Berlin Art Week: Hör auf die Katze!
Erlösende Witze: Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst feiert auf der Berlin Art Week die Heilkraft des Humors. Parallel dazu bekommt die Gesellschaft eine neue Geschäftsführerin.
„Einen Witz zu analysieren ist wie einen Frosch zu sezieren. Nur wenige interessieren sich dafür, und der Frosch ist danach tot.“ Ha, es wird zu wenig gelacht in der Kunst. Die Themen, mit denen sich die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) seit ihrer Gründung vor 46 Jahren beschäftigt, sind nicht lustig. Kolonialismus, Neoliberalismus, Aids, Migration. Ob der Witz bei politischen Themen eine befreiende Wirkung entfalten kann, ob Künstler überhaupt witzig sein können und wollen, dem geht die Ausstellung „Redemption Jokes“ nach. „Erlösende Witze“, lautet der Titel auf Deutsch.
Der erste, vorbereitende Teil der Ausstellung fand bereits im Frühjahr statt. Die Mitglieder der verantwortlichen Kuratorengruppe hatten ihr Büro in den Ausstellungsraum der NGBK verlegt. Besprechungen, Workshops, selbst langweilige Recherchen am Computer fanden öffentlich statt, die Kuratoren rollten auf Sitzbällen herum, es gab Drinks und frisches Obst, wie in einer flotten Internet-Agentur. Da hörte bei manchem Besucher der Spaß bereits auf. Die neoliberale Arbeitswelt als Kunst. Ist das dumpfe Affirmation oder doch Widerständigkeit? Der Witz braucht ja bekanntlich beides.
Bei Oreet Ashery ist alles schlecht - der Geschmack, die Ideen, die Gesellschaft
Nun ist zur Berlin Art Week der Ausstellungsraum kaum wiederzuerkennen, die Büroarchitektur aus dem ersten Teil ist unter einer wilden Teppichlandschaft begraben. Darauf und darin finden sich Zeichnungen von Grit Hachmeister und Claudia Gülzow oder die wie auf einer Anzeigetafel im Bezirksamt eingeblendeten Witze über Migration von Young-Hae Chang Heavy Industries. Von Bjørn Melhus ist das Video „Freedom & Independance“ zu sehen. In einer postapokalyptischen Plattenbaukulisse verkörpert Melhus „Herrn Freiheit“ und „Fräulein Unabhängigkeit“ und auch alle anderen Rollen selbst. Mit viel schwarzem Humor treibt er die Egozentrik-Thesen der amerikanischen Besteller-Autorin Ayn Rand auf die Spitze. Der Mensch auf der Suche nach maximaler Freiheit und Unabhängigkeit wird zum schrägen Vogel.
Schlechte Gesellschaft, schlechte Ideen, schlechter Geschmack, dem widmet sich die Künstlerin Oreet Ashery. In einem Workshop bat sie die Teilnehmer, sich zu überlegen, was für sie „Bad Company“ bedeutet. Die Ideen hat sie in einem Video und in Zeichnungen verarbeitet. „Schlechte Gesellschaft“, das ist für manche Facebook, für andere sind's große Brüste oder Andrea Nahles. Man darf ja über das Schlechte eigentlich nur dann Witze machen, wenn man selbst irgendwie betroffen ist.
Mit Selbstironie kennt der junge israelische Künstler Amit Epstein sich aus. In seiner Videoserie „Stockholm Syndrome“ bringt er seine Großmutter, das Berliner Holocaust Mahnmal und Goldzähne zusammen. Biografisch arbeitet auch der Berliner Künstler Wilhelm Klotzek, der in seiner Arbeit oft mit Hinterlassenschaften der DDR-Geschichte agiert. Für die Ausstellung hat er ein ostalgisches Remake von Liam Gillicks Frankfurter Küche gebaut. Der britische Künstler installierte 2009 bei der Venedig-Biennale eine Küchenzeile im Deutschen Pavillon. Auf dem Möbel hockte eine Stoffkatze, aus deren Bauch ein auf Tonband aufgenommenes Statement des Künstlers brabbelte. Viele Kritiker fanden das bescheuert.
Apropos Selbstironie. Auch die Institution NGBK, ein Gewächs der politisierten siebziger Jahre, muss sich selbstkritisch mit den eigenen „so oft zelebrierten und verteufelten“ basisdemokratischen Strukturen auseinandersetzen. Seit 2013 bastelt der Kunstverein an einem neuen Selbstbild, man änderte das Logo, machte die Buchstaben größer und kleiner. Die Grundfrage lautet: Ist es heute noch politisch, die Arbeit aus dem Mitgliederkreis für wenig Geld selber zu stemmen? Oder muss man das unter „antiautoritärer Folklore“ verbuchen. Diese Frage wurde bei einer Veranstaltung am vergangenen Wochenende gestellt. Die Reflektion mündet nun in den „Wissensspeicher NGBK“, eine Online-Plattform, die Texte, Bilder und Videos aus 46 Jahren Ausstellungstätigkeit publik macht.
Geschäftsführerin tritt parellel zur Berlin Art Week ins Amt
Was man in diesem Überblick erkennen kann: Die Themen haben sich gar nicht so stark verändert und sind trotzdem aktuell wie nie. Das dürfte auch die neue Geschäftsführerin des Vereins freuen. Parallel zur Art Week tritt Lilian Engelmann ihr Amt an. Sie löst Oliver Baurhenn ab, der den Kunstverein kommissarisch leitete, nachdem die vorherige Geschäftsführerin Karin Rebbert im Februar 2015 aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden war.
Lilian Engelmann zieht aus Frankfurt am Main nach Berlin. Dort war sie seit 2009 als Kuratorin am Kunstverein beschäftigt. Außerdem bringt sie eine solide betriebswirtschaftliche Ausbildung mit. Der NGBK kann ihre Kompetenz gebrauchen. Gute Ausstellungen kosten Geld, selbst wenn sie antiautoritär organisiert sind. Kein Witz.
NGBK, Oranienstraße 25, tägl. 12 – 19 Uhr, Do / Sa bis 20 Uhr