Ausstellung "Left Performance Histories": Hoch auf die Freiheit
Linke Kritik am Staatssozialismus: „Left Performance Histories“ in der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst zeigt osteuropäische Aktionskunst ab den 1970er Jahren
Die Künstlerin Judit Kélé hat sich kürzlich in Berlin mit sich selbst vermählt. Kélés Performance „Ich bin ein Kunstwerk“ begann bereits vor 40 Jahren. Die Ungarin stellte sich damals im Budapester Museum für Bildende Künste als Kunstwerk aus, auf der Biennale in Paris bot sie sich dann zur Versteigerung an. Mitbieten konnten nur Interessenten, die bereit waren, Kélé mittels Eheschließung hinterm Eisernen Vorhang hervorzuholen. Die Ehe, die damals zustande kam, wurde inzwischen geschieden. Als die Aktion im Rahmen der Ausstellung „Left Performance Histories“ im Kreuzberger Kunstverein NGBK ihre Fortsetzung fand, suchte Kélé keinen Mann mehr – sie braucht jetzt nur noch sich selbst. Egal ob man das als Triumph der Emanzipation oder als trauriges Ergebnis einer überindividualisierten Gesellschaft liest – ein gelungener Kommentar auf die Gegenwart ist es allemal.
„Left Performance Histories“ zeigt osteuropäische Aktionskunst ab den 1970er Jahren. Es geht nicht vorrangig um die Analyse dissidenter Strategien, wie meistens, wenn subkulturelle Kunst aus den ehemaligen Ostblockstaaten ausgestellt wird. Vielmehr steht die Archivierung und Reaktivierung von Performances im Zentrum. Wie Aktionskunst für die Nachwelt aufzubewahren sei, war im Kunstkontext schon öfter Thema. Meistens ist die Quintessenz, dass Bilder und Filmaufnahmen nie ganz den Geist eines performativen Akts wiedergeben können. Die Ausstellung schlägt nun vor, die Performance als veränderliches und sich immer wieder neu konstituierendes Archiv zu verstehen. Zum Beispiel mit erneuten Aufführungen, wie bei Kélé.
Performance als wandelbares Archiv
Die Ausstellung basiert auf einem Forschungsprojekt zur Performancekunst, an dem unter anderem Kunst- und Theaterwissenschaftler der Freien Universität und des Leibniz-Instituts für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) beteiligt waren. Gesucht wurde nach marginalisierten Positionen östlicher Performancekunst, die von bekannten und weniger bekannten Künstlern aus Polen, Ungarn, Jugoslawien und der ehemaligen DDR teils selbst ausgewählt und vorgeschlagen wurden. So kristallisierten sich Themen wie Geschlechteridentität und linke Kritik am Staatssozialismus heraus. Insgesamt ist das höchst interessant anzusehen, grade ob des authentischen Materials, das die Macher aus privaten Archiven geholt haben. Alle Arten von Dokumentation sind vorhanden: Schwarz-Weiß-Fotos, skurrile Super-8-Filme, Kontaktabzüge, Skizzenbücher sowie Neukonfigurationen von Plakaten wie bei Zygmunt Piotrowski aus Polen.
Künstler erinnern an fast vergessene Aktionen
Die Ausstellung startet mit Selbstinszenierungen à la „chic, charmant & dauerhaft“, einer Gruppe aus Designern, Models und Punks, die in Ostberlin Mitte der 80er Jahre mit wilden Modenschauen gegen staatlich verordnete aber auch westliche Modetrends antraten. In mehreren Arbeiten aus den 70er und 80er Jahren steht die Ehe in der Kritik, etwa bei Ewa Partum, einer Ikone der feministischen, polnischen Konzeptkunst. In Partums Performance wie in etlichen anderen wird weibliche Nacktheit in der Öffentlichkeit als Provokation und Geste des Widerstands genutzt. Was heute immer noch ein Garant für Extra-Aufmerksamkeit ist.
Die kroatische Konzeptkünstlerin Sanja Ivekovic hat Schwarz-Weiß-Fotos einer ihrer älteren Performances beigesteuert. Während Titos Staatsbesuch in Zagreb 1979 hielt die Künstlerin sich trotz Verbots auf ihrem Balkon auf, dabei trank sie Whiskey und tat so, als würde sie masturbieren. Kurze Zeit später klingelte ein Geheimagent an ihrer Tür und forderte sie auf, das zu unterlassen. Der ungarische Performer El Kazovszkij hingegen wandte sich gegen starre Männlichkeitsbilder, indem er in seinen barock ausgestatteten Filmtableaus androgyne Jünglinge, Engel und Tänzerinnen auftreten ließ. Camp-Ästhetik existierte auch hinterm Eisernen Vorhang – und sie war hochpolitisch. So wie der dritte Teil der Schau, in dem es um die linke Kritik am Staatssozialismus geht. Manche Künstler versuchten das System von innen zu verändern, indem sie mit staatlichen Stellen kooperierten. Die Leipziger Gruppe 37,2, unter anderem mit den Künstlern Hans-Joachim Schulze und Hartwig Ebersbach, veranstaltete etwa Kreativitätstrainings in volkseigenen Betrieben. Die Arbeiter fanden das so befreiend, dass die Kurse von staatlicher Seite schnell wieder eingestellt wurden. In den Ausstellungstafeln betonen die Macher der Schau, dass manche subversive Aktionen geduldet und als Ventil zugelassen wurden, während die Behörden sehr empfindlich reagieren konnten, wenn ihnen von Künstlerseite die Abkehr von sozialistischen Grundsätzen vorgeworfen wurde.
Wie geht es weiter mit der NGBK?
Gesellschaftliche Teilhabe ist ein angestammtes Thema der basisdemokratisch organisierten NGBK, die kürzlich ihr Jahresprogramm vorstellte. In den kommenden Schauen soll es etwa um das „aufblasbare Objekt“ als Medium des zivilen Ungehorsams gehen, um das Glück und um die Sehnsucht nach Berührung. Echte Teilhabe und städtische Freiräume waren zuletzt eher in der NGBK-Dependance in Hellersdorf zu finden als im gentrifizierten Kreuzberger Kiez. Dort endet der Mietvertrag für die Ausstellungs- und Büroräume in der Oranienstraße im Jahr 2022. Dann heißt es mit Besitzer Nicolas Berggruen über die Höhe der Mieterhöhung streiten – oder freiwillig weichen. Auch diese Option will NGBK-Geschäftsführerin Liliane Engelmann zur Diskussion stellen. Ausstellungs- und Diskursformate hätten sich verändert, die Räume seien zu eng und nicht behindertengerecht, ein Ortswechsel könne neue Themenfelder eröffnen und andere Zielgruppen anziehen. Vielleicht ist das gesättigte Kreuzberg als Kampfplatz für die Kunst tatsächlich nur noch Fassade. Kritische Haltung braucht hin und wieder ein Update, so zeigt es auch die Ausstellung.
NGBK, Oranienstr. 25, Kreuzberg, bis 25.3., tgl. 12–19 Uhr