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Unterweltenwanderer. Vergil und Dante im achten Kreis der Hölle. Koloriertes Botticelli-Blatt zur „Göttlichen Komödie“.
© bpk / Kupferstichkabinett, SMB /P. Allard

Die Ausstellung "Der Botticelli-Coup": Himmlischer Fischzug

„Der Botticelli-Coup“ im Kupferstichkabinett: Die Ausstellung zeigt, wie die Zeichnungen des Renaissance-Meisters nach Berlin kamen und für seine spektakuläre Wiederentdeckung sorgten.

Wer momentan in Berlin „Gemäldegalerie“ sagt, denkt nicht sogleich an Besuchermangel, sondern an Botticelli. Endlich hat das Museum der Alten Meister wieder eine Erfolgsausstellung, endlich sind die Menschen wieder neugierig auf jene großartigen Werke, die doch eigentlich das ganze Jahr über zu sehen sind. „Botticelli kommt nach Berlin!“ warb denn auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz für ihren Blockbuster "Die Botticelli Renaissance", um ans ungeliebte Kulturforum zu locken. Dabei ist der Renaissancemaler längst da – seit 133 Jahren.

Damals, 1882, erwarben die Staatlichen Museen ein Konvolut von 86 Blättern, alles Zeichnungen von Botticellis Hand, eine Sensation, die bis heute nicht an Bedeutung verloren hat. Nur bedarf sie der Erinnerung, zumal wenn nebenan die großen Gemälde Botticellis in einer Sonderausstellung prunken, die Lust auf den wahren Meister weckt.

Die Hauptausstellung führt ins Allerheiligste mit zwei authentischen Botticelli-Werken

Denn erst am Ende des in der Gegenwart beginnenden Ausstellungsparcours, nachdem Warhol, Bill Viola, Cindy Sherman, Werke aus dem 19. Jahrhundert und schließlich der Zeitgenossen Botticellis abgeschritten sind, gelangt der Besucher ins Allerheiligste, eine rote Kammer. Dort steht er vor gerade einmal zwei Werken des Künstlers, die als authentisch gelten. Ein ebenso drastischer wie kluger kuratorischer Fingerzeig, der zugleich von den Zuschreibungen und Abschreibungen der Kunstwissenschaft berichtet. Die Gemäldegalerie hat da ihre ganz eigene Geschichte mit dem „Mann mit dem Goldhelm“, der lange als Rembrandts Werk galt. Für Botticelli-Fans aber stellt diese radikale Reduzierung eine unsanfte Landung dar, denn über all den Werken späterer Jahrhunderte und epigonaler Maler geht ihnen der eigentliche Held der Ausstellung verloren. Er schrumpft zum Stichwortgeber, zum Label in eigener Sache.

Das Zentrum der Hölle: Luzifer in ganzer Gestalt (Der große Satan). Botticelli-Zeichnung zur "Göttlichen Komödie", ca. 1481-1495.
Das Zentrum der Hölle: Luzifer in ganzer Gestalt (Der große Satan). Botticelli-Zeichnung zur "Göttlichen Komödie", ca. 1481-1495.
© Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Philipp Allard

Damit schlägt die Stunde des Kupferstichkabinetts. Hier, in „Der Botticelli-Coup“, ist der Meister gleich dutzendfach im Original zu haben. Beste Voraussetzungen also, um den Fischzug von 1882 noch einmal zu inszenieren. Der Ankauf für damals sagenhafte 1,5 Millionen Goldmark (umgerechnet 10 Millionen Euro), für den der Kronprinz sogar in seine Privatschatulle griff, sorgte in der Kunstwelt für Aufregung. Heute ist es eine tolle Geschichte mit höchst aktuellen Bezügen zur Kulturgutschutzdebatte. Und vor allem ist der Kuratorin Dagmar Korbacher mit dem „Botticelli-Coup“ eine großartige Ausstellung gelungen, die nach den Knallern in der Gemäldegalerie geschickt zur eigentlichen Kunst des Malers zurückführt – eine ideale Ergänzung.

Botticelli malte Dantes Höllen-Episoden aus der "Göttlichen Komödie" höchst plastisch

Zu sehen sind 30 der schönsten Zeichnungen des „Commedia“-Zyklus, mit denen Botticelli 1481 das Hauptwerk des Dichters Dante Alighieri, die „Göttliche Komödie“, illustrierte. Von Vergil geleitet, durchschreitet Dante Fegefeuer und Hölle, um in den Himmel zu gelangen, wo er auf Beatrice trifft. Die Episoden sind höchst plastisch gezeichnet, auf seiner Wanderung begegnet Dante den Verdammten und den Teufeln, sieht die Folterqualen. Mal hält er sich die Hand vor die Nase, um den Gestank abzuwehren, mal zieht er ängstlich die Schultern zusammen beim Ritt auf einem skurrilen Mischwesen. Lauter menschliche Regungen, die den Betrachter auf dieser Reise durch Höhen und Tiefen mitreißen.

Die Kostbarkeiten dürfen nur selten ans Licht, zuletzt waren die Blätter vor 15 Jahren zu sehen. Diesmal werden sie zusammen mit reich geschmückten Folianten ausgestellt, denn zum BotticelliCoup gehörte damals der Ankauf einer ganzen Bibliothek. Der durch seine Leidenschaft für Hunde- und Pferderennen in finanzielle Not geratene Herzog von Hamilton wollte sich von seiner kompletten Handschriftensammlung trennen, 700 Bände, die sein Großvater zusammengetragen hatte. Zuvor hatte der verschwenderische Enkel bereits den Viehbestand und seinen Weinkeller verjubelt.

Auch andere Buchkunstwerke erwarb das Kupfestichkabinett 1882. Ebenfalls in der Ausstellung zu sehen: Der Hl. Hieronymus und eine Gruppe venezianischer Patrizier, Venedig 15. Jahrhundert, vermutlich von Giovanni Todeschino-
Auch andere Buchkunstwerke erwarb das Kupfestichkabinett 1882. Ebenfalls in der Ausstellung zu sehen: Der Hl. Hieronymus und eine Gruppe venezianischer Patrizier, Venedig 15. Jahrhundert, vermutlich von Giovanni Todeschino-
© Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

Der Dante-Kodex war nur einer von vielen, zunächst nicht einmal als ein Werk des Renaissancemalers erkannt. Erst seit Botticelli im Laufe des 19. Jahrhunderts einen Boom erfahren hatte, die Blümchen seiner Primavera im Design auftauchten und die Damen der Gesellschaft sich in den flatterhaften Gewänder seiner Göttinnen kleideten, avancierte der Band zum Glanzstück der Sammlung.

Hinzu kam ein Wettlauf der Nationen auf dem Gebiet der Kultur: Wer trägt die bedeutenderen Altertümer von der Akropolis heim oder aus dem Nahen Osten? Wer bekommt den Zuschlag beim Auktionsgefecht um einen Botticelli? Als die National Gallery bei einem Gemälde den Louvre ausstach, gab es minutenlang Applaus im Versteigerungssaal. Auch die Dante-Zeichnungen wollten sich die Briten nicht wegschnappen lassen. Der Kunstkritiker John Ruskin, der emphatisch die Schönheit der Blätter besungen und Botticelli als Dantesken Künstler schlechthin gepriesen hatte, versuchte es mit Crowdfunding, damit der Band im United Kingdom verbliebt. Aber er bekam keinen Cent zusammen.

Mit dem heutigen Kulturgutschutzgesetz wären die Zeichnungen nie nach Berlin gekommen

Hätte es damals schon ein Kulturgutschutzgesetz gegeben, Walter Lippmann, der Direktor des Kupferstichkabinetts, hätte kaum eine Chance gehabt. Verheiratet mit einer Britin und gut vernetzt im Kunsthandel der Insel, gelang es ihm, den Schatz nach Berlin zu tragen. Ganz konnte er sein Glück nicht fassen: „Hoffentlich kommt alles gut nach Hause“, schrieb er im Oktober 1882 an den Generaldirektor Wilhelm Bode nach Berlin, während er in London die Verpackung in 18 Zinkkisten und deren Verschickung in vier verschiedenen Transporten überwachte.

Die britische Presse heulte auf, als sie wenig später vom Verlust erfuhr, die nationale Ehre sei befleckt. Und doch änderte sich die Wahrnehmung, als Lippmann die kostbaren Blätter schon kurz nach der Ankunft in Berlin öffentlich präsentierte und der Forschung zugänglich machte. Die Einsicht wuchs, dass sich Botticelli hier doch am rechten Ort befinden könnte.

Das gilt auch heute noch, wenn die Hamilton-Kollektion im Februar nach London in die Courtauld Gallery weiterwandert. Der dortige Direktor ließ gleich wissen: Wo sich die Schätze letztlich befinden, spielt keine Rolle; Hauptsache sie sind allen zugänglich. Wie anders es vorher war, daran erinnert der dicke schweinslederne Umschlag, in dem die Zeichnungen bis zu ihrer Herauslösung in Berlin aufbewahrt wurden. Ende des 18. Jahrhunderts waren sie in Paris als Album gebunden worden, auf dem Umschlag stand damals noch fälschlich „Sandro Bottirelli“. Die Entdeckung Botticellis hatte noch nicht begonnen.

Kupferstichkabinett, Matthäikirchplatz, bis 24. Januar; Di, Mi, Fr 10 – 18 Uhr, Do 10 – 18 Uhr, Sa /So 11 – 18 Uhr. Katalog (Wienand Verlag) 25,90 €.

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