Gallery Weekend Berlin: Hotspot für Augenmenschen
Die Sammler und Kuratoren reisen schon jetzt an – Berlin ist und bleibt Metropole für junge Kunst. Über Erfolg und Geheimnis des Gallery Weekends, das am 29. April zum zwölften Mal startet.
Muss man sich Sorgen machen? Ein Wochenende, das von allen mit Superlativen versehen wird, endet zwangsläufig irgendwann in der Überfrachtung. „Kunstrausch, großartig, Topereignis“ – das sind nur ein paar Begriffe, die sich auch diesmal um Berlins Gallery Weekend ranken und die Erwartungen hochschrauben. Was soll das letzte Wochenende im April für die Galerien nicht alles leisten! Tut es ja auch: Mancher Galerist setzt in den drei Tagen mehr um als im Halbjahr danach.
Tatsache ist: Seit zwölf Jahren funktioniert das Modell der zeitgleichen Vernissage Freitagabend plus verlängerter Öffnungszeiten aller 54 assoziierten Galerien bis Sonntag wie sonst nichts, was sich in der Stadt mit Kunstmarkt verbindet. Das Art Forum, einst Berlins wichtigste Messe, wurde 2010 von divergierenden Kräften zerlegt. Seither konzentriert sich das Geschehen aufs Frühjahr und beginnt mit den Eröffnungen für alle. Tatsächlich reisen Sammler wie Kuratoren schon jetzt aus aller Welt an, um möglichst ungestört durch jene Galerien zu ziehen, die offiziell am Event teilnehmen. Inoffiziell sind es inzwischen ein paar hundert, die von der Strahlkraft des Events profitieren.
Aber was heißt das in einem Kunstbetrieb, wo jede Galerie auch sonst alle vier bis sechs Wochen eine Ausstellung eröffnet und überhaupt das ganze Jahr mit Künstlern arbeitet, die sie wichtig findet? Weshalb richten sich aller Augen auf diese paar Tage, findet parallel zum zweiten Mal die kleine Messe „XPositions“ für Papierarbeiten im Bikini-Haus statt und konstituiert sich dieses Jahr in der Berlinischen Galerie ein Verein von namhaften Sammlern, den unter anderem Harald Falckenberg initiiert hat? Weil sämtliche Protagonisten ohnehin vor Ort sind.
Berlin hat kaum Material zu schnellem Kunstinvest zu bieten
Im Gallery Weekend kulminieren die Stärken der Stadt. Wer in Hongkong oder Singapur über die jungen Kunstmessen geht, der kann sehen, wie die Lust an der Spekulation, neuer Reichtum und Nationalstolz gigantische Umsätze generieren. Berlin zieht solche Sammler nicht an, allein schon, weil es kaum Material zum schnellen Kunstinvest zu bieten hat. Die letzten Schauen eines Jeff Koons sind Jahre her. Selbst das Potenzial von Künstlern, wie sie die internationalen Galerien Sprüth Magers, Gisela Capitain, Johann König oder Neugerriemschneider zeigen, verzeichnet einen eher langsamen Wertezuwachs. Die wenigsten der hiesigen Bilder und Skulpturen eignen sich für finanzielle Hasardeure. Dafür sind sie made in Berlin.
Die Stadt als Produktionsstandort: Mit Blick auf steigende Mieten und schwindende Ateliers wird vor schleichender Abwanderung gewarnt. Sie findet auch statt, während andere Künstler gleichzeitig Immobilien erworben und sich auf lange Zeit eingerichtet haben. Andere profitieren vom dichten Netzwerk. Eine Künstlerin wie Karla Hobza, die (noch) in Kreuzberg wohnt, von der hiesigen Galerie Soy Capitán vertreten wird und ansonsten viel unter Wasser arbeitet, muss sich Gedanken über eine Umzug machen. Mehr als ein WG-Zimmer anstelle einer ganzen Wohnung wie bisher sei nicht mehr drin. Hobza überlegte kurz, ob sie sich auf ihren kostenintensiven Tauchexpeditionen nicht entlang ihrer Flussstrecken temporär einmieten soll. Andererseits sind da die unschätzbaren Vorteile Berlins: Es wirkt wie ein Magnet auf alle, die ernsthaft mit Kunst umgehen. In ihrer knappen Zeit an Land kann die gefragte Künstlerin hier alle treffen – oft völlig ungeplant.
Teure Kojen? Nein. Diese Schauen sind auf keiner Messe zu sehen
Dieses Kapital ist der eigentliche Schatz von Berlin. Und jene Handvoll Galeristen, die vor zwölf Jahren durchaus eigennützig das Gallery Weekend ins Leben riefen, haben es als Erste begriffen. Messemüdigkeit war damals ein großes Thema. Teure Kojen, Reisen ohne Ende und die unvermeidbare Vernachlässigung der eigenen, oft unikaten Räume. Die Rückbesinnung darauf war der Startschuss, es folgten immer wieder Entwicklungsschübe. Eine Galerie wie Neugerriemschneider hat sich so vergrößert, dass hier aktuell 61 Künstler ihre Werke zeigen können. Die Galerie Neu ist in ein ehemaliges Heizkraftwerk gezogen und Johann König Besitzer einer ganzen Kirche mit eindrucksvoll brutalistischer Architektur.
In ihren Häusern inszenieren sie Ausstellungen, wie man sie auf keiner Messe zu sehen bekommt. Mit Fotografien von Annette Kelm und Malerei von K. H. Hödicke bei König, mit Wolfgang Tillmans (Galerie Buchholz), Maria Eichhorn (Barbara Weiss) und Michael Schmidt (Galerie Nordenhake), der in den siebziger Jahren Foto-Workshops an der Kreuzberger Volkshochschule gab und es bis zu seinem Tod 2014 zu internationalem Renommee gebracht hat. Kelm, der 1938 geborene Hödicke oder auch Eichhorn – sie alle arbeiten nach wie vor in Berlin.
Damit es nicht zu familiär wird, ergänzt die Galerie Crone das Angebot 2016 um eine große Schau von Hanne Darboven, deren strenge Notate eine Renaissance erleben. Michael Haas kombiniert in seinem imposanten Schaulager in Charlottenburg Bilder von Paula Modersohn-Becker mit Werken der in Berlin lebenden Japanerin Leiko Ikemura. Meyer Riegger präsentieren politisch gefärbte Malerei von Miriam Cahn, die an der nächsten Documenta teilnehmen wird. Und Aurel Scheibler hängt mit den raren „Augenbildern“ von Ernst Wilhelm Nay, die der Nachkriegskünstler ab 1963 ein Jahr lang malte, eine Serie von musealem Rang an die Wände. Nicht zu vergessen der Kunsthandel Wolfgang Werner mit wichtigen Werken des Dänen Per Kirkeby.
Berlins Galeristen wollen Autonomie zurückgewinnen
Dafür – und nur dafür – reisen die Sammler von weither an. Berlins Galeristen wollten ein Stück Autonomie im Kunstmarkt zurückgewinnen: raus aus den beliebigen Kojen der Messen zurück in die Keimzelle der eigenen Arbeit. Auch wenn das Format der Messe in Köln eigens für sie gegründet wurde und die Art Cologne als role model gerade ihren 50. Geburtstag feiern konnte. Einer ihrer Erfinder, der Galerist Rudolf Zwirner, sieht längst selbst skeptisch auf die Entwicklung jener Plattform, die Kunsthändlern einst mehr Sichtbarkeit verleihen sollte und nun diverse Messegesellschaften ernährt. Zwirner kritisiert vor allem den Druck, der auf jungen Galerien lastet, weil sie viel Geld in die Hand nehmen müssen, um an den wichtigen internationalen Handelsplätzen präsent zu sein. So war das nicht gedacht in den Sechzigern.
Das Gallery Weekend macht alle zu Gewinnern. Die offiziellen Teilnehmer leisten die meiste Arbeit, beim VIP-Shuttle und dem traditionellen Dinner für tausend Gäste helfen Sponsoren. Für die anderen Galerien ist der Termin extrem wichtig, die Institutionen putzen sich heraus, der Sammler Desiré Feuerle eröffnet gleich ein ganzes Privatmuseum am Landwehrkanal. Und gewiss hat dieses Ereignis seinen Ursprung auch im Trotz und in den besonderen Berliner Verhältnissen hat. Statt krampfhaft nachzuahmen, was andere Metropolen besser können, entwickelten die Galerien eine Idee, die bis nach New York Nachahmer gefunden hat. Sorgen braucht man sich jedenfalls nicht zu machen, das Weekend läuft und läuft.
Das Gallery Weekend läuft vom 29. April bis 1. Mai. Am Freitag wird der Tagesspiegel auf drei Extra-Seiten darüber informieren. Weitere Infos: www.gallery-weekend-berlin.de
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