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Dmitrij Kitajenko, erster Gastdirigent des Konzerthausorchesters.
© Dan Hannen

Das Konzerthausorchester mit Dmitrij Kitajenko: Dunkler Puls, gleißendes Weiß

Dmitrij Kitajenko dirigiert Schostakowitsch, Prokofjew und Strauss beim Konzerthausorchester

Wann trifft ein Künstler auf seinen originären Ausdruck? Schostakowitsch gehört zu jenen verblüffenden Komponisten, die in jungen Jahren schon zu ihrem Tonfall fanden. Seine erste Symphonie, das Diplomwerk des 19-jährigen Studenten, legt davon im Konzerthaus ein faszinierendes Zeugnis ab. Ganz so wie im Erstling des verehrten Vorgängers Mahler sind hier alle Elemente vorhanden, die Schostakowitsch zum zentralen Symphoniker des 20. Jahrhunderts machen würden.

Dmitrij Kitajenko, erster Gastdirigent des Konzerthausorchesters, unterstreicht genau diesen Aspekt: wie umfassend klassisch Schostakowitsch gebildet war, welchen Respekt er trotz aller Spottlust für die große Form der Symphonie hatte. In gemessenen Tempi rollt Kitajenko ein Klangpanorama aus, das von einem dunklen Pulsieren getragen wird. Nichts geschieht hier um des Effektes willen. Das Stürmische, das Zeitgenossen herausgehört haben wollen, entwickelt sich unter den oft kaum merklichen, aber klaren Taktschlägen des 76-jährigen Grandsigneurs zum reifen Blick der Selbstbeobachtung. An den dynamischen Kulminationspunkten blendet das Orchester urplötzlich in ein eisiges Weiß, das alle Erinnerungen auszulöschen trachtet. Ein Werk voller „Frühlingshaftigkeit“? Wir müssen uns Leningrad 1926 als einen sehr kalten Ort vorstellen.

Noch in Russland komponiert, doch erst nach den Revolutionswirren in Paris uraufgeführt, vereint Prokofjews 1. Violinkonzert eine überwältigende Vielfalt der Emotionen. Sie führen den Solisten mit kühler Berechnung an den Rand der Schizophrenie, irgendwo zwischen entrückter Lyrik und widerborstiger Tarantella – weshalb dieses Werk Geiger anlockt, die gerne an ihre Grenzen gehen. Sergej Krylov bringt dabei seine Liebe zur Alten Musik mit ein, seine Verehrung für feinnervige Thriller ohne speckiges Vibrato. Kitajenko und das Konzerthausorchester spüren unterdessen in Prokofjew ein Vorbild von Hitchcocks genialem Filmkomponisten Bernard Herrmann auf: vom zustechenden „Psycho“ bis zum schwindelerregenden „Vertigo“. Heißkalt, glasklar, harmonisch lockend – und im Zentrum der quecksilbrige Solist. Krylovs artistisch-abgründige Paganini-Capriccio-Zugabe rundet dieses funkelnde Bild.

Danach klingt die Suite, die der Dirigent Artur Rodzinski 1944 aus Strauss’ „Der Rosenkavalier“ zusammengeleimt hat, zwangsläufig weniger aufregend. Die wunderbare Klarheit von Kitajenkos Dirigat beginnt zu verlaufen wie Wimperntusche in Aprilschauern. Dieses Hit-Arrangement bleibt zurück hinter dem, was das Konzerthausorchester bei Schostakowitsch und Prokofjew entdecken konnte.

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