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Zu Gast bei uns.Jonas Burgert, geb. 1969, präsentiert in der Gruppenausstellung "Ngorongoro" auf seinem Atelierareal in Weißensee zahlreiche Künstler. Das Bild im Hintergrund stammt von ihm selbst, die Spatenskulptur mit dem Titel "Übergriffige Argumente" von Christian Hoischen.
© DAVIDS/Darmer

Gallery Weekend Berlin: Kunst kommt von Kommune

Beim Gallery Weekend von Galerie zu Galerie hetzen? Da lade ich doch lieber alle zu mir ein, dachte sich der Maler Jonas Burgert und veranstaltet in seinem neuen Atelierareal in Weißensee eine riesige Gruppenschau.

47 Galerien nehmen am Gallery Weekend vom 1. -3 Mai teil, sie sind - wie auch viele andere Galerien der Stadt - Sa/So von 11–19 Uhr geöffnet. Hot Spots sind die Potsdamer Straße, Lindenstraße 34/35, Rudi-Dutschke-Straße, Markgrafenstraße. Weitere Infos siehe am Ende des Texts. Zu den zahlreichen Extras an diesem Wochenende gehört auch die von Jonas Burgert initiierte "Ngorongoro"-Ausstellung in Weißensee.

Dass in dieser Straße etwas Kreatives passiert, sieht man schnell. Rechterhand ein Steinmetz und ein Designer-Möbelladen, links eine Bildhauerwerkstatt. Dann ein roter Backsteinbau und ein silbernes Tor. Dahinter öffnet sich die Welt des Malers Jonas Burgert. Die Gebäude im Eingangsbereich an der Lehderstraße in Weißensee sind noch nicht renoviert; hier fehlen Fensterscheiben, dort blättert der Putz – Berliner Charme. Ein paar Schritte weiter, und man wähnt sich in L.A., ein Pool unter blauem Himmel, sogar Palmen, wie auf einem Hockney-Gemälde.

Zum Gallery Weekend öffnet Burgert die Pforten seines 6000 Quadratmeter großen Atelierareals mit einer riesigen Ausstellung mit über 100 Künstlern, darunter Anri Sala, John Bock, Manfred Pernice, Michael Sailstorfer, Thomas Zipp, Anton Henning, Gregor Hildebrandt, um nur einige zu nennen. Wollte ein Kurator eine Ausstellung mit dieser Besetzung auf die Beine stellen, er müsste Jahre in die Vorbereitung investieren. Bei Burgert reichten sechs Monate. Er setzt auf Netzwerke.

Der Maler kaufte die nach der Wende geschlossene Halbleiterfabrik in Weißensee vor fünf Jahren. Zusammen mit fünf Künstlerfreunden entwickelte er das Gelände zu einem Ort der ungestörten Kunstproduktion – und die jetzige Ausstellung zeigt eindrücklich, was Netzwerke bewegen können. Nicht umsonst heißt die Schau „Ngorongoro“, nach einem kollabierten Vulkankrater am Rande der Serengeti, in dem sich eine Biosphäre entwickelt hat – dort gibt es die höchste Raubtierdichte Afrikas. Nun tummeln sich die Löwen und Tiger der Kunstszene in Weißensee.

"Manche Werke sind Trash, andere Weltklasse", sagt Jonas Burgert

Im Hof hat Zhivago Duncan ein Schiff aus Holz auf einen Grashügel gesetzt. Gregor Schneider schaufelt auf dem Rasenstück vor dem alten Heizkraftwerk ein Grab und beerdigt darin „Hannelore Reuen“, seine Mitbewohnerin aus dem „Haus Ur“, an dem er seit 1985 baut. Alle Gebäude auf dem Gelände sind mit Kunstwerken bestückt. In Burgers Atelier hängen Gemälde von Christian Hoischen, auf einem Wandstück sitzt ein hyperrealistisches Silikonmenschlein von Ron Mueck, und in einem Glaszylinder findet sich eine Skulptur, ein fleischfarbener männlicher Torso von der jungen Bildhauerin Berlinde De Bruyckere. „Jedes Jahr zum Gallery Weekend reiht sich bei mir ein Atelierbesuch an den anderen, da dachte ich, wir können gleich eine große Ausstellung bei uns machen“, sagt Burgert. Und zwar ohne Vorgaben, ohne Erfolgszwang, ohne Hierarchie, schnell, unkonventionell, intuitiv. „Manche Werke sind Weltklasse, andere sind Trash, das wollten wir so.“

Jonas Burgert, 1969 in Berlin geboren, machte vor etwa zehn Jahren mit figurativen Gemälden von sich reden, die von mythologischen Gestalten, archaischen Menschen, Harlekinen und Biestern bevölkert sind. Sein Erfolg auf dem Kunstmarkt kam unerwartet. Ähnlich erging es seinen Ateliergenossen: den Malern Andreas Golder, Christian Achenbach, David Nicholson, dem britischen Bildhauer John Isaacs und dem amerikanischen Künstler Zhivago Duncan. Jeder von ihnen hat sich auf dem Gelände ein Atelier eingerichtet, von der Produktionshalle bis zum Heizkraftwerk – eine pittoreske Mischung architektonischer Stile. Die Künstler teilen sich Pool, Küche, Badehaus. Und es gibt Platz „für ein paar weitere Künstler“, sagt Burgert. Ansonsten ist seine Vision vom Ökosystem der Kunst bereits Realität.

Der Galerist Jan-Philipp Sexauer zeigt zum Weekend Werke von 25 Künstlerinnen

In einer der ungenutzten Ruinen hat Anri Sala eine lange Reihe von Notenblättern auf eine Wandablage gestellt. Ein Musiker wird die Komposition nun aufführen. In einem klammen Atelierraum sorgt eine Petersburger Hängung, Dutzende von Bildern dicht an dicht auf einer Wand, für Überforderung. In einem fensterlosen Raum mit schrägem Fußboden steht einsam und allein ein „English Teacher“ von Martin Hohnert, der zuletzt im Hamburger Bahnhof sein „Fliegendes Klassenzimmer“ zeigte. Am Eröffnungstag wurde im Hof gegrillt, am heutigen Samstagabend lädt Burgert zur Party ins Soho Haus. Eine Gegenveranstaltung zum exklusiven Gallery-Weekend-Dinner? Nein, die Party beginnt erst, wenn das Dinner vorbei ist. Und Burgerts Gruppenausstellung reagiert zwar durchaus auf das Höher-Schneller-Weiter des Kunstmarkts, aber eher aus Lust an der eigenen Gestaltungskraft als aus Frust über das System.

Ein Gebäude auf dem Gelände hat Burgert an den Galeristen Jan-Philipp Sexauer vermietet. Der zeigt zum Gallery Weekend eine Gruppenschau mit 25 Künstlerinnen. Im Trichter dürfen die Löwinnen nicht fehlen.

Lehderstr. 34 („Ngorongoro“), Streustr. 90 (Sexauer Gallery), Sa und So 10–24 Uhr.

INFOS ZUM Gallery Weekend: : www.gallery-weekend-berlin.de. Infos des Landesverbandes Berliner Galerien zu Öffnungszeiten und Veranstaltungen in weiteren Galerien: www.berliner-galerien.de. Der Verband lässt zwei kostenlose Shuttlebusse zwischen 26 Galerien touren (Sa/So 12–18 Uhr, alle 90 Minuten). Route unter: www.xpositions.berlin

Einige Extras zum Gallery Weekend: Positions Berlin, eine von Künstlern kuratierte Talentschau (Wolliner Str. 18/19, (Sa/So 12–18 Uhr, unser Foto). In Mitte laden über 30 Galerien zum Open Weekend, je 11–19 Uhr. Mit Führungen von art:berlin (Sa 15, 17 Uhr, So 15 Uhr, Treffpunkt Postfuhramt, Oranienburger Str. 35/36, 10/7 €, Tel: 28 09 63 90) Je 7 Galerien aus Amsterdam und Berlin zeigen die gemeinsame Schau „I AMsterdam YOU Berlin – HIDDEN TREASURES“ in der (St. Johannes-Evangelist-Kirche (Auguststr. 90 Sa/So 12–19 Uhr). Die Boros Collection in der Reinhardtstr. 20 ist Sa und So von 10–18 Uhr zugänglich, ohne Anmeldung.

Birgit Rieger

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