Botticelli-Ausstellung in Berlin: Der Hype um Botticelli ist enttarnt
„The Botticelli Renaissance“ in der Berliner Gemäldegalerie wird garantiert zum Publikumshit. Und das, obwohl die Schau den Maler und seine Nachahmer entzaubert.
Diese Ausstellung hat das Zeug zum Skandal. Wer sie gesehen hat, dessen Botticelli-Bild ist erschüttert, und der Glaube an die Institution Museum gerät ins Wanken. Die Berliner Gemäldegalerie traut sich was. Das Wahre, Gute, Schöne – hier galt es bislang als gesichert. „The Botticelli Renaissance“, der neue Coup nach der Erfolgsschau „Gesichter der Renaissance“ vor vier Jahren im Bode-Museum, ködert mit sechzig Werken des großen Meisters, mit hundert Anverwandlungen seiner Motive durch spätere Künstler wie Andy Warhol und Cindy Sherman – um am Ende Botticelli als eine der populärsten Figuren der Kunstgeschichte zu demontieren. Zuletzt bleiben gerade zwei gesicherte Werke übrig. Sie tragen die Signatur von Sandro di Mariano, dessen Benennung als Botticelli erst viel später hinzukam und für die Nachwelt zum Markennamen wurde. Eine deprimierende Bilanz.
Ein Aufschrei müsste durch das Publikum gehen, die Leihgeber der vermeintlichen Botticellis müssten ihre Werke zurückverlangen, um sie vor einer solchen Entblößung zu schützen. Nichts von alledem wird geschehen. Dafür ist die Ausstellung zu schön, zu opulent, eine Augenweide noch das Medici-Porträt, bei dem nun sternenklar ist, dass es garantiert nicht von Botticelli stammt.
Aber der Stachel sitzt im Fleisch, die Fragen bleiben: Wie konstituiert sich Bedeutung? Worauf springen wir an und warum? Welche Funktion hat das Museum, wenn es den Wahnsinn auch noch mit befördert? Oder wollen wir lieber doch die große Illusion?
In den Augen der Betrachter ist Botticelli Venus und Primavera
Botticelli eignet sich perfekt für solch brutale Entlarvung, er übersteht das ohnehin. Das Motiv der Venus, der Primavera hat sich längst verselbständigt, von der historischen Figur des Malers abgelöst. Wie desillusioniert die beiden Kuratoren Stefan Weppelmann und Ruben Rebmann sind, zeigt die banale Autofelge eines italienischen Herstellers als erstes Ausstellungsstück in der Rotunde der Gemäldegalerie, die den Namen des Meisters trägt. Steht er nun für Schönheit, Schnelligkeit, Italianità? Egal, er ist ein Verkaufsargument selbst für Fernseher, das Pony von Barbie. Werbung, Design, Mode, alle bedienen sich bei ihm. Lady Gaga trat 2013 in London im „Venus-Dress“ von Dolce & Gabbana auf.
Hier setzt die Ausstellung an. Ausgehend von der aktuellen Wahrnehmung, der Auseinandersetzung zeitgenössischer Künstler tritt sie rückwärts die Zeitreise an und untersucht in ihrem ersten Kapitel, wie Maler, Bildhauer, Fotografen der Gegenwart auf Botticelli reagieren, dessen Wahrnehmung sich seit seiner Wiederentdeckung im 19. Jahrhundert auf die Ikonen Venus und Primavera reduziert. Die Gemäldegalerie nimmt die Epigonen trotzdem ernst und räumt ihnen den Botticelli-Saal frei. Dort hängen Robert Rauschenberg, die ölig glänzenden Modells von David LaChapelle, die intuitiv wie Botticellis Schönheitsgöttin am Strand posierenden Teenies von Rineke Dijkstra auf grauem Samt, ausgeleuchtet wie sonst die Alten Meister.
Das ist kühn, unterstreicht die Benutzbarkeit des Vorbilds. Die Künstler bedienen sich seiner als Anspielung auf Schönheit und Natürlichkeit, um deren Korrumpierung vorzuführen. Valie Export und Ulrike Rosenbach bekämpfen Rollenklischees, indem sie das gesenkte Haupt, die flatternden Haare, die grazilen Posen in ihren Performances adaptieren. Vik Muniz dienen die Grazien zur Warnung vor Umweltsünden. Er collagiert mit alten Computern, Autositzen, Kabelrollen, Kordeln eine Geburt der Venus aus den Tiefen des Mülls. Alain Jacques lässt die Schönheitsgöttin mit einer Tanksäule verschmelzen, das Shell-Signet passenderweise in Höhe ihres Venushügels.
Liegt es an Botticelli selbst, dass alles dünn bleibt, selbst zum Klischee wird? Die Ausstellung lässt den Betrachter allein mit dem Phänomen, nennt die Ursachen nicht. Eine Erklärung könnte Andy Warhol liefern, dieser Bilderbeschleuniger der Popart. Indem er die ikonischen Qualitäten der Venus übersteigert, entzaubert er auch schon die Mysterien des Sandro di Mariano: Warhol knallt noch mehr mit den Farben, betont härter die Linien, zoomt weiter an die ohnehin monumentale Figur heran. Die Flächigkeit im Gesicht, die Leere in den Augen tritt endgültig zutage. Sie wird zum Pin-up. Davon profitiert auch Ursula Andress als üppiges Bond-Girl, das 1962 im weißen Bikini dem Meer entsteigt. Das Filmstill aus „Dr. No“ ist in den Kanon der Kinogeschichte eingegangen.
Dante Gabriel Rossetti, der Wiederentdecker Botticellis in Großbritannien, würde sich vermutlich im Grab umdrehen, bewunderte er doch gerade die natürliche Reinheit der Grazien. Er hatte 1867 für nur 20 Pfund das Porträt einer Dame („Smeralda Bandinelli“) gekauft und damit eine Renaissance des Künstlers ausgelöst, der in den letzten 200 Jahren vergessen war. Dieser Wiedergeburt widmet sich der zweite Ausstellungsteil und prunkt auch hier mit Leihgaben nicht nur der Präraffaeliten, die sich auf Botticelli als Leitfigur beriefen. Die elegischen Schönheiten von Rossetti, die kühlen Frauenfiguren von William Morris und Edward Burne-Jones, die sinnlichen, blond gelockten Akte von Walter Crane und Evelyn de Morgan wären ohne Botticelli kaum denkbar.
Botticelli kreierte das Schönheitsideal des frühen 20. Jahrhundert
In dieser Phase beginnt der große Hype um den Renaissance-Maler: In den Uffizien werden die neuen Publikumslieblinge „Geburt der Venus“ und „Primavera“ ins Zentrum gerückt. Der Kult um das klassische Schönheitsideal, die Bewunderung für die fließenden Gewänder und die ätherischen Bewegungen breitet sich innerhalb kürzester Zeit aus. Botticelli findet leibhaftige Nachahmerinnen wie Lady Lavery, die Lady Gaga des frühen 20. Jahrhunderts. Bei gesellschaftlichen Anlässen tritt sie im blumenbesetzten Kostüm der Flora auf und wird damit prompt im Society-Journal „The Sphere“ ganzseitig abgebildet. Die ModernDance-Begründerin Isadora Duncan orientiert sich mit ihren tänzerischen Bewegungen, umweht von Schleiern, am Reigen der Grazien.
Nicht nur in Großbritannien und bei den Nazarenern in Deutschland schlug sich der Botticelli-Boom nieder, auch die französischen Künstler erfasste der Rausch, wie die Berliner Ausstellung erstmals zeigt. Edgar Degas, Jean-AugusteDominique Ingres und Gustave Moreau pilgerten in die Uffizien, um dort Zeichnungen nach dem Vorbild des Meisters anzufertigen. Die heute im Musée d’Orsay hängende „Geburt der Venus“ von William Bouguereau drückt die ganze Bewunderung aus: die gleichen wehenden Haare, die gleichen Verkürzungen, die gleiche Untersicht.
Im dritten Schritt erst gelangt die Ausstellung zu ihren Quellen, und damit wird es ernst. War das Original bisher nur durch seine Interpretationen gefiltert zu sehen, so öffnet sich nun das Tor zur Renaissance selber. In Hans-Jörg Hartungs Ausstellungsarchitektur für die Wandelhalle der Gemäldegalerie ist dies buchstäblich zu erleben. Erstmals wird das gigantische Entree für die Alten Meister komplett umgewandelt und Walter de Marias Brunnen zum Verschwinden gebracht. Der Besucher stößt zunächst auf eine schwarze Schieferwand, in deren Zentrum ein goldener Rahmen von Karl-Friedrich Schinkel prangt. Das Tondo „Maria mit dem Kind“ von 1485/95 aus dem Kaiser-Friedrich-Museum ist 1945 verbrannt. Diese riesige Leerstelle intoniert, was auf den nächsten Metern geschieht. Rechts und links entlang des gewaltigen Schiefer-Kubus werden knapp sechzig Gemälde hintereinander ins kalte Licht gehängt, als wären sie beim Beschauer.
Erkennt der Besucher den Zauber des wahren Botticelli?
Selbst der Laie bemerkt sofort, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht. All die Madonnen, Engel, porträtierten Damen und Herren können kaum aus der Hand eines einzigen Künstlers stammen. Es sind Zuschreibungen, teilweise Fälschungen, manches seit Jahrzehnten ins Depot verbannt. Nach der Tour de Force rückwärts durch die Jahrhunderte soll der Besucher nun erkennen, welches Gemälde die Aura eines Meisters besitzt und welches nicht. Mit dieser Entzauberung, der Gleichstellung von gelungenen und weniger gelungenen Werken, die im besten Fall aus dem 15. Jahrhundert stammen, werde der wahre Sandro di Mariano offenbart, dem Betrachter zurückgegeben, sind die Ausstellungsmacher überzeugt. Erkennt man es wirklich? Ein Trugschluss.
Der Hype um Botticelli ist enttarnt, der Ursprung der Begeisterung im 19. Jahrhundert verortet, der Künstler selbst aber tritt weiter zurück denn je. Die beiden einzigen nachweislich von seiner Hand stammenden Bilder, besiegelt durch die Signatur – die „Mystische Geburt“ aus der National Gallery in London und die Zeichnung zu Dantes „Göttlicher Komödie“ aus Berlin – werden pathetisch im rotwandigen Inneren des Schiefer-Kubus präsentiert. Die Last der später nachfolgenden Adaptionen zu tragen, kann ihnen nicht gelingen, die Kraft, Maßstab für das zuvor Gezeigte zu sein, besitzen sie kaum. Das große Finale versackt, ein Meister geht in die Knie. Das Museum stellt seine Bestimmungshoheit zur Diskussion. Und befeuert doch den Hype, den es hinterfragt.
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