zuversicht und Verzweiflung, Koloratur und Kantilene schwankenden Emotionen von Ruggieros ursprünglicher Geliebten Bradamante sind bei Jessica Véronique Millers warmen, beweglichen Mezzo sehr gut aufgehoben. Auch das dritte Paar aus der schnell entflammbaren Morgana und dem halbstarken Oronte wird von Sarah Matousek mit ihrem gut geführten Sopran und Linard Vrielink mit seinem muskulösen Tenor sehr überzeugend verkörpert. Kirill Iwanow schließlich bereichert als bedachter Melisso das Ensemble mit seinem tragenden Bass.

Ein ganzes Füllhorn an Anregungen zum differenzierten Phrasieren und Gestalten barocker Partien schütten Dirigent Attilio Cremonesi und die Kammerakademie Potsdam aus, wobei sie zusätzlich auch noch mühelos zwischen Händel und Scheibes Zwischenmusiken umschalten. Trotz der unterschwelligen Warnungen der Inszenierung, Händel nicht eskapistisch zu hören, verlässt man das Theater so mit einer gewissen barocken Verzauberung.

Wieder am 26., 27., 29. und 30. Juli, 20 Uhr. Werkeinführung jeweils um 18.45 Uhr

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