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Andrés Orozco-Estrad
© Werner Kmetitsch

Andrés Orozco-Estrada bei den Berliner Philharmonikern: Hinter der Fassade

Gnadenlose Deutlichkeit bei Schostakowitsch, Grobschlächtiges bei Strauss: das Debüt von Andrés Orozco-Estrada mit den Berliner Philharmonikern.

Nicht nur für Beethoven, auch für Schostakowitsch ist die Fünfte ein Schicksalsstück. Mit der Sinfonie nämlich zog der Komponist 1937 seinen Kopf aus der Schlinge, die ihm Stalin symbolisch bereits um den Hals gelegt hatte. Als dekadent und formalistisch hatte der Diktator die vom Publikum begeistert aufgenommene Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ geschmäht. Dem Gulag entkam Schostakowitsch in seiner Fünften durch Rückgriff auf klassische Formen und den Untertitel „praktische schöpferische Antwort eines sowjetischen Künstlers auf eine berechtigte Kritik“. Tatsächlich ließen sich die Kulturfunktionäre damals blenden.

Der 1977 im kolumbianischen Medellin geborene Andrés Orozco-Estrada dagegen reißt bei seinem Debüt mit den Berliner Philharmonikern die potemkinsche Fassade des Werkes restlos nieder: Er arbeitet die Atmosphäre der Verzweiflung, die den Kopfsatz prägt, in gnadenloser Deutlichkeit heraus, das Allegretto entfaltet sich als greller Jahrmarkt-Bilderbogen, ja als Parodie auf jegliches volkstümliche Freizeitvergnügen, und im Largo schließlich wird das Gefühl quälender Einsamkeit in allen erdenklichen Facetten durchgespielt. Das vermeintliche Jubelfinale kann danach nur apokalyptisch wirken, wenn die Streicher wie besessen auf ein und demselben Ton herumreiten, während die Bläser hohle Fanfaren schmettern. Ein erschütterndes Hörerlebnis.

Leif Ove Andsnes: licht, klar - und unbeteiligt

Bei Richard Strauss’ „Macbeth“ vermag Orozco-Estrada die Philharmoniker dagegen nicht wirklich davon zu überzeugen, dass es sich genau jetzt lohnt, das Stück mit voller innerer Anteilnahme aufzuführen. Dadurch hinterlässt die frühe Tondichtung von 1886 leider den Eindruck des Lärmigen, ja des Grobschlächtigen, ganz anders als auf der jüngsten CD, die der Dirigent mit seinem HR-Sinfonieorchester Frankfurt veröffentlicht hat: Da fesselt die „Macbeth“-Interpretation durch unbedingten Ausdruckswillen und brennende klangliche Intensität.

Ungelöst bleibt an diesem Abend auch das Rätsel von Rachmaninows 4.Klavierkonzert: Wohin wollte der Komponist mit dem Werk, das er mehrfach überarbeitete? Wer führt hier überhaupt im musikalischen Geschehen und wer folgt? Die ersten beiden Sätze entscheiden die Philharmoniker für sich, mit gefühlvoll ausgesungenen Kantilenen, während Leif Ove Andsnes jegliches Romantik-Bedürfnis negiert, mit seinem lichten, klaren Spiel dadurch aber seltsam unbeteiligt wirkt. Erst im Finale, wo es vor allem um Rhythmus geht, kann der Pianist überzeugende Akzente setzen, fingerfertig den Beweis antreten, dass er den Swing hat.

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