Regisseur Marcus H. Rosenmüller im Interview: "Ich will immer wissen, wer ich war"
Vor sieben Jahren erzählte Marcus H. Rosenmüller in "Beste Gegend" und "Beste Zeit" von zwei Mädchen in der bayerischen Provinz. In "Beste Chance" schaut er, was aus ihnen geworden ist. Ein Gespräch über Kindheit, Heimat - und Glück.
Herr Rosenmüller, „Beste Zeit“, „Beste Gegend“, „Beste Chance“ – Ihre Trilogie erzählt von Kindheit und Jugend auf dem Dorf. Was hat Ihnen Ihre eigene Kindheit in Bayern gegeben?
Da war diese unendliche Freiheit. Wir waren ja die meiste Zeit draußen in der Natur. Unsere Eltern haben uns erst zum Abendessen wieder gesehen. Das ist für mich in „Beste Zeit“ auch einer der wichtigsten Momente: wenn die beiden Mädchen aus der Diskothek zurücktrampen, zu Fuß durch den Wald gehen und in einem Maisfeld verschwinden. Als Kind und Jugendlicher hatte ich eine starke Sehnsucht nach diesem Verschwinden in der Natur. Die Metapher kehrt nun im Schlussbild wieder, wo die Menschen im Ganges baden. Sie tauchen in den Fluss des Lebens ein.
Was bedeutet Heimat für Sie?
Das ist eine wahnsinnig schwierige Frage. Heimat ist ein Ort, an dem man sich nicht fremd fühlt. Heimat hat immer mit Erinnerungen zu tun – sie stellen eine Vertrautheit her, können aber auch sehr erdrückend sein. Jeder Stein im Wald, an dem man schon als Kind gespielt hat, jede Böschung, die man schon heruntergesprungen ist, geben einem als Jugendlicher das Gefühl, nichts Neues mehr erleben zu können. Jeder im Dorf kennt einen. Man fühlt sich nackt und kann sich nicht verstecken.
Ist Heimat nicht ein Auslaufmodell, weil viele heutzutage beruflich und privat so mobil sind?
Früher war Heimat noch klarer mit einer festen Ortschaft verbunden, einem Lebensgefühl. Dazu gehörten der Dialekt, der Humor, das Essen, bestimmte Gerüche; und die Familie und Freunde. Heute bleibt oft nur noch die Kernfamilie, alles andere wird immer wieder gekappt.
In „Beste Chance“ geht es für Kati und Jo sowie deren Väter nach Indien. Der größte denkbare Kontrast zu Bayern?
Die beiden ersten Filme spielten quasi in einem Paradies. Kati und Jo leben auf dem Land, merken aber, dass sie im Behütetsein nicht ihr Glück finden. Die Mädchen träumen von der großen, weiten Welt, ohne sich hinauszutrauen. Das war jetzt fällig. Man muss raus, um das Leben zu verstehen und um zu spüren, wie klein das eigene Dasein ist. Meine erste große Reise ging ebenfalls nach Indien, mit einem Austauschprogramm der Filmhochschule. Das Land ist stark von seinen Religionen geprägt, Tod und Leben liegen dort dicht beieinander. Der alltägliche Irrsinn ist sehr weit von unserem Bewusstsein von Geborgenheit entfernt. Unglaublich, wie es da wuselt. Und darum geht es ja auch in unserem Film: sich als Teil eines großen Ganzen zu fühlen.
Warum erzählen Sie eigentlich von zwei Mädchen – und nicht zwei Freunden?
Der erste Teil erzählte klar die Geschichte der Drehbuchautorin Karin Michalke und ihrer besten Freundin. Viele Figuren sind aus ihrer Biografie heraus entstanden. Erst später wurde die Story fiktionaler.
Was macht die besondere Qualität von Freundschaften aus, die in der Kindheit begründet wurden?
Man lernt sich in einer Reinheit kennen, über die man als Erwachsener nicht mehr verfügt. Meinen Kindheitsfreunden kann und muss ich nichts vormachen. Man hatte Zeit füreinander, soziale Grenzen spielten kaum eine Rolle. Nachbarschaft zählte vor allem. Heute ist alles vorsortierter.
Wie hat sich auch die Kindheit auf dem Land durch Computer und mediale Vernetzung verändert?
Was heute der Computer ist, war damals die Glotze. Es wird immer welche geben, die ihren Hintern hochkriegen, und andere, die zu Hause versacken. Gefährlicher als der Computer aber ist der Leistungsdruck, unter dem die Schüler heute stehen. Wenn ich durchs Abitur gefallen wäre, hätte damals niemand zu mir gesagt, dass ich mein Leben verwirkt habe. Ich hätte auch nie mein Wochenende geopfert, um für die Schule zu lernen.
Sich zu lösen und doch zu seinen Wurzeln zu stehen: Glauben Sie, dass Ihnen diese Balance in Ihrem eigenen Leben gelungen ist?
Das habe ich ganz gut hinbekommen. Ich habe die Verbindung zu meinen Freunden und der Familie immer gehalten und wohne auch heute nur knapp 50 Kilometer von meinem Geburtsort entfernt. Als internationaler Regisseur verliert man bestimmt leichter den Boden unter den Füßen. Ich will immer daran erinnert werden, wer ich einmal war.
Das Gespräch führte Martin Schwickert.
MARCUS H. ROSENMÜLLER, 1973 in Tegernsee geboren, landete 2006 einen Hit mit „Wer früher stirbt, ist länger tot“. Es folgten „Beste Gegend“ und „Beste Zeit“ (2007). "Beste Chance" beschließt nun die Trilogie über Jugend in der Bayerischen Provinz..
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